Netzentgelte: „Ich kann sie nur flehen, Herr Habeck“ | ABC-Z
Die Stahlindustrie fordert bei einer Branchen-Feier eine schnelle Entlastung bei den Energiekosten. Auf offener Bühne buhlt Wirtschaftsminister Habeck um die Unterstützung der Union – CDU-Politikerin Klöckner wirft ihm hingegen vor, sich eine „Parallelwelt“ aufzubauen.
Der grüne Bundeswirtschaftsminister will pragmatisch sein. „Wenn Julia Klöckner das jetzt mitnimmt“, sagt Robert Habeck in einer Paneldiskussion bei der Jubiläumsfeier der Wirtschaftsvereinigung Stahl zur wirtschaftspolitischen Sprecherin der Unions-Bundestagsfraktion, „dann redet Herr Merz morgen mit Frau Haßelmann und Herrn Mützenich und übermorgen machen wir es.“
Damit meint er das Thema der Absenkung der sogenannten Netzentgelte. Diese sind der Preis für die Nutzung von Stromleitungen, die Verbraucher und Unternehmen an die Netzbetreiber zahlen müssen, damit der Strom aus der Steckdose kommt. 2024 hatten sich diese Gebühren in Deutschland verdoppelt.
Denn der notwendige Infrastrukturausbau kostet viel Geld, zudem sind Förderungen weggefallen. Für die Industrie in Deutschland ist das eine Belastung, die fast noch schwerer wiegt als die weiterhin hohen Preise für die Energie selbst. Das jedenfalls bekommt Habeck seit vielen Monaten sowohl von Unternehmen als auch Wirtschaftsverbänden immer wieder vorgerechnet.
Auch von der energieintensiven Stahlindustrie, deren Strombedarf jetzt schon groß ist. Absehbar wird er sogar gigantisch sein angesichts der grünen Transformation in der Branche, bei der die klassische Hochofenroute mit Koks und Kohle abgelöst werden soll durch wasserstoffbetriebene Direktreduktionsanlagen.
„Wir müssen jetzt handeln“, fordert Gunnar Groebler, der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl bei der Jubiläumsfeier. „Das ist keine Frage, die wir nochmal ein halbes Jahr schieben können und sehen, wie wir es hinbekommen. Wir sehen bei unseren Mitgliedsunternehmen, dass es jetzt schon fünf nach zwölf ist.“ Das Gespenst der Deindustrialisierung gehe um. Deshalb brauche die Stahlindustrie wie auch die Wirtschaft insgesamt eine klare Perspektive über eine Absenkung der Strompreise und der Netzentgelte.
Konkrete Zahlen liefert zum Beispiel Alexander Becker, der Vorsitzende der Geschäftsführung des Elektrostahlherstellers Georgsmarienhütte. „Wir hatten in unserem Hauptstahlwerk zehn Jahre lang durchgehende Investitionen von 20 Millionen Euro pro Jahr und Energiekosten in Höhe von 40 Millionen Euro“, listet der Chef des Familienunternehmens auf.
„Seit zwei Jahren haben wir nun 80 Millionen Euro Energiekosten. Wir zahlen also doppelt so viel für Strom und Erdgas wie vor drei Jahren. Damit haben wir keinen Raum mehr für Investitionen.“ Und das gelte für alle energieintensiven Firmen. Becker wird deswegen emotional. „Ich kann sie nur anflehen, Herr Habeck: Bitte kämpfen Sie dafür, dass ab Januar die Strompreise und die Netzentgelte deutlich reduziert sind. Wir haben wirklich lange genug gesprochen. Bitte überzeugen Sie den Rest der Truppe.“
Habeck schlägt vor, Intel-Mittel zu nutzen
Doch seit dem Ampel-Aus gibt es keine Truppen mehr, das macht Julia Klöckner umgehend deutlich. Habeck versucht daher, die Oppositionspolitikerin in die Pflicht zu nehmen und buhlt offensiv um Unterstützung. Sein Vorschlag: Für eine Senkung der Netzentgelte sollen freigewordene Mittel genutzt werden, die eigentlich für den Bau einer Chipfabrik von Intel in Magdeburg vorgesehen waren.
Dieses Projekt ist allerdings ausgesetzt. Deswegen könne man die entsprechenden Gelder aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) umwidmen. Er alleine könne das als Minister nicht einfach machen, erklärt Habeck. „Aber es braucht dafür nur eine parlamentarische Mehrheit im Haushaltsausschuss. Da würde es gelingen.“ Und dafür könne zum Beispiel die Union sorgen.
Aus Sicht von Habeck ist das ein Beispiel für eine seit Tagen von der Opposition eingeforderte überparteiliche Zusammenarbeit. „Wir sind jetzt im Wahlkampf. Und dass es noch die große partei- und fraktionsübergreifende Rentenreform oder Gesundheitsreform gibt, das glaube ich ehrlicherweise nicht. Aber punktuell, wo alle einer Meinung sind, können wir noch etwas hinkriegen und das Land nicht in eine Schockstarre verfallen lassen.“
Und bei einer möglichen Umschichtung der Intel-Milliarden sei das technisch nicht so schwierig. „Das Geld ist im KTF, es steht zur Verfügung, es wird jetzt für andere Sachen nicht gebraucht“, beschreibt Habeck und fordert Klöckner direkt auf, mit ihrem Parteichef und Kanzlerkandidaten Friedrich Merz zu reden.
Und der solle dann auf die Fraktionsvorsitzenden von SPD und Grünen, Rolf Mützenich und Britta Haßelmann, zugehen, um einen schnellen Beschluss zu erwirken. „Die Frage von Netzentgelten, die würde ich gerne noch regeln. Jedenfalls für die nächsten zwei Jahre. Das ist noch nicht das große Modell. Aber wenn wir uns mit der Opposition verständigen, könnten wir das noch hinbekommen, dass wir sie stabilisieren oder deutlich absenken.“
„Sie bauen sich hier gerade eine Parallelwelt auf“
Die CDU-Frau blockt allerdings ab und schaltet selbst in den Wahlkampfmodus. „Sie bauen sich hier gerade eine Parallelwelt auf“, antwortet Klöckner Habeck. „Politik ist komplexer, das weiß auch Herr Habeck.“
Seine Koalition habe es drei Jahre lang nicht hinbekommen, für Entlastungen zu sorgen und stattdessen die Bedingungen für die Wirtschaft weiter verschlechtert. „Wir werden miteinander sprechen, wo man verantwortungsvoll zusammenkommt. Aber klar ist auch, dass wir nicht Bruchstücke einfach mal ersetzen können.“ Es geht um den großen Gesamtzusammenhang. „Wir brauchen einen Politikwechsel.“
Bei den übrigen Panel-Teilnehmern war das Verständnis für solchen Wahlkampf auf offener Bühne begrenzt. „Es ist wichtig, dass die Beschäftigten sehen, dass es einen Ruck in Deutschland gibt, ein gemeinsames Wir aus der Politik, dass bessere Bedingungen in diesem Land geschaffen werden und dass die Industrie stark bleibt und damit auch die Arbeitsplätze sicher sind“, sagt zum Beispiel Christiane Benner, die Erste Vorsitzende der Gewerkschaft IG Metall.
„Trotz aller politischen Farben und Neuwahlen muss die Politik jetzt sofort Entscheidungen treffen, was die Herausnahme der Netzentgeltstrukturkosten betrifft, damit es eine Entlastung gibt für die Grundstoffindustrien.“
Die Erkenntnisse gebe es seit mindestens zwei Jahren und es sei klar, was gemacht werden muss. „Wir brauchen Investitionen in diesem Land, sonst wird Deutschland deindustrialisiert. Wir haben ein Möglichkeitsfenster, aber wir müssen dann jetzt auch handeln und Deutschland und Europa als Industriestandort erhalten und stärken.“ Das könne man schon erwarten von der Politik. „Wir dürfen hier keine Zeit verlieren und Verunsicherung erzeugen.“
Klöckner beharrt derweil auf ihrem Standpunkt. „Wir müssen einen Gesamtkomplex miteinander besprechen. Und das werden wir nicht hier auf der Bühne machen, nur weil Herr Habeck mir mal was zuruft.“
Wirtschaftsvertreter wiederum weisen darauf hin, dass eine Einigung zwischen Rest-Regierung und Opposition kein strategischer Durchbruch für das Thema Netzentgelte wäre. Das gibt auch Habeck zu.
„Wenn wir es wirklich ernst miteinander diskutieren, müssen wir uns eingestehen, dass die Dimension der Investition viel höher ist als das, was bisher in den Haushalten veranschlagt wurde.“ Er selbst rechnet mit Kosten in Höhe von rund elf Milliarden Euro – und zwar pro Jahr. „Entweder machen wir das Land wettbewerbsfähig, indem wir massiv investieren. Oder wir hören auf, darüber zu reden, dass wir investieren müssen, wenn wir die Bedingungen dafür nicht schaffen.“
Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie über Recycling und Mittelstandsunternehmen.