Musk und seine AfD-Empfehlung: Was Europa tun kann | ABC-Z
Vor sechzehn Jahren haben wir an dieser Stelle des Feuilletons über einen nicht unsympathisch wirkenden jungen Mann aus Südafrika geschrieben, der in Kalifornien Elektromotoren in englische Sportwagen schrauben ließ und das Ergebnis „Tesla“ nannte. Damals hatte der Mann, der noch keine vierzig Jahre alt war, angekündigt, als Nächstes ein Familienauto mit Elektroantrieb bauen zu wollen.
Die Branche war skeptisch; es sei quasi unmöglich, was er da vorhabe. Niemand hätte damals gedacht, dass Tesla Anfang 2025 mit einem geschätzten Marktwert von fast 67 Milliarden Euro die wertvollste Automarke der Welt sein würde. Niemand hätte es allerdings auch für möglich gehalten, dass in diesem Jahr Donald Trump zum zweiten Mal zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt werden und dass der junge Mann von damals der reichste Mann der Welt sein und in der von ihm als „Weld“ bezeichneten Zeitung „Die Welt“ die Deutschen zur Wahl der AfD aufrufen würde, die es vor sechzehn Jahren auch noch nicht gab.
Und morgen die ganze „Weld“?
Elon Musk, jetzt reichster Mann der Welt, hat es geschafft, Donald Trump auf die hinteren Meldungsplätze zu verbannen, der noch bis vor Kurzem die Schlagzeilen mit täglichen Irrsinns-Ankündigungen bestimmte (Grönland soll den Vereinigten Staaten gehören; der Panama-Kanal soll den Vereinigten Staaten gehören; Kanada soll, kleiner Scherz oder auch nicht, den Vereinigten Staaten gehören). Jetzt kommt Musk. Er fordert die Deutschen auf, AfD zu wählen. Er bezeichnet auf seinem X-Account, dem über 200 Millionen Menschen folgen, Bundeskanzler Scholz als „unfähigen Trottel“, Bundespräsident Steinmeier als „antidemokratischen Tyrannen“.
Und während normale Bürger sich, wenn sie das politische Personal in Onlineforen derart beschimpfen, auf Polizeibesuche einstellen müssen, reagiert die deutsche Politik auf Musks abrissbirnenhafte Delegitimierung jeder Idee von Amtswürde ratlos fußstampfend: Das sei eine „gravierende Grenzüberschreitung“ (Rolf Mützenich), „übergriffig und anmaßend“ (Friedrich Merz). FDP-Chef Lindner, der aus seinem Vier-Prozent-Umfrageloch heraus noch vor Kurzem gefordert hatte, Deutschland solle mehr „Musk wagen“, stand plötzlich noch einsamer da. Eine Sprecherin der Bundesregierung beklagte Musks „Einmischung in den deutschen Wahlkampf“, wolle aber dessen Plattform X auch nicht verlassen, weil man dann die dortigen Nutzer nicht mehr erreiche.
Die Reaktionen auf Musks Frontalangriffe zeigen vor allem eins: wie machtlos nicht nur Deutschland, sondern die Europäische Union angesichts der Macht von Musks Plattform X ist, zu der es zumindest in Europa keine auch nur annähernd ähnlich wirkmächtige Alternative gibt.
Während Musk Europa seine digitalpolitische – und damit zunehmend auch politische – Machtlosigkeit vorführt, sonnt er sich in einer bizarren römischen Herrscherikonographie. Zwischenzeitlich hatte er sich auf seiner Plattform einen neuen Profilnamen gegeben, nämlich „Kekius Maximus“; dazu war ein Frosch in römischer Gladiatoren-Rüstung zu sehen, was eine seltsame Fusion aus der von Rechtsextremen genutzten Comic-Figur „Pepe, der Frosch“ und dem „Gladiator“-Helden Maximus Decimus ist und außerdem der Name einer Kryptowährung. Diese für Elon Musk typische Mischung aus Albernheit und dunkler Selbstfeier zieht sich durch zahlreiche seiner jüngeren Auftritte. In Rom posierte Musk wie ein interstellarer Imperator, der gerade den Mars erobert, in den Ruinen des alten humanistischen Europas. Er ließ sich im Kolosseum fotografieren, wo auch das inzwischen fast vergessene physische Duell, zu dem Musk seinen Tech-Konkurrenten Mark Zuckerberg herausforderte, stattfinden sollte.
Doge mit unbeschränkter Macht?
Seinen Hochleistungsrechner, der für das KI-Projekt xAI und den Chatbot Grok benötigt wird, nennt Musk „Colossus“, auf dem Atreju-Festival der italienischen Rechten erklärte er, er wolle nicht, dass „Italien als Kultur verschwindet: Bitte macht mehr Italiener!“. Und es ist vielleicht auch kein Zufall, dass die Deregulierungskommission, die Musk zusammen mit dem Unternehmer Vivek Ramaswamy führen soll, das „Department of Government Efficiency“, die Abkürzung „Doge“ erhält, als regierten sie darin wie die in der Frühzeit der venezianischen Republik mit unbeschränkter Macht ausgestatteten Herrscher, die Dogen.
Musks Ko-Doge Ramaswamy ist wie Musk selbst ein erklärter Gegner der Identitätspolitik und des „Wokismus“. Er würde das Wahlalter gerne auf 25 Jahre hochsetzen, den Ukrainekrieg mit einer Übereignung aller von Putin besetzten Landesteile an Russland beenden und kritisiert Investmentfirmen wie Blackrock dafür, dass sie die Interessen ihrer Shareholder zugunsten von übertriebenen Umweltstandards vernachlässigen. 2022 gründete er mit Kapital von Musks Mentor Peter Thiel und Trumps Vizepräsidenten J. D. Vance die Investmentgesellschaft Strive Assets, die keine solchen Standards hat; zusammen mit Musk wird er jetzt die Behörden zerlegen, die Unternehmer wie sie regulieren sollten.
Die „Financial Times“ führt Thiels und Musks in Teilen fast paranoide Angst vor dem Untergang westlicher Kulturen durch Migration wie auch ihre Abneigung gegen „woken“ Multikulturalismus auf ihre Herkunft aus dem Südafrika der Apartheidsjahre zurück: „Musk lebte in diesem Apartheids-Land, bis er 17 war, Thiel verbrachte einige Kindheitsjahre in Südafrika und Namibia, wo sein Vater in die Förderung von Uran involviert war.“ Der „Albtraum des weißen Südafrikas war es in den Achtzigerjahren, dass sich eines Tages die Schwarzen erheben“ und ihre Peiniger massakrieren würden.
Weltweiter Einfluss
Musks weltweiter Einfluss auf die Welt der Information und damit auch der globalen politischen Stimmungen wird immer sichtbarer. Seit 2023 arbeitet sein Künstliches-Intelligenz-Unternehmen xAI an dem KI-Chatbot Grok, der über „Echtzeit-Wissen aus der X-Plattform“ verfügen und laut Musk „weniger woke“ als ChatGPT sein soll. Musks Demontage öffentlicher Institutionen erfasst aber neben den Medien auch andere Bereiche wie Sicherheit und das Gesundheitswesen, in dessen Privatisierung die Tech-Konzerne ein enormes Potential ausmachen: Der Digital Health Market, der Gesundheits-Apps und digitale Services umfasst, wird von Analysten auf über 500 Milliarden Dollar geschätzt. Man könne etwa Röntgen- und MRT-Bilder effizienter von Grok analysieren lassen, sagt Musk.
Tatsächlich können KI-gesteuerte Bildanalyseverfahren bei medizinischen Diagnosen und Operationen hilfreich sein, aber was rechtlich beim Hochladen sensibler privater Gesundheitsdaten auf Social-Media-Plattformen passiert, ist ebenso ungeklärt wie die Frage, ob ein Gesundheitssystem, das von den technischen Infrastrukturen privater Unternehmen abhängig ist, überhaupt noch im Dienste der Bürger operiert.
Die ökonomischen Interessen
Immer wieder wurde über die mögliche Zerschlagung der großen Plattformen diskutiert. Mittlerweile sind sie aber bereits so eng mit dem Staat verflochten, dass ihre Kontrolle immer schwieriger wird. Firmen wie Palantir oder Elon Musks Starlink spielen im Ukrainekrieg eine wesentliche Rolle, viele hochsensiblen staatlichen Daten lagern in privaten Amazon-Rechenzentren – und dass Elon Musk von Trump als Entbürokratisierungs-Doge eingesetzt wurde, bedeutet nicht weniger, als dass man die Industrie, deren Machtausübung von den Behörden kontrolliert und eingehegt werden sollte, damit beauftragt, ebendiese Behörden zu eliminieren.
Damit entsteht ein neues Amalgam von privaten Interessen und der öffentlichen Hand, durch das die für alle Demokratien wesentlichen hoheitlichen Aufgaben wie Sicherheit, Bildung und Gesundheit durch private Dienstleistungen ersetzt werden: Der Staat schrumpft am Ende zur weitgehend handlungsunfähigen Kanalisierungsanlage der ökonomischen Interessen einiger weniger Digitalkonzerne und Plattformen zusammen.
Abnehmspritze in den Bauch, fertig
Was es bedeutet, wenn man staatliche Gesundheitsfürsorge durch akupunkturhafte private Dienstleistungen ersetzt, zeigt Musks Vorschlag zur Bekämpfung von Übergewicht bei Amerikanern. Musk spricht sich für eine verbilligte massenhafte Abgabe von Abnahmespritzen und Medikamenten wie Ozempic aus; nichts sei effektiver zur Verbesserung der Gesundheit der Amerikaner.
Das Denken dahinter ist typisch für den „Tech-Solutionismus“ (Evgeny Morozov) des Silicon Valley: Man verbessert die Gesundheit nicht, indem man zu den Wurzeln des Übels vordringt und die Nahrungsmittelhersteller zwingt, weniger Zucker und weniger Fett zu verwenden, man verbessert nicht die Versorgung der Schüler mit Obst und Gemüse, man sorgt nicht dafür, dass das gestresste Einkommensprekariat in die Lage versetzt wird, Zeit zum Kochen zu finden, man ändert nicht die sozioökonomischen Ursachen von ungesunder Ernährung – man haut den Leuten einfach eine Abnehmspritze in den Bauch, und weiter geht’s.
Dass durch seine Einbindung in den Regierungsapparat solche Ideen zu unmittelbaren politischen Handlungsanweisungen werden könnten, ist vielleicht ein noch größeres Problem als die doch eher kurios uninformierte Wahlkampfempfehlung eines Elektroautoherstellers für eine Partei, die das Elektroauto für gefährlichen Unsinn hält. Aber man kann auch nicht bestreiten, dass wohl kein anderer Mensch und kein anderes Medium ein so großes Publikum mit einer Aussage über den deutschen Bundespräsidenten erreicht hat wie Musk mit seinem abstrusen Tyranneigezeter.
In ihrem Buch „Power and Progress“ belegen die im vergangenen Jahr mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichneten Ökonomen Daron Acemoglu und Simon Johnson, dass Digitalisierung und Künstliche Intelligenz bis jetzt Ungleichheit eher verstärken und Demokratien ebenso wie die Freiheit und Selbstbestimmung der Bürger durch massive Datensammlung und Überwachungsstrategien unterminierten. Die führenden KIs werden von wenigen Unternehmen im Silicon Valley gebaut; ihre Programmierung ist vollkommen intransparent. Mehr und mehr gerate die reale Macht im Zeitalter der Digitalisierung in die Hände einiger weniger Tech-Unternehmer.
Eine denkbare Lösung
Was tun? Eine denkbare Lösung lautet: X wegen ungenügender Kontrolle von Fake News und Hassbotschaften abschalten. Das versuchen nicht nur autoritäre Regimes wie in China, denen es gelang, heimische Messenger-Dienste wie Wechat oder Plattformen wie Tiktok als Alternative zu den amerikanischen Marktführern durchzusetzen. Auch Brasilien arbeitet daran, unabhängig von US-amerikanischen Megakonzernen eine autonome digitale Infrastruktur aufzubauen.
Im vergangenen August hatte das Oberste Bundesgericht X vom Netz nehmen lassen, nachdem die Plattform trotz mehrfacher Aufforderungen die Konten nicht sperrte, über die Rechtsextreme zuvor zur Besetzung von Parlament und Justizpalästen angestiftet worden waren. In einem offenen Brief warnten 50 Intellektuelle und Ökonomen, darunter Shoshana Zuboff und Francesca Bria, dass „Demokratien destabilisiert werden, da einige Tech-Giganten rechtsextreme Bewegungen unterstützen“, wenn sie ihr Geschäftsmodell in Gefahr sähen: „Die Tech-Riesen kontrollieren nicht nur die digitale Welt, sondern betreiben auch Lobbyarbeit und verhindern, dass der öffentliche Sektor eine unabhängige digitale Agenda aufstellen kann, die sich an lokalen Werten und Bedürfnissen orientiert.“
Was bedeutet das für Europa? Natürlich kann man das neue EU-Gesetz für digitale Dienste auf X anwenden, schon weil Musks Plattform nachweislich zu wenig gegen die Verbreitung von Desinformation tut. Auch eine länderübergreifende Regulierung digitaler Dienste durch die Vereinten Nationen könnte Auswüchse verhindern. Auf die Dauer wird das Lamento über Einmischungen von Tech-Imperatoren und der Ruf nach Regulierung aber nicht reichen. Wenn Europa keine politisch handlungsunfähige Digitalkolonie amerikanischer Unternehmen werden will, braucht man erfolgreiche europäische Plattformen und alternative Künstliche Intelligenzen, eigene digitale Ökosysteme.
Dafür sei es zu spät, heißt es immer wieder. Aber selbst die Marktdominanz von Google ist kein Naturgesetz, sondern kann durch technologische Innovationen und neue Anwendungen Künstlicher Intelligenz infrage gestellt werden, wie der Erfolg von ChatGPT zeigt. Die Digitalexpertin und Ökonomin Francesca Bria hat vor Kurzem gefordert, dass Europas öffentliche Sender, die zusammen immerhin deutlich mehr Menschen als Musk erreichen, eine Plattform als X-Alternative entwickeln müssten. Das europäische Projekt TrustLLM will ein „offenes, vertrauenswürdiges und nachhaltiges“ großes Sprachmodell (Large Language Model) und „ein europäisches Ökosystem für modulare und erweiterbare LLMs etablieren“.
Es wird Spannungen geben
Solche Projekte haben umso mehr Chancen, als Spannungen in Trumps Regierungsteam programmiert sind. Elon Musks valleytypische Idee, die Gesundheitsprobleme des Landes mit Apps oder einem Medikament zu lösen, könnten am Hass des designierten Gesundheitsministers Robert F. Kennedy Jr. auf die Tech- und die Pharmaindustrie scheitern. Trump selbst ist Narzisst genug, um nicht endlos auf Platz zwei der Nachrichten hinter Musk auftauchen zu wollen. Dazu könnte es zur Kollision zwischen Musk und jenen mächtigen Konservativen kommen, die Amerikas Wirtschaft nach dem Vorbild der Zerschlagung der Eisenbahn- und Stahlmonopole um 1900 durch die Zerlegung der Tech-Konzerne und nicht durch ihre Integration in den Regierungsapparat wiederbeleben wollen.
Musks unternehmerischer Erfolg hängt an politischen Rahmenbedingungen, daher seine nervösen weltweiten Einmischungen. Brasilien zeigt, dass der internationale Widerstand gegen die Praktiken von X wächst. Australien hat, was Musk „faschistisch“ findet, die Nutzung von Social-Media-Plattformen für Jugendliche unter 16 Jahren generell verboten. Die chinesische Autoindustrie setzt Tesla unter Druck, die Verkäufe gingen empfindlich zurück, Musk versucht, zum Ausgleich die Genehmigungen für selbstfahrende Robo-Taxis in Amerika zu beschleunigen. Trump, Machtmensch, der er ist, könnte Musk, wenn die ersten Robo-Taxis Passanten über den Haufen fahren oder die Stimmung im Land grundlegend kippt, als Ersten über die Klinge springen lassen.
Es ist nicht unvorstellbar, dass die Ruinen, vor denen sich Elon Musk in Rom fotografieren ließ, irgendwann wie ein Sinnbild seines Imperiums aussehen könnten.