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Nationalspieler Marc Michaelis bei der Eishockey-WM: Rückkehr in Raten – Sport | ABC-Z

Irgendwann. Das klingt nach: viel Zeit. Weit weg. Über das, was irgendwann ist, macht man sich Gedanken, wenn es so weit ist. Irgendwann eben.

Marc Michaelis hat gelernt, dass irgendwann sehr bald sein kann.

Im Frühjahr 2023 entdeckten die Ärzte eine Thrombose bei dem damals 27-Jährigen, ein Blutgerinnsel in der Vene unter dem rechten Schlüsselbein, das operativ entfernt werden musste. Es kam zu Komplikationen und weiteren Operationen. Am Ende war der Blutpfropfen entfernt. Aber auch ein Stück Rippe. Und Michaelis stand plötzlich vor der Frage, wie es mit ihm als Eishockeyspieler weitergehen soll. Ob es überhaupt weitergehen kann.

Michaelis redet nicht gern über diese Phase im vergangenen Jahr. Er nennt sie den “Prozess”. Nach dem 6:4-Auftaktsieg der deutschen Nationalmannschaft bei der Eishockey-WM in Tschechien gegen die Slowakei kam Michaelis in der Mixed Zone doch noch einmal darauf zu sprechen, es fragt ihn ja jeder danach. Er hatte zur 4:2-Führung getroffen und sollte beschreiben, was bei seinem darauf folgenden Jubel alles aus ihm herausgekommen sei. Er schluckte, seine Augen röteten sich, dann sagte er: “Es war eine harte Zeit für mich.”

Körperlich geht es Michaelis längst wieder gut, seine Leistungen beim EV Zug in der Schweizer National League und bei der Weltmeisterschaft beweisen es. In vier Spielen hat der Stürmer zweimal selbst getroffen, drei weitere Treffer vorbereitet. Seine Reihe mit den Kollegen Yasin Ehliz (7 Scorerpunkte) und Leo Pföderl (6) punktete in allen Partien, auch bei den beiden Niederlagen gegen die USA und Schweden. Für die Reihe sei das schön. Aber Michaelis sieht sich als Mannschaftsspieler. Und bei der Mannschaft hätten diese beiden Partien kein gutes Gefühl hinterlassen.

Beim Nationalteam gebe es “viele persönlichen Beziehungen, das tut auch mental gut”

Am Dienstag sprachen sich die Spieler ohne die Coaches in der Kabine aus. Michaelis ist keiner, der dann das große Wort führt. Wer ihn interviewt, muss ganz genau hinhören. Der 28-Jährige spricht leise, bedacht, nimmt sich Zeit für seine Antworten. Umso mehr lohnt es sich hinzuhören. “Der Marc ist ein ganz, ganz feiner Junge”, sagt Kapitän Moritz Müller. Der 37-Jährige kann sich Michaelis sogar als seinen Nachfolger vorstellen: “Er hat das Potenzial, ein Leader zu werden – das ist er schon – und auch irgendwann Kapitän. Vielleicht auch hier bei der Nationalmannschaft.”

Irgendwann. Warum nicht? Die Nationalmannschaft bedeutet Michaelis viel. Im Verein, sagt er, “geht es viel um einen selbst, um den Vertrag, wie man mit dem Trainer klarkommt”. Zur Nationalmannschaft zu kommen, sei immer, wie nach Hause zu kommen: “Man hat diese vielen persönlichen Beziehungen. Das tut auch mental gut.”

Debüt in Dänemark: Marc Michaelis (rechts) bei der WM 2018 im Spiel gegen die USA. (Foto: Blatterspiel/Huebner/Imago)

Als Michaelis 2018 mit 22 Jahren bei der WM in Dänemark in der Nationalmannschaft debütierte, befand sich das Team im Umbruch. Nach der Olympia-Silbermedaille hatten Leistungsträger wie Christian Ehrhoff, Marcel Goc und Patrick Reimer ihren Rücktritt erklärt. Mit dem Namen Michaelis konnten damals nur Experten etwas anfangen. Dabei spielte der gebürtige Mannheimer im Nachwuchs schon mit Dominik Kahun und Leon Draisaitl zusammen. Das Trio setzte in der Schüler-Bundesliga neue Maßstäbe. In der Saison 2010/11 kamen sie in 35 Spielen zusammen auf 537 Scorerpunkte – Michaelis vorwiegend als Vorbereiter, der, der die anderen glänzen lässt, wie im Nationalteam. “Ich sage ihm immer, er soll auch mal schießen”, sagt Teamkollege Kahun, und Michaelis lacht: “Ich weiß. Ich wollte mir schon auf den Schläger schreiben: schießen, schießen, schießen. Aber ich passe lieber.” Immerhin: Das Tor zum 6:0 beim 8:1 gegen die Letten war bereits sein siebter Treffer im 25. WM Spiel.

Großes Vorbild: der Mannheimer Nationalstürmer und NHL-Profi Jochen Hecht, rechts in einer Partie mit den Buffalo Sabres gegen die Boston Bruins. (Foto: Rick Stewart/AFP)

Zu seinen Vorbildern zählte der Mannheimer Jochen Hecht, der 14 Jahre lang in der NHL spielte. “Ich hab’ ihm auch mal einen Brief in die USA geschrieben, ob er mir eine Autogrammkarte schicken kann.” Einige Monate später kam die Karte, “das war natürlich ein absolutes Highlight”. Wie Hecht wollte er sein, wie sein Idol in der NHL spielen. Also verließ er mit 18 Jahren Mannheim und ging nach Minnesota. “Meine Priorität war Eishockey, aber ich wollte auch aufs College gehen.” Michaelis studierte Finanzwesen an der Minnesota State University in Mankato und schaffte als Kapitän seiner College-Mannschaft tatsächlich den Sprung in die NHL. Aber nach 15 Spielen ohne Torbeteiligung für die Vancouver Canucks, in leeren Hallen während der Pandemie, war seine NHL-Karriere vorbei. Nach einem Jahr in der zweitklassigen AHL beschloss Michaelis zum ersten Mal zurückzukehren, nach Europa.

Ein Rückschritt? Michaelis weiß, dass auf deutschen Schreibtischen viele Stempel mit dem Urteil gescheitert liegen. Was war für ihn schwieriger: sein Elternhaus als Teenager zu verlassen oder die Rückkehr zehn Jahre später? “Für mich war beides einfach. Mit 18, 19 weißt du noch relativ wenig vom Leben. Du lässt alles zurück, Familie, Freunde, alles ist neu, deine Gastfamilie, die Sprache. Du wächst als Person, du entwickelst dich.” Auch als Spieler. “Ich war mal gelernter Außenstürmer, der nur offensiv gedacht hat”, sagt Michaelis. Sein College-Trainer Mike Hastings habe dann aus ihm einen Stürmer gemacht, “den man überall einsetzen kann: rechts, links, Mitte, Powerplay, Unterzahl, egal.” Michaelis hätte weiter in Nordamerika spielen können. “Aber irgendwann war’s für mich Zeit.”

Nächste Saison kehrt Michaelis nach Mannheim zurück

In der Schweiz, erst in Langnau, dann in Zug war er einer der Führungsspieler. Und doch beschloss er zum zweiten Mal, zurückzukehren, nach Hause diesmal. Er habe seinem Vater viel zu verdanken, sagt Michaelis. Und weil sein Vater Dauerkartenbesitzer in Mannheim war, sollte der Vater ihn auch im Adler-Trikot spielen sehen, irgendwann. Das war eine Woche vor der WM. Drei Tage vor dem WM-Start vermeldeten die Adler Michaelis als Zugang für die kommende Saison.

“Wir sind die goldene Generation”, sagt Michaelis und lacht: “die selbst ernannte goldene Generation.” Er meint den Jahrgang 1995 mit Draisaitl, Kahun und Nico Sturm, der wie er ans College gegangen ist und sich in die NHL gebissen hat. Während Kahun und Sturm Olympia- und WM-Silber gewonnen haben, muss Michaelis aber noch auf seine erste Medaille mit der Nationalmannschaft warten. 2018 kam er zu spät dazu, und 2023, nun ja: “War nicht leicht zuzuschauen. Ich wäre schon mal gern dabei.” Irgendwann.

Mit Siegen gegen Kasachstan am Freitag und Polen am Samstag (jeweils 16.20 Uhr, Pro7 und Magentasport) wäre das Viertelfinale bei dieser WM schon mal erreicht. Und wenn es auch diesmal nicht klappen sollte, sondern erst – irgendwann? Durch die Thrombose habe er “ein anderes Mindset” bekommen, sagt Michaelis. “Egal, wie groß das Spiel ist: Du spielst ein Spiel. Dein Leben hängt nicht davon ab.” Die Rippe habe er verbrennen lassen. “Der Arzt hat sie mir gezeigt. Aber ich wollte sie nicht als Andenken behalten.” Dieser Prozess ist abgeschlossen.

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