Neues Buch über Friedrich Merz: Der Kanzler, ein Mann der Mitte? | ABC-Z

Daniel Günther, Ministerpräsidenten aus Schleswig-Holstein, gehört zum liberalen Flügel der Partei, der Historiker Andreas Rödder zum konservativen. Rödder hat gemeinsam mit der ehemaligen Familienministerin Kristiana Schröder die Denkfabrik R21 gegründet, die gerne über Wokeness und die Probleme der Migration debattiert und versucht, die CDU weiter nach rechts zu verschieben.
„Ich fühle mich von Friedrich Merz in ganz vielem, was er tut, vertreten“, sagt Günther. Es sei diesem erstaunlich gut gelungen, die unterschiedlichen Flügel der Partei zu adressieren. Das Gespräch ist schnell bei der Frauenquote, die die CDU nach langem Kampf unter Merz endlich eingeführt hat und die Rödder gar nicht gefällt.
Das ist bemerkenswert an einem Tag, an dem der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zu Besuch im Kanzleramt erwartet wird und am Abend der Koalitionsausschuss zum ersten Mal tagt. Aber aus Sicht der Konservativen und Wirtschaftsliberalen, die so lange für Merz als Parteichef kämpften, war dessen Entscheidung, dann die Einführung der Quote zu unterstützen, eben so etwas wie ein Sündenfall. Günther dagegen spricht bei der Quote von einem „großartigen Schritt“.
Problem mit Frauen?
Wie weit der Weg zur Parität in der CDU noch ist, zeigt die Zusammensetzung der Personen, die am frühen Abend ins Kanzleramt kommen werden: Die Union hat den Koalitionsausschuss ausschließlich mit Männern bestückt. Merz sei nicht der Klischee-Macho, als der er manchmal beschrieben werde, sagt Lau. Aber es störe ihn eben auch nicht, wenn er in einer reinen Männerrunde sitze – und vielleicht falle ihm das noch nicht einmal auf. Ob Merz ein Problem mit Frauen hat, ist eine Frage, die sie in ihrem Buch zu beantworten sucht.
Überhaupt ist das Buch mit dem Untertitel „Aus der Suche nach der verlorenen Mitte“ keine Biographie. Lau nähert sich dem Kanzler in zwölf Kapiteln aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Der Verlag spricht von einem „Panorama verschiedener Deep Dives“, die Autorin selbst schreibt: „Ich bin ohne Rücksicht auf Chronologie oder Vollständigkeit den Fragen nachgegangen, die mich rund um Friedrich Merz interessieren.“
Und in der Tat sind es die interessanten Fragen, die Lau da stellt: Ist Merz ein Konservativer? Wie ist es um sein Verhältnis zu Angela Merkel und der CDU im Osten bestellt? Was bedeutet für ihn die deutsche Staatsräson? Was Europa? Was Donald Trump? Ein ganzes Kapitel widmet sie der „schwarz-blauen Höllenwoche“, wie sie jene Tage Ende Januar nennt, als die Union im Bundestag gemeinsam mit der AfD einen Antrag über Migrationsverschärfungen durch den Bundestag brachte.
Bürgermeister von Brilon
„Friedrich Merz opferte in dieser Woche die kostbarste Ressource, die ein Konservativer hat – sein Ehrenwort“, schreibt Lau. Und es geht auch, ganz zu Beginn, um das Verhältnis zu seinem Großvater, der in seiner sauerländischen Heimatstadt Brilon Bürgermeister und ein Nazi war; die taz hat ausführlich darüber berichtet.
Lau nähert sich Merz mit offenem Blick, man merkt, dass sie allein schon um der Demokratie halber will, dass er als Kanzler erfolgreich ist. Die Distanz zu ihm aber verliert sie nie. Man muss nicht alle ihrer Interpretationen teilen, aber Laus Buch ist das beste, was bislang über Merz erschienen ist: gut informiert, analytisch und dazu unterhaltsam geschrieben.
Er war pragmatisch
In ihrem Fazit zieht Lau einen interessanten Vergleich. Wenn man überlege, an welchen konservativen Politiker Merz einen erinnere, lande man bei Ronald Reagan. „He was a true conservative“, so zitiert sie Reagans Biografen Max Boot, „but boy, he was pragmatic“. Wieder und wieder habe Reagan sein Misstrauen gegen den Staat und die überbordende Bürokratie zum Ausdruck gebracht, aber die Staatsausgaben seien unter ihm in die Höhe geschossen. Er habe Abtreibung als Mord bezeichnet, aber zu ihrer Legalisierung beigetragen. „Niemand konnte sich je einen endgültigen Reim auf Ronald Reagan machen – und so könnte es mit Friedrich Merz auch sein.“
Die Moderatorin, Spiegel-Vizechefin Melanie Amann, will immerhin irgendwann mit Blick auf Merz’ zahlreiche Richtungswechsel in den vergangenen Wochen wissen, ob dieser sich als Kanzler nun inhaltlich neu ausrichte oder einfach noch nicht trittsicher sei. „Noch nicht ganz trittsicher“, antwortet Historker Rödder sofort. Günther dagegen wirbt um Verständnis, Merz sei gerade einmal drei Wochen im Amt und habe bereits „unfassbar viele wichtige Affekte gesetzt“.
Er habe den Schritt vom Oppositionsführer zum Kanzler noch nicht ganz gemacht, sagt Lau. Und: In pessimistischen Momenten denke sie manchmal, vielleicht sei Merz nun da, wo er immer hingewollt habe, im Kanzleramt und auf der internationalen Bühne – „und jetzt kommt eine Menge Maulheldentum“. Aber sie hoffe, dass die Zukunft ihr nicht recht gebe.