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Nach US-Angriff auf Atomanlagen: “An einem gefährlichen Punkt” | ABC-Z


interview

Stand: 23.06.2025 14:10 Uhr

Eine Blockade der Straße von Hormus oder Angriffe auf US-Basen: Optionen, auf die US-Angriffe zu reagieren, hätte der Iran nach wie vor genug, meint SWP-Expertin Azadeh Zamirirad. Dafür würde er auch Ärger mit seinen Partnern riskieren.

tagesschau24: Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres bezeichnet den Eintritt der USA in den Krieg als eine gefährliche Wende im Krieg Israels gegen den Iran. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?

Azadeh Zamirirad: Wir stehen tatsächlich vor einem sehr gefährlichen Punkt mit Blick darauf, dass sich dieser Krieg erneut ausweiten könnte. Verbündete des Iran könnten nun ebenfalls in diesen Konflikt eingreifen. Dazu gehören Akteure wie beispielsweise die Hisbollah, aber auch eine Reihe von Milizen im Irak.

Ebenfalls dazu gehören die Verbündeten Irans im Jemen, die sogenannten Huthi-Rebellen, die bereits angekündigt haben, dass sie bereit sind, Vergeltungsschläge gegen amerikanische Schiffe im Roten Meer auszuführen. Das wäre auch das Ende einer vereinbarten Waffenruhe zwischen den Huthis und den USA, die gerade erst im Mai vereinbart worden ist.

Das heißt, wir stehen schon vor der Situation, dass sich dieser Konflikt noch weiter ausweitet.

Zur Person

Azadeh Zamirirad leitet die Forschungsgruppe Region Afrika und Mittlerer Osten bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Zu ihren Schwerpunkten gehört unter anderem der Iran.

tagesschau24: Können Sie einschätzen, wie stark die iranischen Atomanlagen mittlerweile zerstört sind?

Zamirirad: Das ist tatsächlich offen. Wir haben noch nicht genügend Informationen darüber, wie viel Zerstörung tatsächlich angerichtet worden ist. Ich denke aber schon, dass wir davon ausgehen können, dass die Zerstörung recht massiv ausgefallen sein dürfte, auch in Fordo, aber auch in Anlagen wie Isfahan und Natans.

Die Frage ist aber, wie weit das Atomprogramm dadurch wirklich zurückgeworfen wurde – und ob es dem Iran beispielsweise gelungen ist, das hochangereicherte Uran, das auf 60 Prozent angereichert worden ist, bereits vorher woanders zu bunkern.

Mittlerweile soll Iran davon mehr als 400 Kilogramm haben. Das würde bedeuten, dass tatsächlich viele kritische Nuklearmaterialien noch verfügbar sind und nicht getroffen worden sein könnten. Hier müssen wir abwarten.

tagesschau24: Welche Optionen hat der Iran jetzt, darauf zu reagieren? Wie sehr ist das Land durch die bunkerbrechenden Bomben der USA gedemütigt?

Zamirirad: Bloßgestellt ist der iranische Sicherheitsapparat ja schon seit vergangenem Jahr, seit einer Reihe von teils spektakulären israelischen Geheimdienstoperationen auf iranischem Boden. Das heißt, die Bloßstellung ist längst da. Ich glaube, Fordo und der Angriff der Amerikaner hat jetzt hier nicht zusätzlich dazu beigetragen.

Aber der Iran hat eine Reihe von Optionen. Dazu gehören etwa Vergeltungsmaßnahmen durch nichtstaatliche Verbündete des Iran in der Region. Dazu gehört auch, dass Iran zum Beispiel selbst eine Reihe von US-Basen in der Region angreifen oder die Straße von Hormus im Persischen Golf verminen könnte. Das könnte den Handel mit Öl zumindest kurzzeitig behindern. Somit hat der Iran eine ganze Reihe von Optionen.

tagesschau24: Dennoch stellt sich nach mehr als einer Woche Krieg die Frage, wie handlungsfähig das Mullahregime im Iran überhaupt noch ist?

Zamirirad: Durch die israelischen Militärschläge ist ja quasi fast auf einen Schlag die gesamte Führungsriege des Sicherheitsapparates getötet worden. Dennoch sehen wir, dass der Iran diese Führungsriege relativ schnell nachbesetzt hat. Zwar dürften sie bis zu einem gewissen Grad Koordinierungsschwierigkeiten haben, dennoch aber sind sie nach wie vor in der Lage, Vergeltungsschläge gegen Israel durchzuführen.

Etwa durch eine Reihe von ballistischen Raketen, die sie auf Israel abgefeuert haben. Wir wissen auch, dass zumindest im engeren Kreis der iranischen Führung mittlerweile die elektronische Kommunikation ausgesetzt wurde. Man versucht also nun, intern mehr Kontrolle über die Kommunikation zu wahren. Bislang sieht es so aus, dass sie noch in der Lage sind, sich zu koordinieren, sich abzustimmen und entsprechend auch zu reagieren.

Sperrung der Straße von Hormus realistische Option

tagesschau24: Iran befand sich bereits vor dem Krieg in einer äußerst schwierigen wirtschaftlichen Lage. Würde Iran nun als Vergeltungsmaßnahme etwa die Straße von Hormus sperren, über die ja ein Viertel des weltweiten Ölhandels läuft, würde sich Iran damit nicht selbst massiv schaden?

Zamirirad: Die wirtschaftliche Lage ist tatsächlich desaströs, aber auch schon seit längerer Zeit. Die Folgen davon trägt ja in erster Linie die breite Bevölkerung, und dieser Umstand ist schlicht nicht handlungsleitend für die iranische Führung.

Ich gehe davon aus, dass die Bereitschaft da ist, die Straße von Hormus tatsächlich zu blockieren, auch wenn es heißt, dass man beispielsweise wichtige wirtschaftliche Partner wie China damit zumindest kurzfristig vor den Kopf stößt. Iran wäre aber dadurch in der Lage, zumindest für kurze Zeit zunächst einmal den Ölpreis möglicherweise in die Höhe zu treiben und auch einen gewissen Schock auf den internationalen Märkten zu etablieren.

Das iranische Parlament hat ja gestern genau zu diesem Schritt aufgerufen. Die Entscheidung scheint noch nicht getroffen zu sein, aber das ist durchaus eine Option, die ich für realistisch halte.

“Der Sicherheitsapparat scheint noch intakt”

tagesschau24: Die USA und vor allem der israelische Premier Benjamin Netanjahu scheinen Interesse daran zu haben, dass sich das iranische Volk selbst gegen die verhasste Führung wendet. Dazu böte sich nun die Gelegenheit. Gibt es überhaupt noch eine funktionierende Opposition im Land?

Zamirirad: Also eine organisierte Opposition in dem Sinne gibt es nicht. Dafür hat der Staat eben auch sehr massive Repressionssysteme etabliert, über Jahre, Jahrzehnte, die genau die Herausbildung einer solchen Opposition erschweren.

Wir sehen aber nach wie vor im Iran, dass es ein erhebliches Protest- und Widerstandspotenzial gibt. Das hat die Bevölkerung immer wieder sehr, sehr deutlich gezeigt. Die Frage ist aber, ob sie unter den derzeitigen Bedingungen in der Lage sind, hier Umstürze und Umwälzungen zu bewerkstelligen. Der Sicherheitsapparat im Iran scheint immer noch relativ intakt zu sein, auch ist die Gewaltbereitschaft dieser iranischen Führung nach wie vor da, und der Krieg hält an.

Wir hören auch aus Teilen der Zivilgesellschaft die Sorge, dass zum Beispiel durch israelische Angriffe auf kritische iranische Infrastruktur das Land zurückgeworfen wird und die Möglichkeiten dieses Landes, aber auch der Zivilgesellschaft dadurch erheblich Schaden nehmen könnten.

So gibt es ja auch durchaus Aufrufe aus der Zivilgesellschaft, zum Beispiel auch von der iranischen Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi, die dazu aufruft, nicht kritische Infrastruktur in Iran anzugreifen, das Potenzial dieser Bevölkerung eben nicht zu unterminieren. Damit – wenn die Bedingungen irgendwann da sind – ein friedlicher Wechsel stattfinden kann.

Das Gespräch führte Kirsten Gerhard tagesschau24. Für die schriftliche Fassung wurde das Interview leicht überarbeitet.

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