Netflix-Krimiserie „Achtsam Morden“ mit Tom Schilling | ABC-Z
Nachdem die auf gestresste Gutverdiener abzielende Coaching-Mafia mit ihrem Stoizismus für Doofe („Seneca für Manager“) kaum noch Kunden gefunden hatte, musste eine neue Methode her. Man schielte zu den Yogaschulen und stieß auf das buddhistische Konzept der Achtsamkeit, was so etwas zu sein schien wie Stoizismus für besonders Doofe. Atmen kann schließlich jeder. Schon brummte der Laden wieder. Den westlichen Achtsamkeits-Kult satirisch überspitzt aufs ebenfalls stressige Morden auszuweiten, hat schon seinen kleinen Reiz. Und der reichte offenbar, um dem Roman „Achtsam morden“ (2019) des kurzweilige Bücher schreibenden Rechtsanwalts Karsten Dusse einen so immensen nationalen wie internationalen Erfolg zu sichern, dass er gleich zur – inzwischen ziemlich ächzenden – Krimireihe hochskaliert wurde.
Die Verfilmung des Stoffs war so sicher wie das Aus- nach dem Einatmen. Dusses Literaturagent hat die Rechte der Constantin Film bereits angeboten, noch bevor der erste Band erschienen war. Doron Wisotzky adaptierte den Roman in ein schwarzhumoriges Seriendrehbuch, und Tom Schilling sagte laut Constantin-Geschäftsführer Jan Ehlert sofort zu, den anfangs betont unscheinbaren, von allen unterschätzten Anwalt Björn Diemel zu spielen, der als juristische Allzweckwaffe des Berliner Unterweltbosses Dragan (Sascha Alexander Geršak) – „Drogen, Prostituierte, Waffen“ – ein stattliches Salär verdient, dafür aber auch seine Seele verkauft hat: „Ich verdiente mein Geld, indem ich schlechten Menschen Gutes tat.“
Für Björns niedliche Tochter Emily (Pamuk Pilavci) bleibt da zu wenig Zeit, selbst das allererste Vater-Tochter-Wochenende wird von dringendem Mafiagedöns überlagert. So seufzt sich Schilling, fast ertrinkend in seinem Anzug, durch einen Großteil der ersten Folge, nennt seine Mandanten erfrischend „Vollasis“ und lässt sich auf das vielleicht letzte Angebot der mit endgültigem Bruch drohenden Ehefrau (Emily Cox) ein: ein Achtsamkeitskurs bei einem auf Hirschhausen getrimmten Trainer (Peter Jordan).
Natürlich hagelt es dabei Klischees von der fast obszönen Beige-Optik über die Hier-gibt-es-nur-Tee-Maxime bis zur punktgenau treffenden Charakteranalyse. Des Gurus Tipps für alle Lebenslagen – im Kern: Atmen statt Ausflippen – werden im Laufe der Serie in zigfacher Reformulierung immer wieder schwummrig umrandet eingeblendet, Diemels in Notlagen zu aktivierende Superpower. Würde er dabei noch an der Nase reiben, wäre man zurück bei „Wickie und die starken Männer“.
Ein Plot wie vor 16 Jahren in „Breaking Bad“
Der Anwalt entledigt sich also seiner Probleme auf achtsam blutige Weise, angefangen mit Dragan. Das wissen wir von Beginn an, denn erzählt wird im Kurzzeitrückblick. Freilich muss er Dragans Tod vor dessen Gang verheimlichen, also die Geschäfte des vorgeblich Untergetauchten weiterführen. Bald befindet sich Diemel in einem veritablen Bandenkrieg, in dem er sich mit seiner Superpower bewährt.
Das ist schon der ganze Plot, und der funktioniert auch 16 Jahre nach „Breaking Bad“ noch. Eng angelehnt ans große Vorbild hat man sich zudem im Hinblick auf die makaber-komische Drastik der ersten Leichenentsorgung. Dass nach dem Häcksler-Massaker die Spurensucher der Polizei keine DNA-Krümel mehr vorfinden, ist so unwahrscheinlich wie egal in einer Typenkomödie. Wichtiger ist, dass die Polizistin Nicole (Britta Hammelstein), eine alte Bekannte Björns, durchaus den richtigen Riecher hat und fortan auch noch gehandhabt werden muss.
Murathan Muslu und Marc Hosemann in Höchstform
Ein bisschen mehr anarchische Psychologie à la Detlev Buck hätte schon gutgetan. Doch so stereotyp die gewalttätige, aber geistig beschränkte Mafiaszene, die linkstumbe Kindergarten-Zauselcommunity oder das glatte Obermittelklasseleben von Diemels Familie dargestellt werden in Martina Pluras Regie (in einigen Folgen kam Max Zähle hinzu), so lustig ist das Ergebnis. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Murathan Muslu und Marc Hosemann zwei von Dragans Bandenkriegern spielen, einen weichherzigen und einen cholerischen: Beide tun das mit mitreißendem Enthusiasmus. Manche Dialoge haben zudem einen netten Clou: „Der Weg wird nicht kürzer, wenn man rennt“, doziert der Kalendersprüche-Guru etwa, muss jedoch einsehen, dass Diemels Antwort so dumm auch nicht ist: „Aber man ist trotzdem schneller am Ziel.“
Den zu Hochform auflaufenden Hauptdarsteller immer wieder durch die vierte Wand direkt zum Zuschauer sprechen zu lassen – eine den Schirach-Verfilmungen verwandte Ansprechhaltung, nur in sarkastischer Variante und sogar bis zu Gesprächen mit den anderen Figuren auf einer Metaebene erweitert –, war eine gute Entscheidung, weil man so nicht mit der doch etwas schütteren Handlungsebene alleingelassen wird. Da nämlich hält Diemel die misstrauischen Ganoven einfach mit immer weiteren Ausreden hin, oder es werden, Mörder-Gag, Kitaplätze in Berlin zu einer Polizei wie Kriminelle bestechenden Währung.
Zum Finale hin weicht die Dimension der Krimipersiflage auf Ratgeberliteratur mehr und mehr einer immer blutigeren Selbstjustizkomödie, und auch die Narration wird cleverer. „Achtsam Morden“ ist kein Meisterwerk, aber eroberte nicht ganz grundlos sofort Platz 1 der deutschen Netflix-Seriencharts.
„Achtsam Morden“ ist auf Netflix abrufbar.