Nachruf auf Hans Dieter Beck, den größten juristischen Verleger Europas – Kultur | ABC-Z
Er war ein Patriarch, er war ein liebenswürdiger Kauz und Rechthaber, er war der größte juristische Verleger Europas. Er war ein penibler und besessener Arbeiter; er war reich, aber ein sparsamer Mensch; die Autos, die er fuhr, waren immer kleiner als die seiner Geschäftsführer. Protzerei und Angeberei konnte er nicht leiden. Und er fuhr noch mit gut neunzig per Fahrrad ins Büro, täglich, wenn es irgendwie ging, zuletzt am 23. Dezember. Und er war ein begnadeter, ein höchst erfinderischer digitaler Senior. Der Münchner Verleger Hans Dieter Beck ist am 3. Januar im Alter von 92 Jahren in München gestorben.
Er war, so beschrieb er sich selbst, „ein Unikat“. In seinem Alter noch einen Großverlag zu leiten – das hatte es vor ihm noch nie gegeben. Bis fast zuletzt war er ein Wunder an körperlicher und geistiger Fitness, ein Bergsteiger der Klasse 4; das erfordert Trittsicherheit und Schwindelfreiheit. Seit einem Unfall vor dreißig Jahren konnte er aber nur noch bergauf, nicht mehr bergab gehen; er suchte sich also seine Touren danach aus, ob es eine Seilbahn nach unten gab. Nur noch bergauf: das konnte man symbolisch verstehen, das galt und gilt nämlich auch für seinem Verlag C.H. Beck.
Er war schon siebzig, als er ins Digitalgeschäft einstieg. Heute, gut zwanzig Jahre später, macht es sechzig Prozent des Verlagsumsatzes aus, der bei insgesamt weit über 500 Millionen Euro liegt. Das war und ist sein Verdienst: Die analoge Jura-Bücherwelt hatte er geerbt, ihre Digitalität hat er geschaffen. Seine Datenbank „Beck online“ ist in jeder Anwaltskanzlei und jeder Unibibliothek präsent. Mit größter Findigkeit hat er das juristische Buch- und Zeitschriftengeschäft kommerzialisiert und digitalisiert; als andere Verleger noch mühsam gesät haben, hat er schon geerntet. Und ganz zuletzt, als andere Verleger noch gar nicht wußten, was die KI ist, hat er sie schon genutzt und zusammen mit seinen juristischen Werken als Beck-Chat verkauft.
Der Vater war Verleger und Parteigenosse und nach dem Krieg fast enteignet worden
Verglichen mit einem modernen Verlagsmanager mochte einem die altväterliche Art des Hans-Dieter Beck ein wenig verschroben erscheinen. Dafür war er erfolgreich und konnte es sich erlauben, über andere Verleger und Medienhändler zu lästern, die „abhängig vom Geschwätz ihrer Gremien“ und „größenwahnsinnig“ geworden seien und sich dann in „Abenteuereien“ gestürzt hätten. Solchen Leuten warf er den kokett-bescheidenen Rat nach: „Verleger, bleib bei deinen Leisten!“ Getreu diesem Motto hat Beck zum Beispiel die kleinere Konkurrenz gekauft, den Nomos-Verlag, der ein feines und weit gefächertes Sortiment mit relativ niedrigen Auflagen führt.
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Sein Vater hatte 1933 den florierenden Verlag des jüdischen Verlegers Otto Liebmann für 250 000 Reichsmark gekauft. Liebmann war seit 1896 Herausgeber der Deutschen Juristenzeitung und Gründer der Reihe „Kurzkommentare“, die dann vom Verlag C.H.Beck höchst erfolgreich als „Beck’sche Kurzkommentare“ weitergeführt wurde. Der Kauf des jüdischen Verlags sei, so Hans Dieter Beck, „unter ehrenwerten Bedingungen“ erfolgt und Liebmann habe danach gesagt, „mein Vater sei ein Ehrenmann gewesen“. Es sei dann schnell das NS-Schriftleitergesetz erlassen worden – „dann hätte Liebmann seine juristische Zeitschrift gar nicht mehr fortführen dürfen“. Der Verleger Liebmann habe das alles kommen sehen und auch andere Verleger angesprochen, die aber abgelehnt oder den Preis als zu teuer empfunden hätten. „Und mein Vater hat dann da zugelangt“.
Nach dem Krieg wäre der väterliche Verlag durch die Amerikaner fast enteignet worden, „weil mein Vater Parteigenosse gewesen ist – obwohl er kein Nazi war. Er hat auch viele jüdische Autoren herausgegeben.“ Es dauerte aber dann nach dem Krieg ziemlich lange, bis sich Beck von den Nazi-Namensgeber für seine großen Kommentare und Gesetzessammlungen verabschiedete. Der „Palandt“, der Kommentar zum BGB, benannt nach dem NS-Präsidenten des Reichsjustizprüfungsamts, und der „Schönfelder“, auch benannt nach einem NS-Juristen, wurden erst 2021 umbenannt, weitere Werke auch. Beck hatte lange Zeit an den NS-belasteten Namen festgehalten, nicht nur, weil sie als „Marke“ etabliert seien, sondern auch, um, wie er sagte, Leserinnen und Leser über die Historie „stolpern“ zu lassen. Erst nach viel Kritik und um „Missverständnisse auszuschließen“ lenkte Beck dann doch ein.
Manchmal korrigieren Gesetzestexte von C.H. Beck die Schlampigkeiten des offiziellen Gesetzgebers
Das Symbol des Verlags C.H.Beck, 1763 gegründet und seitdem in Familienbesitz, mit Stammsitz im Münchner Univiertel, in der Schwabinger Wilhelmstraße, ist ein Greif – und das ist bezeichnend. Man kann keinen Paragrafen umdrehen, ohne dass man das geflügelte Tier findet, das ein großes „B“ wie Beck in seiner Pranke hält: Das Signum des Verlags, der die juristische Welt im Griff hat: Ohne Beck kann kein Student Jura studieren, kein Staatsanwalt anklagen, kein Richter richten und kein Anwalt arbeiten. Der Weg zum juristischen Beruf ist mit Beck gepflastert, die Wege im juristischen Beruf sind es auch.
In Deutschland ist Beck nicht nur ein juristischer Verlag, sondern ein wenig auch Gesetzgeber. Der Regensburger Rechtsprofessor Dieter Schwab (sein Lehrbuch zum Familienrecht erscheint bei C.H. Beck mit jetzt 594 Seiten in der 32. Auflage) hat einmal in einer Glosse aufgezeigt, wie in Gesetzestexten von C.H. Beck die Schlampigkeiten des offiziellen Gesetzgebers mit Sorgfalt korrigiert werden, wenn und weil der so oft in der Hast die Übersicht verliert und dann Verweisungen auf falsche Paragrafen produziert. So war, so ist Beck: Sorgfalt mit Geschäftssinn.
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Den Fehler, in Russland Geld verdienen zu wollen, hat er schnell wieder korrigiert. 1996 hatte er stolz eine zehn Zentimeter dicke Scharteke präsentiert, eine russische Rechtssammlung; er war damals mit sechzig juristischen Titeln auf dem russischen Markt. Als ihn seine russischen Geschäftsführer enteignen wollte, so erzählte er, „bin ich zur Polizei gegangen“. Ein netter Polizist haben ihm dann gesagt: „Herr Beck, das ist derzeit Mode bei uns, Sie sind nicht der Einzige, der enteignet wird. Wir sind bei der Polizei gar nicht dafür. Aber wir haben so viel zu tun, weil außerdem noch ein paar Leute abgeknallt werden. Wir verfolgen hier Kapitalverbrechen, deshalb habe ich leider keine Zeit, mich um Ihr komisches Verlangen zu kümmern.“
Kurz darauf sei der Staat, so Beck, mit mafiosen Forderungen auf ihn zugekommen; er wollte von ihm Steuernachzahlungen in Höhe von drei Jahresumsätzen. Er habe dagegen zwar erfolgreich prozessiert, aber die Einsicht gewonnen, dass „Recht keine große Rolle spielt in Russland“. Anderswo in Osteuropa war Beck erfolgreicher, in Polen vor allem. Dort ist er groß im Rechtsgeschäft.
Beck selbst sah sich nicht als Expandeur, sondern als „Gärtner der Rechtswissenschaft“
Großverleger, Expandeur: solche Attribute hörte Hans Dieter Beck nicht so gern. Er hatte es lieber, wenn man ihn als den „Gärtner der Rechtswissenschaft“ bezeichnete. Der Garten, in dem er wirkte, war sehr groß, es ist ein riesiger juristischer Wald mit angeschlossenen Gärtnereien: Buchhandlungen, Druckereien und Partnerverlagen. Als er seinen neunzigsten Geburtstag feierte, wurde er gefragt, was man machen müsse, um im hohen Alter noch so fit zu sein wie er. „Bergsteigen, Radfahren, immer rechtzeitig zum Arzt gehen“, hatte er geantwortet. „Aber vor allem würde ich jedem raten, sich niemals pensionieren zu lassen“. Also niemals aufhören zu arbeiten?, lautete die Nachfrage. „Genau“, sagte er: „Und wenn man seinen bisherigen Beruf aufgibt, dann muss man etwas anderes machen; oder unentgeltlich arbeiten“.
Er hat seinen Beruf als Verleger nach kleinen Umwegen am Anfang nie mehr aufgegeben. Bei Eugen Ulmer, dem Vater des Urheberrechts, hatte er nach dem juristischen Studium über den „Lizenzvertrag im Verlagswesen“ promoviert, begann dann erst einmal seine Arbeit im juristischen Lektorat des Verlags, ging ein paar Jahre zur Justiz, wurde 1967 Gerichtsassessor für Zivilsachen am Landgericht München I, war ein „verdrießliches“ Jahr lang bei der Staatsanwaltschaft, wurde dann Landgerichtsrat.
Mit diesen Erfahrungen ging es 1970 erneut ans Büchermachen. Vater Heinrich berief seine beiden Söhne Hans Dieter und Wolfgang zu Mit-Gesellschaftern. Hans Dieter, neun Jahre älter als Wolfgang, übernahm den juristischen Verlag, Wolfgang widmete sich der belletristischen und geisteswissenschaftlichen Sparte – und hat sie 2015 an seinen Sohn Jonathan übertragen. Hans Dieter Beck freilich hat die Geschäfte im Geschäftsbereich Recht- Steuern-Wirtschaft bis zu seinem Tod nicht aus der Hand gegeben.
Nie hat er einen Gedanken daran verschwendet, kürzer zu treten. Und weil dies lange so bleiben sollte, stieg er gern so auf den Wallberg am Tegernsee. Wenn man dort einen älteren Herrn sah, der mit Kopfhörern aufwärts strebte, dann war es womöglich Beck beim Hörwandern. Als er einst, es ist gut zwei Jahrzehnte her, im kleinen Kreis von seiner Hörwanderlust erzählte, war bei ihm gerade „Casanovas Heimfahrt“ von Arthur Schnitzler auf dem Programm; das ist eine Novelle über Glanz und Elend eines alternden Genießers, über den das Leben hinweggegangen ist. Wahrscheinlich gefiel sie Beck deshalb so gut, weil er sich als damals schon älterer Herr, aber noch junger Familienvater, im Gegensatz zu Schnitzlers Protagonisten mitten im Leben fühlte.
Mit 55 Jahren hatte er seine 25jährige Frau geheiratet, die sich dann um die Erziehung der drei Mädchen des Paares kümmerte – so dass er sich, wie er es formulierte, „sehr stark auf den Verlag konzentrieren konnte“. War er ein Macho? „So kann man es nicht nennen“, meinte er am neunzigsten Geburtstag: „Aber ich war und bin eben der sehr viel ältere, der mehr als doppelt so alte Ehemann“. Wenn die Buddenbrooks noch einmal zu schreiben wären und diese Familiensaga nicht im hanseatischen Norden, sondern im bayrischen Süden spielen sollte: der schaffenskräftige Hans Dieter Beck würde sich als Hauptfigur anbieten. Er hat den Verlag so geprägt, dass man sich noch nicht so recht vorstellen kann, wie es jetzt ohne ihn weitergeht.