Nationalmannschaft: „Positive Stimmung erzeugen in Momenten, die nicht leicht sind auf politischer Ebene“ | ABC-Z
Den Stellenwert des Fußballs will Julian Nagelsmann angesichts der politischen Turbulenzen nicht überhöhen. Für etwas bessere Stimmung will der Bundestrainer trotzdem sorgen. Was die offene Entscheidung von Youngster Paul Wanner betrifft, gibt sich Nagelsmann entspannt.
Immerhin, der Regen hatte aufgehört, als Julian Nagelsmann zum Training bat. In Frankfurt/Main auf dem Campus des DFB tat er das – und nicht in Herzogenaurach, wo der Bundestrainer mit der deutschen Nationalmannschaft während der EM gewohnt hatte. Ob des Wohlfühlfaktors war der Tross im Anschluss an das Turnier noch zweimal dort gewesen. Nun also wieder Frankfurt.
Der Coach war gut aufgelegt, als er gut eine Stunde vor Trainingsbeginn im Medienraum Platz nahm. Klar in dem, was er sagte. Fokussiert.
Vor knapp einem Jahr hatte Nagelsmann ebenfalls am Campus mit den Spielern trainiert. In Vorbereitung auf zwei Testspiele, die das Nationalteam dann verlor. 2:3 in Berlin gegen die Türkei, 0:2 in Wien gegen Österreich. „Wie geschlagene Hunde“ hätten die Spieler in der Kabine gesessen, erinnerte sich Nagelsmann später mal. Er selbst sei „niedergeschmettert“ gewesen.
Aber – und da ist man dann auch schon schnell bei dem, was sich im Vergleich zu den Partien am 18. und 21. November 2023 unter Nagelsmann seither verändert hat: Der Coach erkannte in der Krise damals auch das Positive. Und nur so, betonte er erst vor wenigen Tagen in einem Interview mit dem BR wieder, habe er einschneidende Maßnahmen noch vor der EM treffen können. Der Coach rief das Leistungsprinzip nicht nur aus, er setzte darauf – und schaffte es, der Mannschaft binnen weniger Monate nicht nur eine spielerische Identität zu geben, sondern auch ein neues Selbstverständnis. Eines, das beinhaltet, auch ohne Bestbesetzung Top-Mannschaften dominieren zu wollen.
Vorbilder Argentinien und Spanien
„Generell will ich, dass wir in den Bus einsteigen, zum Spiel fahren und jeder das Selbstverständnis hat: Na klar gewinnen wir heute, wir sind Deutschland, wir sind eine Fußballnation, wir gewinnen. Und es geht einfach nur über eine Konstanz“, hatte er unlängst gesagt – und als Beispiel das 2:1 in Bosnien-Herzegowina im Oktober angeführt.
Gegen Bosnien-Herzegowina spielt die deutsche Elf in der Nations League am Samstag in Freiburg (20.45 Uhr/RTL), drei Tage später dann in Budapest gegen Ungarn (20.45 Uhr/ZDF). Es sind die letzten beiden Länderspiele in diesem Jahr. Den Einzug ins Viertelfinale der Nations League hat die DFB-Elf geschafft, nun soll der Gruppensieg klargemacht werden. Dadurch dürfte in der ersten K.-o.-Runde des Uefa-Wettbewerbs ein vermeintlich leichterer Gegner im März auf Nagelsmanns Team warten.
Spiele gewinnen, Titel gewinnen. Dieses Selbstverständnis der Vorbilder Argentinien als Weltmeister und Spanien als Nations-League-Sieger und Europameister will Nagelsmann weiter verinnerlichen. Der Bundestrainer hat viel vor. Er hat Visionen, Ziele, Wünsche.
Mit „Ja“ hatte Nagelsmann am vergangenen Wochenende bei einer Veranstaltung in München geantwortet, auf der er als Pate für insgesamt 22 in bayerischen Vereinen besonders engagierte Frauen und Männer fungierte und gefragt wurde, ob er versuchen wolle, mit zwei guten Spielen ein bisschen abzulenken von dem politischen Trouble, der hierzulande herrschen würde. Auf Nachfrage von WELT entgegnete Nagelsmann, dass man zwei wichtige Spiele vor der Brust habe, „die den Fußball in unserem Land betreffen. Und mit dem Fußball versuchen wir natürlich auch gern positive Stimmung zu erzeugen – in Momenten, die vielleicht nicht immer ganz leicht sind auf politischer Ebene“.
Vielleicht, so fuhr der Bundestrainer fort, würde es ja auch gelingen, „dem einen oder anderen Politiker ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern mit zwei guten 90 Minuten, der zuletzt nicht so viel zu lachen hatte. Aber ich will den Fußball jetzt auch nicht so groß machen, das heißt, dass wir die sind, die das Land verzaubern – in Phasen, wo es wichtigere Themen gibt.“
Ein neuer Geist, ein neues Wir-Gefühl
Einige Spieler, ließ Nagelsmann am wissen, seien angeschlagen. Angereist seien sie dennoch – und genau das sprach er dann auch an, als er gefragt wurde, was sich im Vergleich zu den Partien gegen die Türkei und Österreich im vergangenen November am grundlegendsten geändert hätte. „Einige Spieler sind angeschlagen, doch trotzdem sind alle da. Vor einem Jahr, glaube ich, hätten einige eventuell angerufen und gesagt: Ich kann nicht kommen.“
Worte, die viel Aussagekraft in Bezug auf das Klima innerhalb der deutschen Mannschaft haben. Unter Nagelsmann ist etwas Neues entstanden. Ein neuer Geist, ein neues Wir-Gefühl. Die Spieler, die von Nagelsmann und seinem Team auserkoren werden, haben Lust zum Nationalteam zu reisen – einem Nationalteam, das inzwischen auch wieder großen Anklang in der Öffentlichkeit findet.
So wichtig die anstehenden zwei Spiele auch sind, Nagelsmann macht keinen Hehl daraus, sich schon jetzt Gedanken darüber zu machen, wie das Jahr 2025 inhaltlich gestaltet werden soll – auch im Hinblick auf die WM 2026. Für das Turnier in den USA, Mexiko und Kanada beginnt die Qualifikation Mitte kommenden Jahres. „Wenn wir nur denselben Stiefel spielen bis zur WM 2026, sind wir zu leicht ausrechenbar. Wir werden schon versuchen, neue Dinge in unser Spiel zu bringen. Es wird nicht immer das Gleiche geben“, sagte der Bundestrainer. Man werde natürlich bestimmte Spielsituation üben und auch individuell mit den Spielern arbeiten, so es denn die Zeit erlauben würde. Letzteres, sagte Nagelsmann, würde in enger Absprache mit den Vereinstrainern erfolgen, mit denen er darüber gesprochen hätte.
Nagelsmann hofft weiter auf Talent Wanner
Was die bevorstehenden zwei Länderspiele betrifft, hofft Julian Nagelsmann auf einen guten Jahresabschluss. Dies habe er auch der Mannschaft gesagt. Wohl wissend, dass es ein schmaler Grat zwischen den Ambitionen sei, die man habe, und dem Anspruch, gleichzeitig den Klubs gerecht zu werden. Letzteres bezog er auf seine Verantwortung als Bundestrainer, die Belastung entsprechend zu steuern.
Entspannt gab sich der Coach am übrigens auch, als er auf Paul Wanner angesprochen wurde. Der 18-jährige Offensivspieler hatte jüngst die Einladung Nagelsmanns zu den Länderspielen ausgeschlagen. Wanner, der vom FC Bayern an den 1. FC Heidenheim ausgeliehen ist, muss sich noch entscheiden, ob er künftig für Deutschland oder Österreich spielen möchte. Beide Verbände sind interessiert. „Ich fand die Absage nicht dramatisch, das wird sehr heiß gekocht“, sagte Nagelsmann und betonte: „Die Aussage, die er getroffen hat, ist sehr reif, sehr gut für 18 Jahre, dass er sich einfach noch nicht auf dem Niveau sieht.“
Derzeit kommt Wanner in der deutschen U21 zum Einsatz. Für Nagelsmann ist es wichtig, dass es ein Spieler aus voller Überzeugung mache, dass er stolz sei, für seine Nation zu spielen. Wanner wurde in Österreich geboren, wuchs größtenteils in Deutschland auf. Für den Deutschen Fußball-Bund lief er auch in der U17, U18 und U20 auf. Seine Mutter ist Österreicherin, sein Vater Deutscher. Der Offensivspieler hatte wiederholt gesagt, dass er bei seiner Nationalmannschaftszukunft nichts überstürzen will und am liebsten erst mal ein Jahr Bundesliga spielen möchte.
„Wir haben schon die Fantasie, dass er bei uns auch für einen WM-Kader eine Rolle spielen kann, wenn es in der Entwicklung gut weitergeht“, ergänzte Nagelsmann, der guter Dinge ist: „Er hat jetzt nicht gesagt: ‚Du bist ein Vollblinder und ich habe keine Lust, unter dir zu trainieren‘. Sondern er hat ja eine gute Begründung und dann ist es auch okay für mich.“