Kultur

Musikfest Berlin: Singen von Sterben und Tod | ABC-Z

„Amor, hilf Du mir / Oder nimm mir das Leben.“ – „Ach Tod, gib Hilfe / Töte dieses Leben!“ – „Und habe außer dem Sterben keinen anderen Ausweg als den Tod.“ Die Kunst des Madrigals ist eine eigenwillige. Im 16. Jahrhundert aufgekommen, fehlte diesen Gedichten alles, was diese Form sonst erforderte. Keine Reime, kein Versmaß, keine Strophen. Und in den Texten spiegelte sich das schwierige Verhältnis der Geschlechter ihrer Zeit wider, von Liebe ist dort in der Regel nur in Gestalt von Qualen die Rede. Die vorangestellten Zitate stehen für die teils absurden Klagen, die darin zum Ausdruck kommen.

Komponisten der Renaissance regte das Madrigal zu einer eigenen Gesangsform an, in der Liebesleid ganz neuen musikalischen Ausdruck erhielt. Am Dienstagabend konnte man beim Konzert des Ensembles Les Cris de Paris in der Philharmonie im Rahmen des Musikfests Berlin sehr konzentrierte Einblicke in diese besondere Kunst des Liebesgesangs erhalten. „Strana armonia d’amore“ nennt das Pariser Ensemble sein Programm, zu dem es im Frühjahr unter demselben Namen auch eine CD veröffentlichte.

Die Komponisten, die sie beispielhaft als „Liebesharmoniker“ versammelt haben, wählen in ihren Vertonungen meist Zusammenklänge, die zwischen Konsonanz und Dissonanz fließen. Am bekanntesten von ihnen ist Carlo Gesualdo, der nicht allein durch einen von schroffen Halbtonschritten geprägten Stil von sich reden machte, sondern als Mörder seiner Ehefrau und ihres Liebhabers durchaus wusste, wovon seine Musik handelte. Auch Sigismondo d’India, Cipriano de Rore und Luzzasco Luzzaschi gehören zu den bekannteren Vertretern ihrer Epoche.

In jüngerer Zeit erst wieder entdeckt wird das Werk von Nicola Vicentino, der als Theoretiker und Praktiker verschiedene harmonische Traditionen, die teils auf die antike Harmonielehre zurückgehen, miteinander verbinden wollte. Das Ergebnis sind kleinste Tondifferenzen, mikrotonale Musik avant la lettre, die vom Ensemble in ihrer fremdartigen Schönheit wunderbar wiedergegeben wurde.

Konzert

Rias Kammerchor, heute, 20 Uhr, Philharmonie

Stimmliche Individualität im Vokalensemble

Les Cris de Paris ist dabei kein reines Vokalensemble, zwei Harfenisten und vier Gambisten ergänzen die elf Sänger. Letztere setzen nicht so sehr auf ein homogenes Klangbild, sondern lassen ihre stimmliche Individualität leicht durchdringen. Einzelne Madrigale wiederum führte der Dirigent Geoffroy Jourdain in rein instrumentaler Fassung auf, statt sie singen zu lassen.

Ergänzend zu dieser Auswahl hat die Komponistin Francesca Verunelli eine kleine Serie von „Sequenzen“ im Auftrag des Ensembles geschrieben. „VicentinoOo“ nennt sie diese musikalischen Vignetten, die im Namen an Nicola Vicentino anknüpfen und wie ein Dialog zwischen Renaissance und Gegenwart wirken. Mitunter erinnerten die Kompositionen Verunellis an Fingerübungen, als Nachweis der Aktualität der vorgestellten „alten“ Musik wären sie jedenfalls nicht nötig gewesen. Denn die kann nach wie vor bestens für sich stehen und im guten Sinn verwundern.

Einen ähnlichen Dialog zwischen den Jahrhunderten führt heute in der Philharmonie der Rias Kammerchor unter der Leitung von Kaspars Putniņš. Für ihr Konzert beim Musikfest Berlin bringen sie Giovanni Pierluigi da Palestrinas „Missa Papae Marcelli“, eines der Hauptwerke der Renaissance, mit Chormusik des estnischen Komponisten Arvo Pärt zusammen, der an diesem Tag übrigens seinen 90. Geburtstag feiert.

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