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Nadia Loschky inszeniert „Lulu“ an der Oper Frankfurt | ABC-Z

Durch den Klassiker feministischer Musiktheaterreflexion „Die Frau in der Oper: Besiegt, verraten und verkauft“ der französischen Schriftstellerin Catherine Clément zieht „Lulu“ von Alban Berg eine traurige Spur. An der Haupt­figur von Bergs letzter Oper nach Frank Wedekinds Dramen „Der Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“ wird geradezu ein Exempel statuiert, wie Männer mit Frauen auf der Opernbühne um­gehen: Sie werden zum reinen Objekt ohne Gestaltungshoheit für ihr Leben; eigenes Begehren wird ihnen entweder abgesprochen oder aber dämonisiert, weshalb sie als sexuelles Verhängnis für den Mann aus dem Weg geräumt werden müssen.

„Lulu“, 1935 unvollendet von Berg hinterlassen und erst 1979 von Friedrich Cerha fertiggestellt, beschreibt dieses Geschlechterverhältnis zum einen als entwürdigend und inakzeptabel, fasst es aber zugleich wieder mythisch und damit als emanzipationsresistent. Darin ist das Stück, bei all seinem dialektischen Witz, wiederum problematisch und fällt in seinem Frauenbild zurück hinter die weitaus emanzipierten Gestalten bei Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal, ja, sogar hinter die fröhlich selbstbestimmt agierende Hanna Glawari in der „Lustigen Witwe“ von Franz Lehár.

Dieser Ambivalenz der „Lulu“ stellt sich die neue Inszenierung von Nadia Loschky an der Oper Frankfurt in der überaus delikaten musikalischen Leitung von Thomas Guggeis mit bewundernswerter Eleganz und hohem Formbewusstsein, das die Konturen psychologischer Analyse schärft. Durch die stilvoll-dezenten, in allen Schattierungen von beige und oliv gehaltenen Kostüme von Irina Spreckelmeyer wird das Stück in seiner Entstehungszeit, den frühen Dreißigerjahren, angesiedelt und das Geschlechterverhältnis damit klug historisiert. Aber durch die strenge ­Bühne von Katharina Schlipf – zwei in­einandergreifende halbrunde Wände, die durch Drehung den Raum öffnen oder schließen können – und durch eine genaue Choreographie der Auf- und Abgänge der Figuren wird das Geschehen zugleich abstrahiert von seinem historischen Entstehungsbiotop.

Loschky zeigt, wie Lulu am Anfang vom Tierbändiger (dem auch vokal kraftvollen Kihwan Sim) als „Erdgeist“ aus dem Gully gezogen wird. Dorthin verschwindet sie am Ende auch wieder. Diese Symmetrie wie jene der durchdachten Figurenbewegungen spiegelt in der Szene den „Symmetrie-Fetisch“ (so Guggeis in einem Interview des Programmhefts) von Bergs Komponieren. Berg hat das ganze Werk auf verschiedenen Zwölftonreihen aufgebaut, mehrere musikalische Spiegelachsen durch die Partitur gelegt und den Umschlagpunkt der Handlung vom gesellschaftlichen Auf- zum Abstieg Lulus (nach dem Mord an ihrem Mann Doktor Schön) durch ein Orchesterzwischenspiel markiert, das in sich selbst ein Palindrom ist.

Brenda Rae überzeugt durch Sparsamkeit

Zugleich bleibt dieser „Erdgeist“ als „Anima“ der Lulu, stumm gespielt von Evie Poaros, das ganze Stück über präsent. Diese Herkunft aus der Gosse kann Lulu auch in der besseren Gesellschaft nicht loswerden. Die Trennung von Herkunft und Zukunft, die Selbstdefinition durch Leistung, nicht durch Abstammung, ist in der Moderne jener Zeit noch ein Privileg der Männer. Lulu wird auf Herkunft und Körper reduziert; wo ihr der Weg ins Erwerbsleben versperrt ist, bleibt am Ende nur der Ausweg ins Gewerbe. Zugleich wird die Gefühls­kälte Lulus angesichts der toten Männer um sie verständlich: Sie bringt innerlich ihre Seele vor den Ansprüchen, stets eine andere sein müssen, in Sicherheit.

Brenda Rae als Lulu macht das ebenso überzeugend wie staunenswert sparsam. Stimmlich ist sie eine Frau der langen, hohen Töne, weshalb ihr das Parlando in mittlerer Lage im ersten Bild nicht so gut liegt. Aber ihr ans Publikum adressiertes „Lied der Lulu“ und der Ausruf „O Freiheit! Herr Gott im Himmel!“ sind stimmlich von irisierender Schönheit, darstellerisch von schlimmster Zerrissenheit, die sich eher in Starre und Kühle äußert, nicht in Aktionismus.

Simon Neals Diktion ist vorbildlich

Simon Neal als Dr. Schön und Jack the Ripper beeindruckt durch vollendete Führung seines glänzenden, überaus ebenmäßigen Baritons bei vorbildlicher Diktion. Nach dem Selbstmord des Malers (dem Theo Lebow die Farben tenoraler Triebbesessenheit gibt) folgt bei Berg ein Zwischenspiel, das stark nach Gustav Mahler klingt. Hier schenkt Loschky ihrem Darsteller Neal eine stumme Verzweiflungsszene, die sich in einem Schrei entlädt. Es ist eine kurze Studie tragischer Männlichkeit, die in der bis zur Larmoyanz emotionsgeladenen Musik das Ventil für seelische Defizite im Funktionierenmüssen unter bürgerlichen Geschlechternormen findet.

AJ Glückert gibt den Alwa mit der schmerzlichen Melancholie charakter­lichen Unvermögens als Lyriker ohne Chance auf Dominanz. Claudia Mahnke vereint als Gräfin Geschwitz deklamatorischen Witz mit stimmlicher Wärme. Und Alfred Reiter singt den Schigolch, dessen Name schon an eine Kanalisationsamphibie erinnert, trotz grauenvoller Guildo-Horn-Frisur mit Noblesse.

Guggeis hört in der „Lulu“ die Fortschreibung Bergs von Strauss’ „psychologischem Kontrapunkt“. Die Leichtigkeit und Dezenz, mit denen das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter seiner Leitung spielt, belegen einmal mehr das Vorbild von Strauss’ Konversationston auch für Berg (bis in die holzbläserverliebte Sehnigkeit der In­strumentation). Das Orchester nimmt oft die Diktion der Sänger vorweg oder nachträglich auf. Sinnlichen Zauber schließt das nie aus, jedoch vermeidet Guggeis jedes Aufheizen der Erregung zum Zwecke sublimierten erotischen Konsums.

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