Kultur

NDR: “Hier wird niemand gecancelt” | ABC-Z

Hektische Tage liegen hinter dem NDR. Es prasselte Kritik auf den öffentlich-rechtlichen Sender ein, weil dieser sich von einer jungen, konservativen Moderatorin trennt. Nun ist klar, wie es weitergeht. Die Sendung “Klar” wird künftig auch von Tanit Koch moderiert, die früher RTL- und “Bild”-Chefredakteurin war. Zudem kommt “Klar” nun neu unter die Verantwortung der Hauptprogrammbereichsleiterin Juliane von Schwerin, die unter anderem bereits für die Talkshow mit Caren Miosga und das Investigativ-Format “Strg_F” zuständig ist. Im Gespräch erläutert von Schwerin, was sie von Koch und von “Klar” erwartet – und warum diese Sendung und die neue Moderatorin aus ihrer Sicht zum NDR passen.

DIE ZEIT: Der NDR will
nicht mehr mit der für ihre konservative Haltung bekannt gewordenen Moderatorin
Julia Ruhs arbeiten. Das hat diese Woche ziemliche Wellen geschlagen. Was
erhoffen Sie sich von der Nachfolgerin Tanit Koch?

Juliane von Schwerin: Tanit
Koch schätze ich als eine sehr renommierte und erfahrene Journalistin. Und sie
hat einen fundierten Einblick in die Politik. Ich glaube, dass wir uns mit ihr einen
Blick von außen ins Team holen, der uns guttut und zu unserer Sendung Klar passt.

ZEIT: Koch tritt ein
schwieriges Erbe an. Ihre Vorgängerin Julia Ruhs wird ja weiterhin jede zweite Folge
moderieren. Grund dafür ist, dass Klar eine gemeinsame Sendung mit dem
Bayerischen Rundfunk ist, und dieser mit Ruhs als Moderatorin weitermachen
will. Insofern wechseln sich die beiden nun Folge für Folge ab. Wie soll das
gut gehen?

Juliane von Schwerin, Leiterin des Programmbereichs Gesellschaft im NDR © NDR/​Hendrik Lüders

Von Schwerin: Wichtig
ist, dass Tanit Koch dieses Format nicht nur als Moderatorin präsentieren wird,
sondern auch redaktionell an dem Format mitarbeiten wird. Es geht uns bei Klar vor allem um Themen, die unsere Gesellschaft nicht nur beschäftigen,
sondern auch belasten, schwierige Themen, bei denen manche Zuschauerinnen und
Zuschauer das Gefühl haben, sie werden nicht ausreichend behandelt. Sie sehen
es an den ersten drei Folgen: Darin ging es um irreguläre Migration, die
langfristigen Folgen von Corona für die Gesellschaft und den Frust der Bauern.

ZEIT: Der Eindruck der vergangenen Woche war, dass der NDR es bei Klar mit einem konservativeren Format versucht hatte, es aber doch nicht so ganz ernst mit der Vielfalt nahm und den Versuch abbrach, eine konservative Stimme zu etablieren. Wofür steht nun Tanit Koch in diesem Zusammenhang? 

Von Schwerin: Wir
brauchen im NDR eine Vielfalt der Stimmen, und dazu gehören ganz ausdrücklich
auch konservativere Stimmen. Am Ende geht es aber vor allem um journalistisches
Handwerk, und Tanit Koch ist eine sehr erfahrene Journalistin. Und noch ein
Wort zu Klar: Wir im NDR haben dieses Format entwickelt und konzipiert, und
nun ist die Pilotphase vorüber. Klar geht in den Regelbetrieb, wie wir das
nennen, und da ist es normal, dass wir auch die Redaktion und Struktur anschauen
und noch einmal etwas verändern.

ZEIT: Wie wollen Sie
verhindern, dass die neue Kollegin von den internen linksliberalen Kritikern im
NDR so scharf und kollektiv angegangen wird wie zuvor Julia Ruhs?

Von Schwerin: Ich tue
mich schwer mit den Einordnungen von rechts und links und so weiter. Die
Kritik, die es vor allem an der ersten Folge gab, hat sich an mehreren Szenen,
dem journalistischen Handwerk entzündet, nicht an den politischen Überzeugungen
der Moderatorin. Schon die zweite und dritte Folge von Klar sind meiner
Meinung nach viel besser gelungen. Und grundsätzlich: Der NDR ist ein großes,
liberales Haus, in dem gerne diskutiert und auch gestritten wird. Das macht
guten Journalismus aus. Und um das deutlich zu sagen: Hier wird niemand
gecancelt.

ZEIT: Wird sich denn Anja
Reschke zurückhalten? Und ihre Sendung Reschke Fernsehen nicht, wie im Juli
geschehen, gegen die neue Kollegin im eigenen Sender richten?

Von Schwerin: Davon gehe
ich aus. Aber wir sind ein freies und offenes, journalistisches Haus. Da
schreiben wir niemandem vor, was er oder sie tut.

ZEIT: Wie bewerten Sie
den Eklat um Julia Ruhs rückblickend? Was hätte der NDR anders machen können,
anders machen müssen?

Von Schwerin: Wir haben
das Format im NDR entwickelt, weil wir davon überzeugt sind, dass wir viele
Themen und Perspektiven in der Gesellschaft abbilden müssen und wollen. Das tun
wir auch in anderen Formaten. Mit Klar wollen wir aber noch mal einen neuen
Akzent setzen. Und es ist normal, dass sich so eine Sendung über die ersten
Folgen entwickelt und weitergedacht wird. Solche Prozesse werden aber
üblicherweise intern geführt. Dass die Diskussion um die Moderatorin so laut
und vor allem extern geführt wurde, ist ein misslicher Vorgang, an dem wir durch
unsere Kommunikation auch unseren Anteil haben.

ZEIT: Der
Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hat am gestrigen Donnerstag gesagt, der
öffentlich-rechtliche Rundfunk dürfe “kein Filter für genehme Gesinnung sein.
Sein Auftrag ist es, die ganze Breite gesellschaftlicher Stimmen abzubilden,
gerade auch jene, die Redaktionen unbequem erscheinen mögen”.

Von Schwerin: Beim
Auftrag stimme ich Herrn Weimer voll und ganz zu. Und “genehme Gesinnung” – egal von welcher Seite – ist kein
journalistisches Kriterium.

ZEIT: Wie relevant ist
das, was der NDR mit der Sendung Klar versucht, im Kontext einer neuen
Umfrage, die die AfD bundesweit auf gleicher Höhe wie die Union sieht?

Von Schwerin: Unser
Auftrag ist es, die gesamte Gesellschaft zu erreichen und die Bandbreite der
Meinungen und Haltungen abzubilden, solange sie auf dem Boden des Grundgesetzes
stehen. Darum bemühen wir uns jeden Tag – und zwar in allen Redaktionen. Bei Klar
haben wir uns Themen rausgesucht, die in der Gesellschaft besonders strittig
diskutiert werden. Und dass darüber eine große Diskussion – auch im eigenen
Haus – entsteht, liegt genau an diesen Themen. Das mag schmerzen. Aber wir
müssen diese Diskussion aushalten. Nicht zuletzt davon lebt eine Demokratie.

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