Neues Album von Paura Diamante: Das Schwarz des Regenbogens | ABC-Z

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Die Gruftipartys der frühen 1990er Jahre waren schon queer, noch bevor das Wort in seiner heutigen Bedeutung überhaupt in den deutschen Sprachgebrauch übernommen wurde. Allein schon der Look, der dort aufgetragen wurde: Samt, Chiffon und Spitze, dazu die hochtoupierten Haare, das exaltierte Makeup ließen die Geschlechtergrenzen so durchlässig wie eine grobmaschige Netzstrumpfhose erscheinen.
Auch Paura Diamante, die unlängst ihre neue EP „New Dawn Decay“ veröffentlichte, hing in jenen Jahren auf solchen Abendveranstaltungen ab. Oder besser gesagt ihr ungeschminktes Alter-Ego Jan Noll tat es, die Drag-Persona gab es da noch nicht. Damals schon machte Noll Musik, erst in der nordhessischen Provinz, später in Berlin, wechselte dann die Seiten, wurde Journalist, vor allem bei der Siegessäule.
Paura Diamante: „New Dawn Decay“ (Bandcamp)
Paura Diamante, die Musikerin, erblickte 20 Jahre später das Licht der Welt, während Covid, als Dark-Wave- und Synth-Pop-Projekt, aber klar queer konnotiert, chansonhaft schwelgerisch und in Drag. Düster und glamourös zugleich. Eben so flaniert Diamante auch im Video zur neuen Single „You & I“ mit pinkem Lippenstift, türkisblauem Lidschatten und karottenroter Vokuhila-Perücke durchs nächtliche Berlin, lässt den Blick über Spree und Warschauer Brücke streifen, räkelt sich an Absperrgittern und besingt die Melancholie der Großstadt und der Zweierbeziehung, die doch keine ist.
Zwei Alben, „Tango“ (2022) und „The Descent“ (2023), hat Diamante bereits herausgebracht, beide bei Young & Cold. „New Dawn Decay“ erschien jetzt ohne Label auf Bandcamp, selbst aufgenommen und produziert (co-produziert von Philipp Marc Tacent), musikalisch unterstützt nur von Ruby Mai von der Dark-Punk-Band Totenwald am Saxofon und als zweite Stimme.
Zwischen Christian Death und Daliah Lavi
Zum DIY-Charme ihrer Musik passt das sogar gut. Und zu deren mannigfaltigen Einflüssen, die Diamante selbst zwischen Christian Death und Daliah Lavi verortet. Diamantes Version von Synth/Wave scheut keinerlei Pathos, keine Boy-George-artige Cheesiness, keinen schlageresken Überschwang.
Auf ihrem Debüt „Tango“ coverte sie damals noch – da muss man erst mal draufkommen – gemeinsam mit dem bayerischen Künstler DIAF, der eine Art Gothic-Neue-Deutsche-Welle macht, Stefan Waggershausens „Zu nah am Feuer“. Ziemlich viel Friedhofserde kippten die beiden dabei aufs 80er-Jahre-Deutschrock-Gesäusel. Ein bisschen schade ist es, dass der Crossover mittlerweile dezenter ausfällt.
Geradliniger, weniger eklektisch als „Tango“, poppiger, weniger düster als „The Descent“ klingt „New Dawn Decay“. Doch man sollte sich von den Bongos, die den titelgebenden ersten Track einläuten – es ist der musikalisch spannendste der EP – nicht auf eine falsche Fährte führen lassen. Der Regenbogen trägt immer noch Schwarz. Die musikalischen Referenzen bleiben hörbar, und die Liedtexte umkreisen düstere Topi: Einsamkeit, Verlust, Schmerz, Vergänglichkeit.
Ungesunde Männlichkeitsbilder
Darüber hinaus geht es um Homophobie und ungesunde Männlichkeitsbilder – „Their toxic masculinity/ Is not the way you want to be/ Your life will never fit into the frame/ There’s beauty in the man that you became“ (Boy) – und um die eigenen Dämonen, die Ängste, die sie umtreiben, ganz real: „It’s Friday night, nowhere to go/ And I’m too scared to take the subway“ (You and I).
Letztere sind leider auch der Grund, warum Diamante keine Konzerte gibt (aber immerhin alle paar Monate die Wave-Party Eisengrau mitveranstaltet). Paura, das ist eben keine verkappte Version von Paula, sondern das italienische Wort für Angst.