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Extremisten wählt man immer ganz: „Nur ein bisschen AfD“ zu wählen, ist keine Option | ABC-Z


Extremisten wählt man immer ganz

„Nur ein bisschen AfD“ zu wählen, ist keine Option

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Jetzt hört man sie wieder häufiger: Relativierungen in Bezug auf eine mögliche Stimmenvergabe an die AfD. Mit einem „Ich bin ja nicht extremistisch, aber wen soll ich denn sonst wählen?“, versuchen viele Deutsche die Verantwortung für ihre Wahlentscheidung kleinzureden. Doch so funktioniert Demokratie nicht.

Viele von uns kennen jemanden, der sich politische Veränderung wünscht und dann über die Wahl der Partei nachdenkt, deren Name praktisch zu einem immer-alles-anders-machen-Müssen verpflichtet („Alternative“). Das auszudrücken, geht dabei nicht selten mit erheblichen Hemmungen einher: Irgendwie ist vielen doch bewusst, dass diese ganz rechte Partei auch für ganz rechte Dinge steht: So propagiert sie anti-feministische Forderungen, oft in Kombination mit Bevölkerungspolitik und Rassismus. Sie positioniert sich gegen sexuelle, geschlechtliche und familiäre Vielfalt. Oder sie instrumentalisiert Themen wie sexuelle Gewalt für rassistische Erzählungen. Ganz zu schweigen von den abstrusen Nazi-Parolen, die einige ihrer Spitzenpolitiker gelegentlich rausposaunen.

Es sind diese innerlich zerrissenen Wähler, die die noch immer kleine Partei umwirbt – sie verzeichnet rund 50.000 Mitglieder. „Bloß nicht ins Gewissen reden lassen“: So heißt ein inoffizielles Wahlmantra der AfD. Eine Botschaft, die sie an ihre potenziellen Wähler weitergibt, wo immer es geht. Am einfachsten funktioniert das, indem sie all diejenigen, die ihr überhaupt ins Gewissen reden könnten, mundtot macht: kritische Medien, Wissenschaftler, Verwandte, Freunde seien die eigentlich Gehirngewaschenen. Wer denen traue, sei selbst schuld, wenn Deutschland bald vor die Hunde geht.

Handelt Weidel gegen ihr individuelles Interesse?

Und überhaupt: Kann eine homosexuelle Frau, Kanzlerkandidatin Alice Weidel, überhaupt homophob und sexistisch sein? Als der reichste Mann der Welt und rechte Hardliner in der neuen Trump-Regierung, Elon Musk, genau das aussprach, war das ein Coup für Weidel: Wie extremistisch beziehungsweise rassistisch, homophob und sexistisch kann die AfD-Chefin schon sein, wenn Weidel doch selbst lesbisch ist und obendrein noch mit einer aus Sri Lanka stammenden Frau zusammenlebt? Die Antwort ist: extrem rassistisch, homophob und sexistisch. Und das auch dann, wenn es ihr selbst gar nicht unbedingt darauf ankommt, all dies zu sein.

Die Überlegung ist naheliegend: Weidel wäre ja blöd, wenn sie sich selbst diskriminieren wollte. Trotzdem führt sie eine Partei an, deren Haltung und Programm genau darauf hinausläuft. Ein innerlicher Konflikt, der sich lösen lässt – wenn auch nicht zugunsten von Weidel. Das Stichwort lautet: dolus eventualis. Oder auch: Wer Extremismus in Kauf nimmt, ist extremistisch. Warum es weniger darauf ankommt, was genau Sie wollen, als darauf, was für tatsächliche Konsequenzen Ihr Handeln nach sich zieht, zeigt dieses Konstrukt aus der Rechtswissenschaft – also dem Bereich, der die Regeln des Zusammenlebens untersucht und dann kodifiziert.

Um für eine Tat voll bestraft zu werden, muss der Beklagte vorsätzlich gehandelt haben. Vorsätzlich handelt dabei aber nicht nur derjenige, der den Taterfolg wollte, also mit Absicht handelte. Vorsätzlich handelt auch derjenige, der den Taterfolg für möglich gehalten und ihn billigend in Kauf genommen hat – ohne, dass es ihm darauf ankam, diesen Taterfolg unbedingt zu verwirklichen. Was hier jetzt recht abstrakt beschrieben wurde, nennt sich im Fachjargon „dolus eventualis“ oder auch Eventualvorsatz.

Ein Beispiel: Ein Autofahrer fährt bei Rot über eine Ampel an einer belebten Kreuzung, weil er es eilig hat. Er sieht, dass Fußgänger die Straße überqueren, fährt aber trotzdem weiter. Der Fahrer nimmt dabei in Kauf, dass er möglicherweise einen Fußgänger verletzen könnte, auch wenn er dies nicht beabsichtigt. Verletzt er dann tatsächlich einen Fußgänger, wird er wegen vorsätzlicher Körperverletzung bestraft, ohne, dass es ihm jemals darauf ankam, jemanden zu verletzen.

Eine Frage der Verantwortung

Warum wurde dieser Eventualvorsatz eingeführt? Ganz einfach: Weil man die Bürgerinnen und Bürger nur so für ihre Taten sensibilisiert. Ansonsten könnte sich ja jeder rausreden, wenn es am Ende schlimmer kommt als eigentlich gewünscht. Und so verhält es sich auch mit der hier besprochenen Partei: Man wählt die AfD entweder ganz oder gar nicht. Und genau das muss auch beim deutschen Wähler ankommen: Wer die AfD wählt, ist am Ende auch dafür verantwortlich, wenn der Ehefrau oder Mutter, dem schwulen Bruder oder dem Freund mit Migrationshintergrund ihre Rechte genommen und das Leben schwer gemacht werden. Auch, wenn es darauf den einzelnen Wählern eigentlich nie ankam.

Nur diejenigen, die verstehen, dass man eine Partei nie nur ein bisschen, sondern immer ganz wählt, können verantwortungsbewusst wählen. Alle anderen müssen mit ihren Gewissensbissen leben – spätestens dann, wenn es doch schlimmer gekommen ist, als sie es gewollt hätten.

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