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Nach Hygiene-Skandal: Neustart im Tölzer Kaufland – Bad Tölz-Wolfratshausen | ABC-Z

Alles sieht im Kaufland in Bad Tölz wie geschleckt aus. Die Bodenfliesen blitzen, Früchte und Gemüse quellen in der Obstabteilung fast aus den Kisten, in den Regalen findet sich kein Stäubchen. Gut eine Woche ist es her, dass die Supermarkt-Filiale an der Lenggrieser Straße geschlossen werden musste, nachdem das Team Wallraff für den Fernsehsender RTL und das Nachrichtenmagazin „Stern“ dort gravierende Hygienemängel aufgedeckt hatten. „Wir waren alle schockiert, da kann man nicht um den heißen Brei herumreden“, sagt Andreas Enzinger. Der 34 Jahre alte Niederbayer ist der neue Hausleiter in Bad Tölz und verspricht bei der Wiedereröffnung am Montag: „Ich werde alles dafür tun, dass wir so etwas nie mehr erleben.“

Skandalöse Zustände gab es in Tölz vor allem an der Frischetheke. Angeschimmelte Käselaibe wurden an den betroffenen Stellen abgeschnitten und wieder angeboten, abgelaufene Produkte für den Weiterverkauf in der Selbstbedienungstheke in Plastikbehälter umgefüllt und neu etikettiert. Solche Missstände wurden von den Beschäftigten selbst die Reporter herangetragen, außerdem klagten sie über enormen Zeitdruck und Überlastung.

Die Frischetheke ist für den neuen Hausleiter Andreas Enzinger (2.v.l.) das Herzstück der Tölzer Filiale. Von links: Verkaufsleiter Thomas Reichel, sowie die Verkäufer  Alexander Kauf und Inga Ziegenhagel. (Foto: Manfred Neubauer)

„Das hat keine Konsequenzen für die Mitarbeiter, es geht jetzt darum, was schief gelaufen ist“, sagt Michael Strothoff, Pressesprecher des Unternehmens. Mit dem Betriebsrat habe man sich zusammengesetzt und „ehrlich miteinander gesprochen“, erzählt Verkaufsleiter Thomas Reichel. Gekündigt wurde allerdings der Führungsriege. Dies seien „die Leute, die aus Unternehmenssicht die Verantwortung dafür tragen, dass Mitarbeiter angeleitet werden und dass alles in Ordnung ist“, berichtet Rüdiger Teutsch, Geschäftsführer Corporate Affairs bei Kaufland.

Die Obst- und Gemüseabteilung war zur Wiedereröffnung reichhaltig bestückt. (Foto: Manfred Neubauer)

Das fällt nun Enzinger zu. 16 Jahre lang hat er bei der Supermarktkette Real gearbeitet, seit 2022 ist er im Kaufland tätig. Dort führte er die Filiale in Pfarrkirchen, die noch etwas größer ist als die Dependance in Tölz, die 2023 umgebaut wurde. Am Freitag – dem Tag der Schließung – war die Stimmung unter den etwa 80 Mitarbeitenden niedergedrückt. Alle seien „down“ gewesen, sagt Enzinger. Angst ging um, niemand wusste, wie es nun weitergeht. In der vergangenen Woche habe er deshalb viele Gespräche geführt, sagt der neue Chef. „Du musst ein bisserl Seelsorger sein, ein bisserl Psychologe.“  Als Filialleiter komme es für ihn darauf an, die Angestellten abzuholen und an die Hand zu nehmen. Dem 34-Jährigen steht Reichel mit Rat zur Seite. Mitarbeiterzufriedenheit liege ihm am Herzen, das zeichne Kaufland normalerweise auch aus, sagt der Verkaufsleiter. Wichtig sei der Kontakt untereinander, „das kenne ich nicht anders“. Aber dies sei in Tölz offenbar nicht wahrgenommen worden.

Zwischen 12000 und 14000 Kunden kauften pro Woche in der Tölzer Kaufland-Filiale ein – vor dem Hygiene-Skandal. (Foto: Manfred Neubauer)

Trotz des Skandals sieht Enzinger die Tölzer Kaufland-Filiale auf Wachstumskurs. Pro Woche kauften dort zwischen 12000 und 14000 Kunden im Schnitt ein – vor dem TV-Bericht. „Das Personal stocken wir auf“, kündigt der neue Filialeiter an. Auch deshalb, um der Überlastung der Belegschaft entgegen zu wirken. „Wir sind voll dran, Mitarbeiter zu rekrutieren, das ist auch ein Signal, dass wir eine klare Vorstellung davon haben, wie wir die Filiale entwickeln wollen“, so Enzinger.

Ansonsten war die Arbeitswoche zwischen Stopp und Neustart zweigeteilt. Der Supermarkt mit rund 3800 Quadratmetern Verkaufsfläche wurde zum einen von externen Firmen komplett gereinigt. „Jede Fliese wurde inspiziert, jeder Stein umgedreht, es wurde klar Schiff gemacht“, sagt Pressesprecher Strothoff. Zum zweiten gab es jede Menge Schulungen fürs Personal. Welche Reinigungsmittel werden wofür eingesetzt, wie muss saubergemacht werden, um die Hygienestandards zu gewährleisten. Der Unterricht fand in Themenblöcken statt, wie Strothoff erzählt: „Dafür waren auch Frischetrainer vor Ort.“

„Wir holen uns Unterstützung von externen Instituten, ein externer TÜV sozusagen.“

Die Kontrolle obliegt Filialleiter Enzinger. Seine Rundgänge absolviere er mehrmals täglich, sagt er. „Sehr oft.“ Er überprüft unter anderem das Mindesthaltbarkeitsdatum der einzelnen Waren, die Frische von Produkten oder auch, ob in den Kühlschänken nichts ausgelaufen und alles sauber ist. Aber dabei ist er nicht alleine. „Wir holen uns Unterstützung von  externen Instituten, ein externer TÜV sozusagen“, avisiert Strothoff. „Wir wollen die Kontrollen nochmals erweitern, um nicht nur Fehler, sondern auch Lösungen zu finden.“

Den Vorwurf, Kaufland setze seine Filialleiter mit Vergleichslisten unter Druck, damit möglichst wenig Lebensmittel weggeworfen werden, weisen alle Beteiligten zurück. Dies sei „völlig überzogen“, sagt Strothoff. Natürlich sei es wichtig, Lebensmittelverschwendung auf ein Minimum zu reduzieren, erklärt Teutsch. „Aber nicht auf Kosten der Kunden.“ Enzinger sagt, dass er „keinen Druck auf eine solche Abschreibung“ erlebt habe.

An der Frischetheke wird es künftig keinen frischen Fisch mehr geben. Kunden müssen künftig zur SB-Theke oder zur Tiefkühltruhe gehen, wenn sie Lachs, Forellen oder Heringe möchten. Für Fisch, sagt Enzinger, „brauchst Du eine Fachverkäuferin, eine mit Leib und Seele“.  An der Theke werden neben Wurst auch Käsesorten angeboten, abgepackt oder unverpackt. Dieser Bereich und auch der Vorbereitungsraum dahinter wird dem neuen Hausleiter zufolge täglich geschrubbt und gesäubert. Die Bedientheke sei nun mal das Herzstück der Filiale, sagt Enzinger.

Am Montagmorgen sah es nicht so aus, als würden die Tölzer den Kaufland-Markt boykottieren. Die ersten Kunden standen schon um 7 Uhr vor der Tür. Der neue Filialleiter, der nicht als Interimsmanager, sondern langfristig geholt wurde, bekam zunächst auch keine Beschimpfungen oder süffisante Kommentare zu hören. Im Gegenteil, sagt Enzinger, seinem Gefühl nach seien die Kunden „uns gegenüber eher unterstützend“. Sie seien froh, dass Kaufland wieder geöffnet sei. Allerdings dürfte es länger dauern, verlorenes Vertrauen nach dem Hygiene-Skandal zurückzugewinnen, als die Obstabteilung üppig zu bestücken.

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