NBA-Playoffs: Wagner-Brüder scheiden mit Orlando aus – Sport | ABC-Z
Wer Franz Wagner in diesem Moment sah, der wusste, dass es vorbei war. Niemand, der noch gewinnen wird, steht so da wie der deutsche Basketballprofi zwei Minuten vor dem Ende der Partie seiner Orlando Magic bei den Cleveland Cavaliers. Wer gewinnen wird, bewegt sich so wie Gegenspieler Donovan Mitchell. Der klopfte sich mit der Faust gegen die Brust und fuchtelte danach wild mit den Armen als Zeichen ans Publikum: Das war’s!
Wagner dagegen stützte sich auf den Knien ab, er japste nach Luft, die blauen Flecken an Schultern und Oberarmen waren nicht zu übersehen, der Blick wirkte leer. Er sendete die gleiche Botschaft wie Mitchell, nur eben aus der Sicht dessen, der weiß, dass nichts mehr gehen wird: Das war’s, und kurz darauf war es das auch – die Partie, die Erstrunden-Play off-Serie, die Saison für Orlando Magic. “Es tut wirklich weh”, sagte er ein paar Minuten später in den Katakomben der Halle.
Playoffs sind Kopfsache
Natürlich ist die Beurteilung von Sportereignissen hinterher stets einfacher – gerade in der Sportart Basketball, bekannt als “Game of Runs”, in der die Kombination aus eigenem Lauf mit Zitterhand-Krise des Gegners eine Partie innerhalb weniger Minuten komplett drehen kann. Man braucht kein Diplom in Sport-Psychologie, um zu erklären, wie Cleveland, angeführt vom durch 50 Playoff-Partien gestählten Mitchell und angefeuert vom fanatischen Publikum in Cleveland, trotz 17-Punkte-Rückstand die Ruhe bewahrte, sich langsam zurück arbeitete und dann plötzlich wirkte, als könnte ihnen kein Fehlpass oder Fehlwurf unterlaufen.
Und warum Magic, deren fünf Stammspieler insgesamt auf weniger Playoff-Erfahrung (44 Spiele) kommen als Mitchell alleine, plötzlich wirkte, als hätten sie nie Profi-Basketball gespielt: Pässe ins Nirgendwo, wilde Würfe ohne Chance auf Erfolg, geradezu groteske Ballverluste. Es mag banal klingen – aber das tut es nur, weil es wahr ist: Basketball-Playoffs sind Kopfsache.
106:94 hieß es am Ende für Cleveland, und während die Magic-Spieler mit hängenden Köpfen zur Kabine schlurften, durfte Mitchell (39 Punkte) floskeln: “Wir haben immer an uns geglaubt.” Es gibt genügend Bilder von Mitchell, auf denen er so aussieht wie Wagner am Sonntag; ihm wurde gerade während seiner Zeit bei Utah Jazz (2017-22) vorgeworfen, in entscheidenden Momenten entscheidender Spiele zitternde Hände bekommen zu haben. Die viel spannendere Frage deshalb: Warum es mittelfristig eine positive Erfahrung sein könnte für Wagner, dass er in dieser Partie nur einen von 15 Versuchen traf und bereits zwei Minuten vor dem Ende wusste: Das war’s! Dass die Kollegen Paolo Banchero (38 Punkte, indes nur 14 in der zweiten Halbzeit) und Jalen Suggs (zwei von 13 Versuchen) ebenso konsterniert daherkamen.
Dass dieser Moment, diese Partie und diese Serie irgendwann gewertet werden als: Entstehung eines Titelkandidaten.
Je schwerer, desto besser
Das junge Team aus Orlando – Durchschnittsalter: 24,3 – hatte sich eine siebte Partie erspielt, zum ersten Mal in den Laufbahnen der jungen Stars Banchero (21 Jahre), Franz Wagner und Suggs (beide 22). “Das wird nicht leicht; aber wir wollen auch gar nicht, dass es leicht wird – je schwerer es sein wird, desto besser werden wir sein”, hatte Magic Trainer Jamahl Mosley vor der Partie gesagt. Sein Team hatte in der regulären Saison 47 Partien gewonnen, nur eine weniger als Cleveland, doch machte genau das dieses Duell umso schwieriger für Orlando.
Beide Teams hatten jeweils alle drei Heimspiele gewonnen, deshalb kam es zu dem, was die Amerikaner die beiden schönsten Worte im Profisport nennen: Spiel sieben! Eine Entscheidungspartie um den Einzug in die zweite Runde gegen die Boston Celtics; das Team mit der deutlich besten Bilanz (64:18) der NBA-Saison. “Spiel sieben, auswärts: Die Jungs freuen sich darauf”, sagte Mosley, der bekannt ist dafür, die Entwicklung dem kurzfristigen Erfolg vorzuziehen: “Daran können wir wachsen, daraus können wir lernen.”
Also dann, Spiel sieben, das Rätsel an Orlando war, neben dem Umgang mit dem Höllenlärm: Wie soll man Mitchell stoppen, der in Spiel sechs 50 Punkte erzielt hatte und im Schlussviertel alle 18 Zähler seines Teams? Soll man, und diese Frage gibt es schon seit Michael-Jordan-Zeiten, Mitchell mit zwei oder drei Gegenspielern attackieren – aber dafür seine Mitspieler unbewacht lassen? Oder sollte man sämtliche Passwege zuzustellen und Mitchell somit auffordern: Okay, dann versuche doch mal, es alleine zu richten! Es gibt kein gut und schlecht, es gibt nur hinterher das Urteil hat funktioniert oder hat nicht funktioniert.
Mosley probierte es mit der Fußball-Jugendtrainer-Taktik: Er beauftragte Suggs, Mitchell überallhin zu folgen, notfalls bis zur Toilette. Das funktionierte – bis es nicht mehr funktionierte. Man kann Mosley vorwerfen, dass er keine Variante bot, als es nicht mehr klappte. Dass er in der Offensive allzu sehr darauf hoffte, dass einer seiner drei Jungstars schon wieder treffen würde. Dass er den erfahrenen und in diesen Momenten oft treffsicheren Joe Ingles (57 Playoff-Partien) oder seinen emotionalen Anführer Moritz Wagner in der Krise auf der Bank ließ.
Ein Gedanke dazu: Mosley, der seinen Vertrag kürzlich bis 2028 verlängert hat, ließ seine jungen Akteure ganz bewusst auf dem Parkett, damit sie diese Erfahrung machen – entweder als “Schau’ mal, wir können Spiel sieben in fremder Halle gewinnen” oder “So fühlt sich das an, wenn man Spiel sieben verliert”. Mosley will einen Titelkandidaten formen, mit Banchero, Wagner und Suggs im Zentrum; und wer die Karrieren der ganz großen Gewinner dieser Sportart kennt, der weiß, dass es gerade die bitteren Niederlagen für Jordan (1990 gegen die Detroit Pistons) oder James (die Finalserie 2011 gegen die Dallas Mavericks von Dirk Nowitzki) waren, die sie erst zu Champions wachsen ließen.
“Ich habe gelernt, wie mental dieses Spiel ist, welche Auf und Ab es in einer Serie geben kann; wie man das auswärts noch verlieren kann”, sagte Wagner danach: “Es ist schlimm, dass eine Saison so endet, das tut wirklich weh; ich habe schon das Gefühl, dass ich mein Team ein bisschen im Stich gelassen habe.” Er wirkte traurig, gewiss, sein Blick sagte aber etwas anderes. Wer ihn in diesem Moment sah, in den Katakomben nach der Niederlage in Spiel sieben, der wusste: Das war’s. Wagner wird so ziemlich alles tun, um das nie wieder erleben zu müssen.