Nach Magdeburg-Anschlag nehmen rassistische Angriffe auf Migranten weiter zu | ABC-Z

Der Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt führt zu einer Vielzahl von Übergriffen gegenüber migrantischen Personen. Fast täglich kommt es zu rassistische Vorfällen.
Es ist der späte Abend des 20. Dezember 2024. Wenige Stunden zuvor beschleunigte der saudische Arzt Taleb A. seinen SUV mitten durch den Magdeburger Weihnachtsmarkt. Der 50-Jährige steuerte gezielt in die Masse, tötete sechs Menschen und verletzte Hunderte.
Der Rettungseinsatz im Zentrum läuft noch, da kommt es ein paar Straßenecken weiter zu einer Begegnung, die den Auftakt einer unheilvollen Serie bilden sollte. Eine Reihe von rassistischen Übergriffen auf Menschen mit Migrationshintergrund in Magdeburg, die bis heute nicht abgerissen ist und dazu führt, dass sich viele, die eine nicht-weiße Hautfarbe haben, in ihrer Stadt nicht mehr sicher fühlen.
In der Ernst-Reuter-Allee soll noch am Abend des Anschlags ein Deutscher einen Mann mit Migrationshintergrund mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben. Der mutmaßliche Angreifer habe zudem gesagt: „Wegen Leuten wie dir passiert sowas“. Bestätigt wird der Übergriff von der sachsen-anhaltischen Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) in einem Schreiben.
Ein Tag später, der 21. Dezember. In Magdeburg kommt erst der Bundeskanzler, dann Neonazis. Olaf Scholz (SPD) und zahlreiche weitere Spitzenpolitiker sind gekommen, um zu trauern und ihr Beileid auszudrücken. Die Rechtsextremen haben anderes im Sinn. Ein Mann mit migrantischen Wurzeln wird in einer Straße in der Magdeburger Altstadt von einem Unbekannten von seinem Fahrrad gestoßen und beleidigt. Auch dieser Fall wird vom Innenministerium bestätigt.
Nach der Neonazi-Demonstration am Abend sollen zudem frühere Teilnehmer des Protestzugs am Hauptbahnhof eine Person beleidigt haben, berichtet die taz. In den Tagen darauf kommt es nach einem Bericht des MDR zu weiteren Attacken.
Eine Frau soll zunächst verbal bedroht worden sein, um anschließend Opfer von Schlägen zu werden. Der Täter soll unter anderem „Wir vergasen euch alle“ gerufen haben. Ein anderer Mann wurde von einem Unbekannten geschlagen und mit den Worten „Verpiss dich in dein Land und lieg uns Deutschen nicht weiter auf der Tasche“ beleidigt.
Dunkelziffer dürfte höher sein
Die Polizei registrierte seit der tödlichen Attacke auf den Weihnachtsmarkt insgesamt 26 sogenannte Folgetaten, hieß es vergangene Woche im Innenausschuss Sachsen-Anhalts. Unter die Definition der Folgetat fallen sowohl körperliche Übergriffe, als auch Volksverhetzungs- oder Propagandadelikte. Die Zahl dürfte um einiges höher sein, auch weil viele Betroffene sich nicht trauen, Vorfälle anzuzeigen oder nicht wissen, an welche Beratungsstellen man sich wenden kann.
Vor allem die taz recherchierte früh und umfangreich zu den Übergriffen auf migrantische Personen in der sachsen-anhaltischen Landeshauptstadt. So berichtet die Tageszeitung von einem körperlichen Überfall am Heiligabend. Eine Intensivkrankenpflegerin der Magdeburger Uniklinik und ihr Mann seien am zentralen Hasselbachplatz von einem Betrunkenen zunächst rassistisch beleidigt und schließlich mit der Faust ins Gesicht geschlagen worden. Der Täter habe auch einen Hitlergruß gezeigt, berichten die Betroffenen.
Nicht alle konnten unbeschwert Silvester feiern
Teile der Attacke sind in einem Video festgehalten, auf der Aufnahme erkennt man auch den mutmaßlichen Täter. Polizisten konnten den Angreifer kurz darauf in Gewahrsam nehmen, schrieb die Zeitung. Am 28. Dezember kommt es zu einem erneuten Vorfall im Magdeburger Hauptbahnhof. Eine aus dem Iran stammende Frau wurde bespuckt und rassistisch beleidigt, bestätigt die Bundespolizei.
Die Stimmung unter Magdeburgern und Magdeburgerinnen mit Migrationsgeschichte ist seit dem 20. Dezember äußerst angespannt. Beratungsstellen berichten von „extrem feindseliger Stimmung“ in der Stadt, migrantische Jugendliche verzichteten unter anderem in der Silvesternacht darauf, das Haus zu verlassen, heißt es. Mittlerweile registrieren Opferverbänden durchschnittlich eine Tat pro Tag, vor dem Anschlag war es lediglich eine pro Woche.
Auch im neuen Jahr reißen die Attacken nicht ab. Der DJ Brahim B. postet auf Instagram am Mittwoch die Rechnung seiner ersten Physiotherapie-Sitzung. Viele weitere werden folgen, schreibt er dazu.
Am Neujahrsmorgen wird der 31-jährige B. auf seinem Heimweg am Magdeburger Bahnhof Neustadt von 5 Männern und einer Frau mit Bierflaschen und Stöcken angegriffen. Er wird schwer verletzt und muss ins Krankenhaus, die Polizei ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung.
Drei Tage später, am 4. Januar, findet eine syrische Familie laut eines MDR-Berichts ein eingeritztes Hakenkreuz auf ihrer Wohnungstür. Die Nacht zuvor sollen sie Kratzgeräusche vernommen.
Am 5. Januar wird Saeed Saeed, Student und Vorsitzender des Syrisch-Deutschen Kulturvereins in Magdeburg, in einer Straßenbahn Zeuge rassistischer Beleidigungen. Als er versucht, dazwischenzugehen, wird er selbst attackiert. Saeed kam gerade von einem Besuch bei der syrischen Familie, die das Hakenkreuz auf ihrer Tür vorgefunden hat, berichtet der Spiegel.