Kultur

Neue US-Jazz-Alben: Freiheit, Optimismus und Traditionspflege | ABC-Z

Was bedeutet die Jazztradition heute? Darüber können zwei jüngst erschienene Alben Auskunft geben. Denn die US-Musikerinnen Terri Lyne Carrington & Christie Dashiell – die im Duo spielen – und Brandee Younger beziehen sich in ihren aktuellen Werken auf bedeutende Momente der Jazzgeschichte. Während Carrington & ­Dashiell mit „We ­Insist 2025!“ ein Meisterwerk aus den 1960er Jahren von Max Roach und Abbey Lincoln neu interpretieren, spielte die Harfenistin Brandee Younger ihr Soloalbum „Gadabout Season“ auf dem historischen Instrument der Legende Alice Coltrane ein.

„We Insist. Max Roach’s Freedom Now Suite“ (1960) gilt als eines der ersten politischen Konzeptalben im Jazz, in dem die Forderungen der US-Bürgerrechtsbewegung nach Freiheit und Gleichberechtigung nachdrücklich in der Musik thematisiert werden. Komponiert von Schlagzeuger Max Roach und dem Dichter Oscar Brown Jr., wurde das Werk mit hochkarätigen Mu­si­ke­r*in­nen eingespielt, darunter Sängerin Abbey Lincoln, der späteren Ehefrau von Roach.

Dass Terri Lyne Carrington & Christie Dashiell diesen Meilenstein wieder aufnehmen, zeugt von großem Selbstbewusstsein. Die heute 60-jährige Schlagzeugerin Carrington kannte Max Roach durch ihren Vater noch persönlich, und er förderte sie in ihrer Anfangszeit. Inzwischen hat Carrington die Aufgaben einer Lehrerin und Mentorin ebenfalls übernommen und unterstützt ihrerseits den Nachwuchs, so etwa die 36-jährige Sängerin Christie Dashiell, die sie ausgebildet hat.

Auch unter den Mitwirkenden von „We Insist 2025!“ finden sich viele Ver­tre­te­r*in­nen einer jüngeren Generation. Mit dem Posaunisten Julian Priester ist indes der einzige noch lebende Musiker des Originalalbums mit dabei. Im Zentrum ihrer Interpretation stehen zunächst die fünf Stücke von „Freedom Now Suite“.

Die Alben

Terri Lyne Carrington & Christie Dashiell: „We Insist 2025!“ (Candid)

Brandee Younger: „Gadabaout Season“ (Impulse!/Universal Jazz)

Schon beim Auftaktsong, „Driva Man“ – Sklaventreiber – wird der Ansatz von Carrington & ­Dashiell deutlich: Während das Vorbild vom zornigen Gesang Lincolns, lakonischen Schlägen auf die Schnarrtrommel und expressionistisch-anklagenden Bläserarrangements geprägt ist, verwandelt die Neubearbeitung den Fünfvierteltakt durch einen pulsierenden Afrobeat in eine zeitlose Meditation über Unterdrückung.

Brandee Younger mit der Harfe von Alice Coltrane



Foto:
Erin Patrice O’Brien


Was Freiheit heute bedeutet

Diese Auslegung streicht den panafrikanischen Charakter des Klassikers heraus, der in dem Stück „All ­Africa“ und dem Antiapartheidlied „Tears of ­Johannesburg“ ebenfalls zum Ausdruck kommt. Diesen Fassungen haben Carrington & Dashiell Eigenkompositionen hinzugefügt. Hieraus sticht vor allem „Dear Abbey“ heraus, eine Ode an ­Abbey Lincoln.

Unterlegt von einem Congarhythmus wird Lincolns Biografie und Bedeutung in Spoken-Word-­Manier erzählt: Ihre lyrischen Fähigkeiten als Sängerin und dichterischen Qualitäten als Songschreiberin werden hier gewürdigt. Genauso kommt ihre Rolle als Aktivistin zur Sprache, aber auch die Missachtung und Gewalt wird angeprangert, der Lincoln als Schwarze Frau ausgesetzt war.

Ein weiteres neues Stück ist „­Freedom Is….“, eine Reflexion darüber, was Freiheit heute bedeutet. Ebenfalls vom gesprochenen Wort über einen hitzigen Jazzfunkgroove entwickelt, beschreibt der Songtext zunächst die Freiheit zum Konsum, die man sich leisten können muss, um sich dann schnell zu einer grundlegenden Kritik an Kapitalismus, Klassismus und Patriarchat aufzubauen.

„We Insist 2025!“ verharrt jedoch nicht in einer strukturellen Analyse auf der Textebene, sondern endet musikalisch überaus zuversichtlich mit „Joyful Noise“, einer beschwingten Tanznummer, die die schiere Freude der Freiheit feiert.

Die Harfe von Alice Coltrane

Brandee Younger lebte mit einem Zeugnis der Jazzgeschichte. Nach der Restaurierung der Harfe von Alice Coltrane, die die Musikerin von ihrem Ehemann John bekommen hatte, verwahrte die 42-jährige US-Künstlerin das historische Instrument bei sich in Harlem. Einige der zehn Lieder ihres neuen Albums „Gadabout Season“ hat sie mit diesem Saiteninstrument aufgenommen, wofür sie sich dem Koloss erst einmal vorsichtig annähern musste.

Younger, die zusammen mit jüngeren Jazz­mu­si­ke­r*in­nen wie Nala Sinephro, Nailah Hunter und Mary Lattimore für die derzeitige Wiederentdeckung der Harfe im Genre verantwortlich ist, versteht ihr Album jedoch nicht als Anlehnung an ihre Heldin Alice Coltrane, sondern als persönliche Weiterentwicklung. Während es sich bei den meisten Liedern ihres Vorgängerwerks – einer Hommage an die andere große Jazzharfenistin ­Dorothy Ashby aus Chicago – um Coverversionen handelt, stammen die neuen Stücke nun aus ihrer Feder.

Außerdem mischt sie die Klänge der Harfe mit elektronischen Soundelementen. Der Titel „Gadabout Season“ – Zeit des Herumtreibens – bezieht sich auf das Suchen und Finden von Sinn und Schönheit.

Auf dieser Klangreise wird Younger unter anderem begleitet vom britischen Saxofonisten Shabaka Hutchings, Vibrafonist Joel Ross, US-Schlagzeuger Makaya McCraven und Sängerin Niia Bertino. Deutlich von Alice Coltrane beeinflusst sind die Stücke „Reflection Eternal“ und „Discernment“, die eine spirituelle Atmosphäre verströmen.

Antworten auf die Fragen der Gegenwart

Demgegenüber stehen eigenständige Lieder wie „Breaking Point“: Über einem treibenden Groove aus Bass und Schlagzeug spielt Younger hier die ganze Resonanzfülle ihres Instruments von scharf gezupften Saiten bis zu an- und abschwellenden Arpeggiokaskaden voll aus. Bei „BBL“ verwebt Younger immer neue Melodielinien miteinander. „Unswept Corners“ klingt wie die Interpretation einer in Vergessenheit geratenen Soulballade aus den 1970er Jahren.

Durch die intensive Beschäftigung mit der Vergangenheit finden sowohl Terri Lyne Carrington & Christie Dashiell als auch Brandee Younger triftige Antworten auf die Fragen der Gegenwart. Carrington & Dashiell weisen darauf hin, dass Optimismus die wichtigste Tugend im andauernden Kampf um Freiheit ist. Brandee Younger wiederum findet gerade durch den Bezug zu ihrem Vorbild Alice Coltrane einen eigenen Weg zur künstlerischen Emanzipation.

Back to top button