Muss man beliebt sein, um die Wahl zu Vorteil verschaffen? | ABC-Z
Man könnte meinen, dass die Beliebtheit eines Kandidaten der wichtigste Faktor für den Wahlerfolg ist. Doch die SPD geht nicht mit dem beliebtesten Kandidaten aus ihren Reihen in den Wahlkampf, und die Union auch nicht. In den Umfragen lag Kanzler Olaf Scholz vor seiner Nominierung hinter Verteidigungsminister Boris Pistorius.
Ähnlich ging es dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, der in Umfragen vor der Spätsommerentscheidung für seine Kanzlerkandidatur schlechter abschnitt als der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Dass nun dennoch Scholz und Merz gegeneinander antreten, führt zu der Frage, welchen Stellenwert Beliebtheit überhaupt für den Wahlerfolg eines Kandidaten hat.
Wenn man den Meinungsforscher Thomas Petersen vom Institut für Demoskopie Allensbach danach fragt, was am Ende bei den Wählern verfängt, antwortet er: „Es sind mal Themen, mal Personen, mal äußere Umstände und Ereignisse, die den Ausschlag geben.“ Die Persönlichkeit der Kandidaten sei ein Faktor von verschiedenen Faktoren, und diese könnten wiederum auf unterschiedliche Weise wirken. „Ein Kandidat muss nicht Begeisterung auslösen, um zu überzeugen, auch wenn es natürlich hilft.“
Sympathie ist nicht alles
Petersen erinnert daran, dass die Bundeskanzler der Vergangenheit längst nicht alle Sympathieträger waren und dass die erfolgreicheren unter ihnen das aus sehr unterschiedlichen Gründen waren. „Adenauer wurde nie wirklich geliebt von der Bevölkerung, sondern er wurde respektiert.“ Die Leute hätten das Gefühl gehabt, das Land sei bei ihm in guten Händen. Für Angela Merkel gelte Ähnliches, auch wenn Zeit und Umstände anders waren. „Beide sind den Menschen nie in der Weise sympathisch gewesen wie Willy Brandt beispielsweise, der von seinen Anhängern regelrecht geliebt wurde.“
Dass es nicht unbedingt auf Sympathie ankommt, macht auch der Kommunikationsberater Cornelius Winter deutlich. Auf die Frage, wie er die Bedeutung von Sympathie für die Wahlentscheidung beziffern würde, antwortet er: „Abnehmend und deutlich unterhalb von 50 Prozent, wenn wir über den nächsten Wahlkampf sprechen, weil es da primär um den Zuspruch von Lösungskompetenz gehen wird.“ Einen Fokus auf Sympathie müsse man sich als Wähler „leisten“ wollen, sagt der Gründer der Kommunikationsberatung 365 Sherpas, die Spitzenpersonal in Politik, Wirtschaft, Verbänden und Zivilgesellschaft berät.
Bei der Frage, was verfängt, sieht Berater Winter Deutschland und Europa an einem Scheideweg. Früher sei es bei der politischen Kommunikation in Deutschland und Europa zuerst um Integrität und Fachkompetenz gegangen. Wenn man sich Donald Trump in den USA, Javier Milei in Argentinien, aber auch Giorgia Meloni in Italien anschaue, scheine es heute eher um Eindeutigkeit, Stärke und Kompromisslosigkeit im Sinne der Interessen von Wählerinnen und Wählern zu gehen. „Da gibt es Trump-Wähler, die sagen, Trump habe zwar einen schlechten Charakter, aber im Moment gebe es keine bessere Führungspersönlichkeit, um ihre Probleme zu lösen.“
Die Frage für Berater wie Winter lautet also, was die Erfolgsprämissen für die Positionierung von Persönlichkeiten im öffentlichen Raum sind. „Da sehen wir nun zwei konkurrierende Systeme, und in Deutschland und Europa stellt sich die Frage, was unser Weg ist.“
Im Bundestagswahlkampf werde man das ganz konkret an den Beispielen von Robert Habeck und Friedrich Merz sehen. „Während Habeck in seiner Positionierung stark auf Sympathie und Integrität setzen wird, inszeniert sich Merz eher als unbequemer Reformer“, sagt Winter.
Zusätzlich zur Positionierung als „unbequemer Reformer“ scheine es so, dass die Erfahrungen von Friedrich Merz in der Wirtschaft und der Umstand, dass er ein eigenes Flugzeug habe, in weiten Teilen der Bevölkerung eher so gesehen würden, dass er ein erfolgreicher Mann sei, der jetzt auch die Probleme dieses Landes lösen könnte. Das wäre aus Winters Sicht dann eher eine Kompetenzzuschreibung als ein Nachteil.
Wer Merz über den Wert von Leistung reden hört, hat nicht den Eindruck, als wolle er diese Seite verbergen. Gleichwohl schien er in der Vergangenheit hier und da mit dem Weichzeichner über sein öffentliches Bild zu gehen. Als er sich vor mehr als zwei Jahren eine Brille zulegte, die ihn milder erscheinen ließ, war das eine Nachricht. Dazu passt, dass seine Gattin in diesem Jahr mit der „Bild“-Zeitung über ihr Eheleben sprach. Und Sätze über Asylbewerber beim Zahnarzt oder kleine Paschas rutschen Merz nicht mehr raus.
Authentizität ist Trumpf
Den Stein der Weisen für den Weg zum Wahlerfolg hat noch niemand gefunden. Aber ein Zauberwort nennen sowohl Meinungsforscher Petersen als auch Kommunikationsberater Winter: Authentizität. „Nur wenn Kommunikation authentisch erfolgt, wird sie auch angenommen“, sagt Winter. Der Versuch, Authentizität zu ignorieren, führe dazu, dass man ein sehr künstliches Bild von sich erzeuge und sich verbiege. Das habe man zuletzt bei den Auftritten von Kamala Harris beobachten können. „Sie war präzise ‚on message‘, klang dabei aber zuweilen auch wie ein Wahlkampfroboter und nicht menschlich authentisch.“
Wenn der Berater mit Spitzenpolitikern arbeitet, geht er nach diesem Ansatz vor: „Wir haben einen Menschen und eventuell schon ein öffentliches Bild von diesem Menschen, und dann haben wir einen Raum, in dem es darum geht, dieses Bild zu bestätigen oder sanft an seiner Entwicklung zu arbeiten.“
Das öffentliche Bild, das entsteht, ist dabei Winter zufolge längst nicht nur von Inhalten abhängig. „Die Neurowissenschaftler haben ganz klar herausgefunden, dass Körpersprache wichtiger ist als Inhalt, also schließen wir alles ein und kommen dazu, dass wir sagen: Es geht um Sprache im ganzheitlichen Sinn; also Worte, Mimik, Gestus, Körpersprache.“ Und natürlich gehe es um die Frage, wie sich diese Sprache und die daraus abgeleiteten Kommunikationsmöglichkeiten und Botschaften in den verschiedenen Medien unterschieden.
Wenn sich Spitzenpolitiker an die Agentur von Winter wenden, berät diese in der Regel ein mindestens zweiköpfiges Team, damit die Berater nicht in denselben Tunnel geraten wie die Auftraggeber. Einen wesentlichen Teil der Arbeit beschreibt Winter so: „Wir müssen immer eine Realitätsübersetzung liefern.“ Die größte Gefahr für Organisationen und gerade auch Parteien sei, zu denken, der Pressespiegel wäre die Realität.
Überhaupt sei die Frage nach den entscheidenden Kanälen definitiv nicht mehr eindeutig zu beantworten. Dass es auf „Bams“, „Bild“, Glotze ankommt, wie der frühere Kanzler Gerhard Schröder einmal meinte, hat sich Winter zufolge schon lange überlebt.
Gleichzeitig stellt er fest, dass gerade politisches Spitzenpersonal immer noch eine Talkshow- und Interviewaffinität hat. „Aber das öffentliche Bild einer Person wird vielmehr auch durch andere, eigene Kanäle definiert, in der Regel sind das Social-Media-Kanäle, mittlerweile aber auch ganz stark Podcasts.“ Auch das Radio und der direkte Kontakt auf Dialogveranstaltungen spielten eine Rolle.
In diesem Winterwahlkampf werden die Meinungen über die Kanzlerkandidaten unter den Weihnachtsbäumen Form annehmen. Zuletzt gab es das vor der Wahl am 25. Januar 1987. Damals forderte Johannes Rau von der SPD den amtierenden Bundeskanzler Helmut Kohl von der CDU heraus. Kohl gewann. Der hatte laut Meinungsforscher Petersen auch keine besonderen Sympathiewerte, aber die Leute hätten das Gefühl gehabt: Der ist einer von uns.