Nach Demütigung am Freitag: Gibt der ukrainische Staatschef klein im Kontext? „Selenskyj ist nun ein Präsident von Trumps Gnaden” | ABC-Z

In seiner Rede vor dem US-Kongress schlägt Trump plötzlich milde Töne gegenüber Selenskyj an. Experten erklären, warum trotzdem nicht alles gut ist.
Man kommt kaum noch mit: Am Freitag demütigten der neue US-Präsident Donald Trump und sein Vize J.D. Vance den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor laufenden Kameras. Das geplante Rohstoff-Abkommen zwischen den USA und der Ukraine wurde nicht unterzeichnet.
Selenskyj flog direkt weiter nach London, wo am Sonntag nach dem Desaster in Washington ein Krisengipfel stattfand. Doch Trump grollte derweil weiter – und legte nach. US-Medien meldeten am Dienstag, der Präsident habe die gesamte amerikanische Militärhilfe für die Ukraine gestoppt. Waffen, die bereits auf dem Transportweg waren, eingeschlossen.
Viele deuten das als klaren Erpressungsversuch: Entweder unterschreibt Selenskyj das Rohstoff-Abkommen mit den Vereinigten Staaten zu Trumps Konditionen – oder er wird militärisch fallen gelassen. Am Dienstagabend US-amerikanischer Zeit dann hielt Trump eine Rede vor dem US-Kongress. Inmitten dieser Gemengelage wurde sie mit Spannung erwartet, viele gingen vom Schlimmsten aus. Und dann kam alles ganz anders.
Doch der Teufel liegt, wie so oft, im Detail
In seiner Rede schlug Trump für seine Verhältnisse milde Töne an. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj habe sich in einem Brief zu Friedensverhandlungen bereit erklärt, erklärte er.„Das weiß ich zu schätzen.”
Das, was Trump dann zitierte, erinnerte stark an einen Post, den Selenskyj in dem Sozialen Netzwerk X veröffentlicht hatte.„Mein Team und ich sind bereit, unter der starken Führung von Präsident Trump daran zu arbeiten, einen dauerhaften Frieden zu erreichen”, habe der Ukrainer ans Weiße Haus geschrieben. Auch das Rohstoff-Abkommen solle nun unterzeichnet werden.
Also alles zurück auf Anfang? Unweigerlich stellt sich die Frage, ob das Drama zwischen Freitag und Mittwoch nicht vermeidbar gewesen wäre. Doch der Teufel liegt, wie so oft, im Detail. Unklar ist etwa, was Selenskyj von Trump für die Rohstoffe seines Landes bekommt.
„Mein Eindruck ist, Selenskyj wollte alles auf eine Karte setzen und noch einmal versuchen, Sicherheitsgarantien für sein Land durchzukriegen”, sagt Sicherheitsexperte Christian Mölling dem Tagesspiegel.„Gleichzeitig hat er deutlich gemacht, wo seine rote Linie ist. Der aktuelle Stand ist, dass Selenskyj verhandlungsbereit ist – aber damit hat er noch nichts unterschrieben.”
Ob für Trump nun möglicherweise etwas anderes herausspringe, als das am Freitag der Fall gewesen wäre, lasse sich derzeit nicht beurteilen.„Bislang gibt es nur diesen Brief von Selenskyj. Was Trump daraus macht und ob er die Ukraine nun weiter erpresst, wissen wir nicht”, sagt Mölling.
Offen ist auch die Frage, was sich Selenskyj von dem Abschluss des Abkommens im zweiten Anlauf erhofft. Spekuliert er darauf, dass die USA den Stopp der Militärhilfe wieder zurücknehmen? Oder darauf, dass sein Land weiter Geheimdienstinformationen aus Washington erhält?
Ich schätze, dass die Amerikaner jetzt einfach massiv Druck auf Selenskyj ausüben werden, den Deal einfach erstmal zu unterschreiben; egal, welche Klauseln drinstehen.
Erst am Mittwochnachmittag war bekannt geworden, dass diese für Kyjiw so wichtige Informationsweitergabe derzeit ausgesetzt ist – möglicherweise gezielt, um Selenskyj gefügig zu machen.
„Seine Folterwerkzeuge hat Trump gegenüber Selenskyj deutlich gemacht”
„Ich schätze, dass die Amerikaner jetzt einfach massiv Druck auf ihn ausüben werden, den Deal einfach erstmal zu unterschreiben; egal, welche Klauseln drinstehen”, sagt Mölling.„Seine Folterwerkzeuge – von der Demütigung bis hin zum Stopp der Militärhilfe – hat Trump gegenüber Selenskyj deutlich gemacht.”
Ohnehin sei fraglich, inwieweit der ukrainische Präsident sich noch auf seinen unberechenbaren amerikanischen Amtskollegen verlassen könne.
„Die Trump-Administration argumentiert, dass die amerikanischen Firmen und Arbeiter, die für den Rohstoff-Deal in die Ukraine ziehen, die amerikanischen Sicherheitsgarantien darstellen”, erklärt der Experte.„Aber woher wissen wir, dass im Falle eines russischen Angriffs Trump nicht einfach alle Amerikaner ausfliegen lässt und die Ukraine am Ende wieder alleine dasteht?”
Klemens Fischer, Professor für Internationale Beziehungen an der Universität zu Köln, sieht in dem Eklat vom vergangenen Freitag im Weißen Haus und in dem gesamten Nachspiel vor allem eine Inszenierung für das amerikanische Volk.„Trump hat seinen Wählern vorgeführt, dass die Ukraine und vor allem Selenskyi angeblich undankbar sind und die Biden-Administration zum Schaden des amerikanischen Volks gehandelt hatte”, sagt er.
Selenskyi ist nun Präsident von Trumps Gnaden – und das gefällt dem Amerikaner.
Fürs Erste habe Selenskyjs versöhnliche Nachricht auf X Trump wohl ein wenig besänftigt, glaubt Fischer. Trump nehme den Kniefall von Selenskyi als ersten Schritt an.„Er ist zufrieden mit dem Bild, das so entsteht: Selenskyi wird vor der Weltöffentlichkeit von Trump diszipliniert und muss die Vorgaben von Trump erfüllen.”
Zugleich betont der Wissenschaftler:„Sobald Selenskyi in den Augen von Trump renitent wird, folgt die nächste demütigende Disziplinierung. Vorerst ist ein willfähriger Selenskyi für Trump wertvoller, da er ihn öffentlich auf die Knie gezwungen hat. Selenskyi ist nun Präsident von Trumps Gnaden – und das gefällt dem Amerikaner.”
Das ganze Drama habe sich überhaupt erst derart entfalten können, weil europäische Staaten in den vergangenen Monaten keinen klaren Kurs hatten, sagt Fischer.
„Erst die Starmer-Initiative hat den Knoten gelöst, indem eine ,Koalition der Willigen’ die zu erwartende Blockade in der EU neutralisiert hat.”Er fügt aber direkt hinzu:„Ob Trumps Rechnung aufgeht, hängt vor allem von einer Person ab – und das ist Putin.”
Von Viktoria Bräuner, Hannah Wagner