Wirtschaft

Sondervermögen: Keine der Milliarden darf verschwendet werden | ABC-Z

Den Schock über die anfangs verstolperte Wahl muss der frisch gekürte Bundeskanzler Friedrich Merz jetzt schnell verarbeiten. Denn zu den enormen Herausforderungen gehört eine, die er sich selbst geschaffen hat und deren Bewältigung keinen Aufschub verträgt: das Sondervermögen. 

Unter größter Mühe hatte Merz nach der Bundestagswahl einen Deal zustande gebracht und eine halbe Billion Euro für die Infrastruktur organisiert. Von den Grünen hatte er sich sogar hundert
Milliarden fürs Klima herausverhandeln lassen
. Und jetzt nagen alle an dem sogenannten
Sondervermögen herum: Jeder behauptet, sein Bereich sei auch Infrastruktur. Lars
Klingbeil von der SPD will damit unglückliche Wissenschaftler und Forscherinnen
aus den Vereinigten Staaten abwerben, Markus Söder von der CSU der deutschen
und natürlich nicht zuletzt in Bayern ansässigen Raumfahrtindustrie Schub
verleihen
. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club will Radwege, was sonst. Eine Großklinik
verlangt Mittel für kriegsfeste unterirdische Räume. In Mecklenburg-Vorpommern
möchten sie Geld für die Häfen, in Brandenburg für die Bahnstrecken in Richtung
Polen.

Oh Mann.

Bald muss geregelt werden, was genau geschieht mit der
halben Billion Euro, der größten Chance, um etwas zu bewegen im Stillstandsland D. Die Gefahr für den neuen, deutschen Regierungschef liegt auf der Hand: unterzugehen
im Fluss der Forderungen. Dann ist das schöne Geld schnell weg. Man denke nur
an die Deutsche Bahn, die fast 150 Milliarden Euro beansprucht. Und an klamme
Kommunen, die klagen, dass die hundert Milliarden, die über die Bundesländer
auch zu ihnen kommen sollen, nicht ausreichen.

Gegen eine solche Lawine helfen nur die zwei P des Führens:
Prioritäten und Prinzipien. Gefragt ist ein Ziel, wohin sich das Land verändern
soll. Im Silicon Valley würden sie sagen, es braucht eine Moonshot-Idee, was Deutschland mit der halben Billion erreichen will. Will es ein globales Beispiel für nachhaltigen
Verkehr sein? Ein modernes Industrieland mit vielen gut bezahlten Jobs und günstiger
Energieversorgung? Ein digitales Vorzeigeland? Um nur ein paar Optionen zu
nennen. Wer da sagt, alles auf einmal, der hat die Aufgabe nicht verstanden.

First things
first
eben. Doch genau das ist bisher nicht geschehen. Bevor das
Geld zwölf Jahre lang zusätzlich fließt, müsste das Land erst einmal bereit
dafür sein – ist es aber nicht. Schon jetzt bleiben jedes Jahr staatliche
Investitionsmittel ungenutzt, weil daran zu viele Bedingungen geknüpft sind,
die Vergabe zu kompliziert ist oder Kommunen einfach nicht die Leute haben, um die
komplizierten Projekte an Land zu ziehen und umzusetzen.

Man kann es auch so sagen: Die Rohre im öffentlichen System
sind verstopft – und bevor man sie mit Geld flutet, sollten sie erst mal frei
gemacht werden. Dass der Staat so etwas im Eiltempo kann, hat er bewiesen,
als er in der Energiekrise ab 2022 Terminals für die Anlandung von Flüssiggas aus
dem Boden stampfte. Die Terminals hätte Deutschland gar nicht allesamt gebraucht,
aber die politische Energie von damals braucht es heute. Nur müsste genau diese eben entstehen, bevor die neuen Milliarden kommendes Jahr fließen.

Innovationen sind nötig

Diese sollten nicht nur Beton und Asphalt finanzieren,
sondern möglichst viele Innovationen anstoßen. Deshalb muss es auch heißen: Hightech first. Dann ist die Chance hoch, dass Start-ups, technische
Lösungen, Patente entstehen und die Dynamik in der Volkswirtschaft nicht gleich
wieder erlischt, wenn die derzeit frohlockenden Baufirmen ihre Arbeit getan
haben. Und oft lässt sich ein Ziel auf verschiedenen Wegen erreichen, die sich
aber sehr unterschiedlich aufs Land auswirken.

Beispiel Bahn: Dort kann man mühsam ein zweites Gleis
verlegen, um Strecken zu entlasten und mehr Verkehr zu ermöglichen. Oder man
digitalisiert das vorhandene Gleis, damit die Züge automatisch kommunizieren
und in engerem Takt fahren können. Nach dieser Logik können übrigens auch
viel mehr selbstfahrende Autos ein- und dieselbe Straße benutzen als die heute
von uns selbst chauffierten Vehikel.

Beispiel Stromnetz: Es lässt sich auf erneuerbare Energie
ausrichten, indem Deutschland dutzendweise neue Gaskraftwerke subventioniert
und viele neue Kilometer Stromleitungen teuer verbuddelt. Oder man setzt auch auf kleine und
große Speicher, die Strom für Zeiten vorhalten, in denen Wind- und Solarstrom nur in geringen Mengen produziert wird. Und auf interaktive Netze, in die jederzeit
private Haushalte ihren Strom aus E-Auto-Batterien und Solardächern einfließen
lassen können. Gerade China zeigt mit neuartigen Speichern, wie viele Ideen für
Klein- und Großanlagen im zweiten Fall entstehen können.

Was einen zu Markus Söder und seinen Fluggeräten bringt. Der
Ministerpräsident ist zwar ein Regional-Egoist ersten Ranges, aber bei der
Raumfahrt könnte er recht haben: Aus solchen Projekten können neue Ideen,
Innovation und am Ende vielleicht Weltmarktführer entstehen. Das gilt übrigens auch für die Entwicklung der Kernfusion,
bei der Bayern bundesweit führend ist.

Detaillierte Buchführung über Investitionen

Natürlich kann es nicht bei technischen Träumen bleiben. Der
neue Kanzler und auch das Land sollten immer auf dem neuesten Stand darüber
sein, ob das Sondervermögen gut angelegt ist. Und dafür braucht man eine
detaillierte Buchführung über die Investitionen: Wofür haben wir Geld
ausgegeben, und was haben wir dafür bekommen? An Anlagenwert, an zusätzlichem
Nutzen für die Menschen und an Wirtschaftsleistung, an ökologischem Fort- oder
sogar Rückschritt.

Teuer wird das Unterfangen allemal. Allein das
Sondervermögen für die Infrastruktur treibt die Verschuldungsquote gemessen am
Bruttoinlandsprodukt vermutlich um mehr als zehn Prozentpunkte nach oben. Das
wiederum lässt wahrscheinlich die Zinsen steigen, die der Staat seinen
Gläubigern bezahlen muss, und signalisiert auch den deutlich höher
verschuldeten EU-Partnern: Finanzstabilität ist nicht mehr so wichtig. Nicht
schön. Da will man schon genau wissen, was man dafür erhält. Die Verantwortung
des Staates und seines obersten Investors Friedrich Merz ist daher enorm. Keine
der Milliarden darf verschwendet werden. Und doch sind Fantasie und Wagemut
gefragt, damit etwas Neues im Land entsteht.

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