Kultur

Musikerin Jens Ausderwäsche: Sie pflegt lieber Marotten statt Selbstoptimierung | ABC-Z

Wer sich auf die mühsame Suche nach dem Wort „Kurzarbeit“ in der deutschsprachigen Pop­lyrik macht, wird passenderweise fündig in Chemnitz, von 1953 bis 1990 Karl-Marx-Stadt genannt, im 19. Jahrhundert als „sächsisches Manchester“ tituliert und aktuell Kulturhauptstadt Europas. Dort, im Stadtteil Sonnenberg, lebt und arbeitet Jens Ausderwäsche.

Der wenig groovige Begriff „Kurzarbeit“ kommt in einem unbedingt tanzflächentauglichen Song der ostdeutschen Musikerin vor. „Dagmar wird böse“ heißt er, und so viel kann schon mal verraten werden: Dagmar ist nicht allein, wenn es gegen den „beschissenen Luxus für ­jeden“ geht.

Das Pseudonym Jens Ausderwäsche hat der Künstlerin ein Freund gegeben, und sie mag das Überraschungsmoment, dass Jens bürgerlich Jenny Kretzschmar heißt, geboren 1995 im sächsischen Rochlitz, aufgewachsen in Geringswalde. Gäbe es die Stadt zwischen Leipzig, Chemnitz und Dresden nicht tatsächlich, könnte sie eine Wortschöpfung von Jens Ausderwäsche sein.

Jens war bereits musikbegeistert, als sie in Döbeln einen Schreibkurs der Autorin Sylvia Eggert besuchte. „Für mich war das eine Möglichkeit, zum ernsthaften Ausdruck zu kommen“, erinnert sich Jens im Gespräch mit der taz. Sie nahm an Lesungen teil. Drei Monate zuvor war sie noch eine Schülerin gewesen, die selbst gestaltete Hefter mit eigenen Gedichten bei sich trug.

Mit zwölf zum Schreibkurs

Eine Klassenkameradin erzählte davon der Geografielehrerin, die kannte Eggert; und die Germanistin und Anglistin machte die damals zwölfjährige Jenny Kretzschmar mit Techniken wie der des Automatischen Schreibens, derer sich die Surrealisten bedienten, vertraut.

Ihr erster musikalischer „Crush“, wie Jens ihn nennt, war Elvis. Da war sie acht, neun Jahre jung und vernarrt in die Serie „Full House“, speziell in Onkel Jesses Erzählungen vom King. Jens lieh sich deshalb CDs und Kassetten aus der städtischen Bibliothek und behielt sie ein halbes Jahr. Danach folgte eine Popphase, die sie rückblickend „komisch“ nennt. Jens hat VIVA und MTV schwer „gesuchtet“. Exakt so sagt sie das. Dann begegneten ihr Oasis und Babyshambles, etwas später klassischer Rock, Nirvana und Lou Reed, dessen Werk sie ein ganzes Jahr lang hörte. Vom elektrisch verstärkten und literarisch versierten Grantler Reed war es nicht mehr weit zu Outsider-Sounds, zu „Musik fast schon an der Grenze zur Musik“.

Jens Ausderwäsche spielt durch seltsame Filter gejagte Popsongs und herzlich unakademische Experimentalmusik. Disco und Noise, Grunge und Folk gehen bei ihr eine Liaison ein, in der es knistert und knarzt. Bekannt geworden ist Jens als Mitglied der Band Baumarkt. Als Duo gegründet, spielten Sängerin und Gitarristin Jens und Multiinstrumentalist Florian Illing, für zwei Jahre stieß die Bassistin Brontë Klippell hinzu, eine kantige Version von Synthie-Punk. Baumarkt nahmen noch an der Eröffnungsfeier zur Kulturhauptstadt 2025 in Chemnitz teil und haben sich dann im Frühjahr leider aufgelöst.

Disco und Noise, Grunge und Folk gehen bei ihr eine Liaison ein, in der es knistert und knarzt

Noch einmal zu hören sind sie auf „Rövolution“, der gerade erschienen zweiten Compilation von Rö13 Records, des Labels, auf dem Jens Ausderwäsche und ihr Umfeld seit 2020 Songs veröffentlichen. Ihre eigene Musik und das Programm des Labels umreißt Jens mit dem Adjektiv „schrullig“ und sagt: „Ich gehe offensiv damit um. Rö13 ist ein Schrull-Label. Ich finde es wichtig, dass man die Schrulligkeit für neue Generationen warmhält. Ansonsten stirbt sie. Ich habe Angst um die Schrulligkeit.“

Nachtarbeit statt Abendkleid

Marotten statt Selbstoptimierung, Ticks statt Effizienz, so lässt sich dem Kapitalismus, dem die Schminke am Zerlaufen ist, einigermaßen stilvoll gegenübertreten. Das hat sich Rö13 auf die Fahnen geschrieben. „Rövolution“ enthält dazu einige Zustandsbeschreibungen, begnügt sich aber nicht damit. „Nachtarbeit statt Abendkleid“ heißt es in dem energischen Wave-Punk der nach einem Roman von Autorin Paula Irmschler benannten Band Superbusen, in der Jens Ausderwäsche ebenfalls mitspielt.

Zusammen mit der Schauspielerin Magda Decker bringen Superbusen der Popmusik noch ein paar mehr Begriffe bei, etwa „Lohnstreik“ und „Mindestlohn“. „Ich bin phänomenal / phänomenal egal“, singen Superbusen. Willkommen in Deutschland 2025, willkommen beim „DHL-Lifestyle“. Und hier kommt ein Text, der Manifestcharakter hat: „Das ist keine Kunst, das ist Schmutz / Das ist keine Musik, das ist Krach / Das ist kein Gemälde, sondern Schmiererei / Das ist keine Poesie, welche schützt vor Pöbelei“,sagen die Leute in „Schmutz“, einem Stück Rumpelrock von Benni Schurtz. Der verwandelt den Vorwurf in Stolz.

Jens Ausderwäsche ist wieder dabei, wenn die Band Projekt Hässlich den „Terror der guten Laune“ persifliert: „Wir blasen die Posaune“. Eigentlich will man sich in den Rechner flüchten: „Welt gerettet und nur dreimal ausgerastet“, berichtet Augenringemann im Elektro-Schleicher „System Overhaul“. Das „Nein“ in der gleichnamigen Mini-Rockoper von Moraffa ist allumfassend und wörtlich zu nehmen.

Vielleicht das Liebeslied des Jahres

Dabei ist die Musik auf „Rövolution“ alles, aber kein dröger Agit-Prop. Das „Geisterhaus“ von Der Anfang könnte das Liebeslied des Jahres 2025 werden. „Ananas Ring“ von Poly­ghost ist ein mustergültiger Popsong, Drumcomputer, träumerische Keyboardflächen und Handclaps inklusive. Ein Bandname wie Leere Flaschen lässt Fun-Punk befürchten, aber ihr Beitrag „Wie Du tanzt“ geht als schneidend unsentimentaler Darkwave durch. „Pheromone“ von Frydek entwickelt sich von einer Sommerballade zu epischem elektronischem Pop. Und mit dem „Igelponyreiter“ von Toni Lihs gibt es ein absurdes Hörspiel im Minia­turformat.

Das Rö13-Klanguniversum ist weit gestreckt; dabei hat es sich an einem Ort entfaltet, in der Rößlerstraße 18 in Altchemnitz. Das Eckhaus aus der Gründerzeit ist Kulturdenkmal und war gleichzeitig Austragungsort von künstlerischen Begegnungen, Bandsessions und Alltag jenseits der Alltäglichkeit. Jens Ausderwäsche hat dort lange gewohnt, bis die Balance zwischen bohemehaft und prekär gekippt war.

Zwei Veröffentlichungen von Jens Ausderwäsche stehen in diesem Jahr mit Sicherheit noch an. Da ist einmal ihre Interpretation des Iggy-Pop-Klassikers „Plastic & Concrete“, einer Studie in Entfremdung und Moderne. Erscheinen wird Jens’ Lo-Fi-Cover auf dem Album „Beton Pop“, einer von dem Leipziger Alexander Pehlemann kuratierten Compilation als Hommage an das steinerne Grau und die darin eingeschlossenen Utopien und lauernden Dystopien.

Zum anderen wird es ein neues Soloalbum von Jens Ausderwäsche geben: „Hier“ ist bereits fertig produziert und wird auch Beiträge von Tom G. Liwa enthalten. Der Duisburger Songwriter und Gründer der deutschsprachigen Psychedelic-Folk-Band Flowerpornoes darf als Geistesverwandter gelten. Bis zum Erscheinen des Albums empfiehlt sich der Backkatalog von Jens Ausderwäsche: Da sind die liedhaften, sich einander spiegelnden Songs der Doppel-EPs „Gesund und munter“ und „Müde und gesund“ und der doppelbödige Pop-Entwurf inklusive „Dagmar ist böse“ des Albums „Mir“, wie auch dessen geräuschhaltiger Vorgänger „Dir“. Beide Alben werden mit „Hier“ eine Trilogie bilden.

Zorn über rassistische Ausschreitungen

Dann ist da die andere Seite derselben Künstlerin: Das eigentliche Debütalbum von Jens Ausderwäsche ist das 2018 erschienene „Barbaren“, eine zornige Reaktion auf die rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz am 27. August 2018. Das Datum, an dem das aktuelle Deutschland begann, ist der Titel des Eröffnungsstücks und ein gewollt unangenehmes Beispiel für Noise-Rock.

Dabei hat sich für Jens Ausderwäsche ein Kreis geschlossen: Seit 2024 musiziert sie mit dem aus Karl-Marx-Stadt stammenden Berliner Künstler Florian Merkel unter dem Namen Der Lustige Eidechs. Merkel war 1983 Mitbegründer der Band Die Gehirne. Um ihn und den Autor und den Filmwissenschaftler Claus Löser scharte sich ein Kreis klanglich Aufgeschlossener, deren Echos sich auch in der Musik von Jens Ausderwäsche wiederfinden. Die Gehirne und deren Seitenprojekt Tropenkoller, Florian Merkel mit der Künstlerin und Musikerin Frieda Schmoll, hört Jens auf den Alben der Edition Tapetopia des Schriftstellers Henryk Gericke.

Mit Florian Merkel stellt sie mittlerweile auch aus und ist zu Recht stolz, wenn er ihr sagt: „Das ist wie in den Achtzigern.“ Mit Nostalgie hat das wenig zu tun, wie auch das mythische Jahrzehnt nicht nur aus Schulterpolstern und Neonfarben bestand.

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