Neuer Kinderarzt in Moosburg: Bereit für einen Tapetenwechsel – Freising | ABC-Z

Ein bisschen dürfte er sich gefühlt haben wie all die Fußballprofis, die rund 60 Kilometer entfernt an der Säbener Straße in München regelmäßig unter großem Medienrummel als neue Heilsbringer des FC Bayern vorgestellt werden. Als Ilia Nikitin Anfang Mai im Feyerabendhaus am Moosburger Stadtplatz in einer Pressekonferenz präsentiert wurde, tummelten sich dort ebenfalls diverse Journalisten und Fernsehteams. Und der Neue wurde nicht minder sehnsüchtig erwartet wie einst Wunderstürmer Harry Kane beim FCB.
Nur dass der Kinder- und Jugendarzt Nikitin nicht mit der vertraglich fixierten Garantie einer millionenschweren Jahresgage in sein neues Abenteuer startet, sondern mit Schulden. Es sei eine „finanziell schwierige“ Aufgabe und eine „große Verantwortung“, sagt er drei Wochen nach seiner Vorstellung am Telefon im Gespräch mit der SZ. Das sei schon „sehr hart“. Aber er stelle sich dieser Herausforderung, „weil so mein Charakter ist“.
Seit Nikitins Vorgänger Olaf Vorbeck vergangenen Dezember in Ruhestand gegangen ist, gibt es in Moosburg mit seinen 20 000 Einwohnern keinen Kinderarzt mehr. Monatelang suchte man einen Nachfolger – mit einer intensiven Social-Media-Kampagne, vor allem auf Instagram, sowie zahlreichen Berichten in Presse und Fernsehen. Die Stadt übernahm unter dem Slogan „Praxis zu verschenken“ die 20 000 Euro Ablöse für die Praxisausstattung.
Ilia Nikitin, 43, wurde trotzdem nur rein zufällig auf das Angebot aufmerksam. Er verfüge noch nicht mal über einen eigenen Instagram-Account, erzählt er. Ein Nachbar schickte ihm den entsprechenden Link. Und dann nahm alles seinen Lauf.
„Ich habe ein bisschen über Moosburg recherchiert und herausgefunden, dass es da zwei Flüsse gibt, dass München und der Flughafen in der Nähe sind“, sagt der Arzt aus Berlin. Seine Frau und er hatten ohnehin überlegt, mit den drei Kindern irgendwohin Richtung Süden zu gehen, „in die Schweiz, nach Italien oder Süddeutschland“. Es wurde Letzteres.
In Moosburg fühlten sich Vater und Sohn auf Anhieb wohl
Am 8. März kam er mit seinem 15-jährigen Sohn nach Moosburg, schaute sich die Stadt an, traf sich mit Bürgermeister Josef Dollinger. Vater und Sohn fühlten sich auf Anhieb wohl, „die Leute hier sind alle freundlich“, sagt Ilia Nikitin. Am 12. März gab er seine Zusage, bei der offiziellen Vorstellung am 2. Mai unterzeichnete er die Verträge.
Der 43-Jährige geht durchaus ein Risiko ein. Er kündigte seine beiden unbefristeten Verträge in Berlin in einer Praxis und einem Krankenhaus, obwohl er für Moosburg noch keine Zulassung hatte. „Ein stabiles Gehalt aufgeben und mit drei Kindern und Frau sich hier niederlassen, warum soll man so was machen?“, fragt er. Er weiß, dass so etwas nicht jedermanns Sache ist. Man müsse eben der Typ dafür sein und, wie er, „mal einen Tapetenwechsel wollen“.
Natürlich braucht man auch die Unterstützung, die Nikitin in Moosburg reichlich bekommt, wie er sagt. Dadurch habe er alles „super schnell geschafft“. Am 9. Mai bekam er seine Niederlassungsgenehmigung von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB). „Ausnahmsweise, Moosburg ist für die KVB gar kein Mangelgebiet, weil es auch in Freising oder Landshut Praxen gibt“, sagt Nikitin ungläubig. Eine finanzielle Förderung der KVB bekommt er deshalb nicht, daher hat er einen Kredit aufgenommen. Immerhin die Zulassung habe er bekommen, „dank eines Schreibens von Herrn Bürgermeister Dollinger“.
Trotz schwieriger Arbeitsmarktlage hat er bereits vier Mitarbeiterinnen für die Praxis gefunden
Vier Mitarbeiterinnen für die Praxis hat Nikitin auch schon rekrutieren können. Am Markt gebe es einen Personalmangel, da habe er Glück gehabt, so Nikitin. Auch eine Übergangswohnung mit zwei Zimmern hat er bereits gefunden, in der er zunächst mit dem Sohn leben wird. Seine Frau und die beiden Töchter, sechs Monate und sechs Jahre alt, sollen später aus Berlin nachkommen.
Seine Frau, ebenfalls Kinderärztin und derzeit noch in Elternzeit, soll später in die Praxis mit einsteigen. Ein Einzugsgebiet mit rund 5000 Null- bis Achtzehnjährigen sei auf Dauer allein nicht zu schaffen, „das ist schon sportlich“, sagt Nikitin. Durch Hinzunahme eines weiteren Facharztes will er die Praxis vielleicht mal zu einem Medizinischen Versorgungszentrum ausbauen.
Am 1. Juli eröffnet Nikitin die Praxis in Moosburg. Bis Mitte Juni müsse er noch in Berlin „Vollgas arbeiten“, sagt er. Die Moosburger Praxis wird derweil renoviert und barrierefrei ausgebaut. Vermieter Rudolf Heinz hat die Räume ein halbes Jahr lang freigehalten und Ilia Nikitin auch sonst stark unterstützt: „Rudi ist menschlich absolut top, ohne ihn hätte ich mich nicht für Moosburg entschieden.“