Politik

Nach der Einigung hoffen die Angehörigen auf die Freilassung der Geiseln. – Politik | ABC-Z

Feuerwerksraketen? Stiegen an dem Abend, an dem die Nachricht durchsickerte, dass Israel und die Hamas nach langen Verhandlungen endlich zu einer Einigung auf eine Waffenruhe gefunden haben, keine über Tel Aviv auf. Aber, immerhin: Andere Raketen, militärische, wurden auch keine abgefeuert. Die Warn-Apps, die in Israel sonst routinemäßig über Beschuss aus Gaza und seit einigen Monaten auch über Drohnenangriffe der Huthi aus dem fernen Jemen alarmieren, blieben am Mittwochabend stumm. Aus Gaza hingegen wurden weitere Kämpfe gemeldet, ein Sprecher des von der Hamas kontrollierten Zivilschutzes sprach von mindestens 40 Toten.

Das Abkommen von Doha soll Israel, dem Gazastreifen und vielleicht sogar der ganzen Region im Idealfall einen länger anhaltenden Frieden, sicher aber zumindest eine Atempause bringen. Aber wird das auch klappen? Die erste Phase des Abkommens, in der die Hamas Schritt für Schritt israelische Geiseln übergeben soll und in der Israel im Gegenzug palästinensische Gefangene ent- und mehr humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung zulässt, sie soll 42 Tage andauern.

Eine sehr, sehr lange Zeit für so einen heiklen Prozess, in der es durchaus zu Störaktionen kommen kann, betont Avi Kalo in einer Runde mit Journalisten, der frühere Leiter der Abteilung für vermisste Soldaten beim Armeegeheimdienst. „Das macht es sehr kompliziert“, sagt der Oberstleutnant der Reserve – und befürchtet nicht nur, dass es zwischen israelischen Soldaten und Hamas-Kämpfern in dieser Zeit zu Schusswechseln kommen könnte, die wieder eine Eskalation in Gang setzen. Sondern auch, dass die Hamas aus taktischen Gründen versuchen könnte, den Prozess zu untergraben, einige Geiseln als eine Art Lebensversicherung zurückhält. „Bei allen Details, die bislang durchgesickert sind, fehlt ganz augenscheinlich ein sehr wichtiges“, sagt Kalo. „Informationen dazu, ob die Verhandlungsführer einen Mechanismus etablieren konnten, wie mit mutmaßlichen Verstößen gegen die Waffenruhe umgegangen wird – ein solcher könnte entscheidend dafür sein, ob das Abkommen hält.“

Die Krankenhäuser bereiten sich vor. Sie wissen, was sie erwartet

Israels Sicherheitskabinett sollte im Laufe des Donnerstags seine Zustimmung zu dem Abkommen geben, doch zunächst schien es nochmals zu haken. Schon in der Nacht hatte das Büro von Benjamin Netanjahu gemeldet, dass die Hamas in einigen Punkten versuche, nachzuverhandeln. Am Donnerstagmorgen nun teilte ein Sprecher des israelischen Premiers mit, dass das Sicherheitskabinett nicht zusammentreten werde, bevor „die Unterhändler Israel nicht signalisieren, dass die Hamas alle Punkte des Abkommens akzeptiert“.

Ob deshalb am Sonntag schon wie geplant die ersten fünf Gekidnappten – Soldatinnen der israelischen Armee – freikommen könnten, erscheint so in letzter Minute noch einmal fraglich, die Krankenhäuser in Tel Aviv jedenfalls bereiten sich intensiv auf die Versorgung der Geiseln vor. Und erwarten dabei nicht nur positive Nachrichten: Schon beim letzten Waffenstillstand im November 2023, als 105 Geiseln von der Hamas übergeben wurden, waren viele in schlechtem Zustand, psychisch und physisch. Nun stelle man sich auch auf „wandelnde Leichen“ ein, wie es ein Regierungsmitarbeiter im Gespräch mit der SZ ausdrückt – und er befürchtet, dass die Zahl der tatsächlich noch lebenden Geiseln geringer ist als bisher erwartet. „Wir werden viele Enttäuschungen erleben.“

Auf dem „Platz der Geiseln“ im Zentrum Tel Avivs, an dem das Forum der Familienangehörigen der Entführten seit 15 Monaten Mahnwachen und Solidaritätsabende abhält, ist die Stimmung deshalb am Mittwoch und Donnerstag wohl in Erwartung solcher Nachrichten eher gedrückt. Anders als in der Nacht zuvor, als hier während der Verhandlungen in Doha Tausende zusammenströmten, ist die Stimmung eher ruhig, und zum Feiern ist hier erst recht noch niemandem zumute. Die Organisation der Angehörigen spricht von einem „signifikanten Schritt“, aber auch nur davon, dass er eine Rückkehr der Geiseln „näher bringt“. Ein paar Straßen weiter, vor dem Hauptquartier der israelischen Armee, demonstrieren seit dem 7. Oktober ebenfalls Angehörige und blockieren mit ihren Fackeln und Rauchbomben routinemäßig jeden Abend einige Spuren der Menachem-Begin-Straße, einer der Verkehrsschlagadern Tel Avivs. Manche der nun im Stau stehenden Autofahrer hupen rhythmisch zur Unterstützung, andere reagieren eher mit genervtem Dauerhupen und drohenden Gesten – und unter den Aktivisten auf der Straße regiert auch nach der Ankündigung des Abkommens weiter der Zorn. „Warum schließen wir erst jetzt einen Deal, dessen Grundzüge bereits im Mai ausgehandelt waren?“, fragt die Cousine eines Entführten. „War das Taktieren das Leben der Geiseln wert, die seither gestorben sind?“

Hier, unter den erklärten Gegnern von Benjamin Netanjahu, hat man zudem die Sorge, dass der gar nicht vorhat, nach der 42-tägigen ersten Phase des Abkommens tatsächlich einen weitergehenden Rückzug der Armee aus dem Gazastreifen einzuläuten. Um seine rechten Koalitionspartner nicht zu verlieren, die das Abkommen mit der Hamas ablehnen, betont Netanjahu tatsächlich nach wie vor, dass es weiter das Ziel sei, die Hamas auszuschalten. Und deutet so an, dass die israelische Armee nach dem ersten Geiselaustausch durchaus weiterkämpfen könnte.

Der Regierungsmitarbeiter, der guten Einblick in die Verhandlungen hatte, glaubt nicht an ein solches Szenario. „Wenn die Hamas sich an das Abkommen hält, wird sich Netanjahu daran halten. Er kann da nicht raus.“ Zu groß sei der internationale Druck, aus Europa, aber vor allem auch den USA. Die bald ins Amt kommende Trump-Regierung sehe das Abkommen als Grundlage, die durch den Gazakrieg unterbrochene Annäherung von Israel und Saudi-Arabien wiederzubeleben und mit beiden Staaten eine Zukunftslösung für den Gazastreifen zu erarbeiten. Dass dann aber vielleicht weiter die Hamas in dem Territorium regieren werde, sei schmerzlich. Ebenso die Freilassung von Hunderten Terroristen im Zuge des Abkommens, die Blut an den Händen hätten und nach Gaza, in Länder wie die Türkei oder Katar, nicht aber ins Westjordanland überstellt werden sollten.

Während im Gazastreifen manche das Abkommen am Mittwochabend auf den Straßen feierten und die Hamas es als großen Sieg darstellte, stellen sich in Israel am Tag danach viele eher Fragen: Warum das Abkommen erst jetzt kam – und was es wirklich bringen wird.

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