Geopolitik

Münchner Psychologin: “Im Moment sind viele gekränkt” | ABC-Z

München – Auch die politische Lage trägt dazu bei, dass viele gekränkt sind, sagt Bärbel Wardetzki. Sie wurde 1952 geboren und ist in München als Psychotherapeutin, Supervisorin und Coach tätig. Aktuell ist ihr Buch “Nimm’s bitte nicht persönlich” überarbeitet erschienen. 

AZ: Frau Wardetzki, wie ist Ihr Eindruck: Nehmen immer mehr Menschen heutzutage Dinge zu persönlich? Sind wir schneller gekränkt als früher?
Bärbel Wardetzki: Ich glaube, die Kränkbarkeit war immer schon groß, aber vielleicht sind unsere Ansprüche gestiegen, sodass wir davon ausgehen: “Es muss so laufen, wie ich es haben will”. Ist dem nicht so, reagieren wir empfindlicher darauf. Auch durch die politische Lage im Moment sind viele gekränkt, weil die Sicherheit und unser Wohlstand schwanken.

Viele vertreten auch eine starke (politische) Meinung. Sobald der Gegenüber eine andere hat, wird das als persönlicher Angriff interpretiert. Nehmen Sie das auch so wahr?
Das ist sehr neu: Wir haben unsere Dialog-Fähigkeit verloren. Wir haben oft sehr polarisierte Meinungen. Beispiel Corona: Impfung ja oder nein – es gab nichts dazwischen. Wenn ich mich durch das Nein des anderen in meiner Meinung bedroht fühle, gerät man eher in einen Kampf, anstatt miteinander zu sprechen, sich zuzuhören und die Argumente abzuwägen. Diese Betroffenheit über eine andere Meinung ist schon sehr auffällig. Als ob das eigene Selbstbild beschädigt würde, wenn der Gegenüber meine Meinung nicht bestätigt. Auch die sozialen Medien können hier einen Einfluss haben. Auch dort wird sehr polarisiert diskutiert.

Sie wurde 1952 geboren und ist in München als Psychotherapeutin, Supervisorin und Coach tätig. Aktuell ist ihr Buch “Nimm’s bitte nicht persönlich” überarbeitet erschienen.
Sie wurde 1952 geboren und ist in München als Psychotherapeutin, Supervisorin und Coach tätig. Aktuell ist ihr Buch “Nimm’s bitte nicht persönlich” überarbeitet erschienen.
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Was verstehen Sie genau unter einer Kränkung, was steckt eigentlich dahinter?
Eine Kränkung ist immer eine Reaktion auf etwas, was uns in unserem Selbstwertgefühl mindert. Wir fühlen uns nicht gesehen, abgelehnt, nicht beachtet, entwertet oder gedemütigt – und das schwächt unser Selbstwertgefühl. Wir sind also nicht nur sauer, sondern haben das Gefühl, weniger wert zu sein. Daher rührt auch die heftige Reaktion, denn wir alle wollen wertvoll sein. Manchmal interpretieren wir jedoch Dinge gegen uns gerichtet, die es womöglich gar nicht sind.

Mit einer Ich-Botschaft ansprechen

Was ist der richtige Umgang mit so einer Situation?
Die landläufige Reaktion darauf ist, dass man erstmal nicht mehr miteinander spricht. Diese erste Reaktion ist natürlich sehr schädlich – für einen selber und den anderen. Ein zentraler Punkt ist daher, die Kränkung anzusprechen und damit eine Brücke zum anderen herzustellen. Grundsätzlich jedoch gilt: Wenn wir gekränkt sind, hat es oft mehr mit uns selbst zu tun als mit dem anderen.

Warum?
Es trifft wunde Punkte in uns. Das Gegenüber weiß oft gar nicht warum. Daher sollte man es ansprechen und zwar mit einer Ich-Botschaft: “Ich fühle mich nicht gut mit dem, was du gesagt hast”. Oder: “Ich fühle mich gekränkt/verletzt…”. Im Anschluss kann man den anderen fragen: “Wie hast du das erlebt und wahrgenommen?” So kann die Person auch ihre Meinung sagen und es kann ein Austausch darüber stattfinden.

Manche reagieren viel schneller gekränkt

Was ist, wenn die Meinungen darüber dann immer noch auseinandergehen?
Dann besteht der Konflikt noch, aber man kann diesen auch so stehen lassen: “An dieser Stelle kommen wir nicht zusammen und finden keinen Konsens”. Aber wir leben ja nicht nur diesen Konflikt. Man kann trotzdem in Kontakt stehen und die Freundschaft pflegen, auch wenn einer an einer Stelle eine ganz andere Meinung vertritt. Man muss sich deswegen nicht persönlich betroffen fühlen.

Sind manche empfindlicher als andere?
Menschen, die alles so persönlich nehmen, reagieren natürlich viel schneller gekränkt als andere. Sie sind so darauf angewiesen, dass von außen positive Rückmeldung kommt. Deswegen beobachten sie alles genau und jede hochgezogene Augenbraue oder jeder komische Tonfall wird sofort interpretiert und gegen sich erlebt.

Woher kommt das?
Oftmals sind es Themen, die uns schon das ganze Leben begleiten. Etwa, wenn die Mutter früher nicht zugehört hat, und jetzt fühlt man sich, als ob einem wieder niemand zuhören würde. Auf der anderen Seite erleben wir im Laufe unseres Lebens viele Zurückweisungen und Kränkungen. Jeden Tag letztendlich in irgendeiner Form. Es können also alte Sachen sein, aber auch neue Verletzungen, die die alten möglicherweise bestätigen.

Kränkungen sind sehr destruktiv

Sie bezeichnen es in Ihrem Buch “Nimm’s bitte nicht persönlich” als Kränkungsleichen, wenn man Verletzungen aus der Vergangenheit nicht aufarbeitet.
Das steht sinnbildlich gesprochen für die Menschen, mit denen man nach einer Kränkung nichts mehr zu tun haben wollte. Das Fatale an diesen Kränkungsleichen ist, dass sie eine enorme Wirkung haben. Wir packen sie zwar in den Keller, aber sie sind deswegen nicht weg, sondern in uns noch lebendig. Wir werden sie nur los, wenn wir sie hervorholen und entweder direkt mit diesen Personen sprechen oder aber in einen vorgestellten Dialog mit ihnen gehen. Dann kann man eine Art Frieden damit schließen. Kränkungen sind sehr destruktiv und zerstörerisch. Wenn wir lernen, anders damit umzugehen, ist es auch ein Stückchen Friedensarbeit.

Was sollte ich machen, wenn ich mich ganz akut in einer Situation gekränkt fühle?
Das Beste ist, erstmal tief durchzuatmen. Ganz selten können wir spontan darauf reagieren, wir sind in diesem Moment sehr emotionsgesteuert und schlagen etwa eine Türe zu. Man sollte aus diesen Mustern ausbrechen und sich erstmal aus der Situation herausnehmen. Dann kann man sich fragen: Was ist gerade eigentlich das Problem? Hat es wirklich mit dem anderen zu tun oder eigentlich mit mir und meinem Thema?

All das Positive aufschreiben, was man schon erlebt hat

Was gilt bei Ersterem?
Wenn es mit dem anderen zu tun hat, ist es wichtig zu sagen: “So geht es nicht, so möchte ich nicht, dass du mit mir sprichst. Wir sollten anders miteinander umgehen.” Bevor man das Problem aber mit dem anderen bespricht, sollte man ein paar Nächte darüber schlafen. Die Kränkungswut will zerstören, deswegen sollte man nicht aus ihr heraus reagieren. Wenn es dagegen mit einem selbst zu tun hat, muss man sich die Themen anschauen und versuchen, weniger empfindlich zu sein und mit der Situation umgehen zu lernen.

Wie kann man sein Selbstwertgefühl steigern?
Zum Beispiel, indem man all das Positive aufschreibt, was man im Leben schon erlebt hat. Oder man kann überprüfen, ob man viele abwertende Gedanken sich selbst gegenüber hat wie “Mein Gott, bin ich blöd, hässlich” und so weiter. Es ist gut, sich diese unbewussten Sätze bewusst zu machen und sie ins Positive umzuwandeln: “Ich weiß manches nicht und manches weiß ich.” Oder: “Ich darf Fehler machen” und “Ich darf meine Meinung sagen”.

Gerade in sozialen Netzwerken wird teils übel beleidigt und ausgeteilt. Wie reagiert man auf solche Kränkungen im Netz?
Nicht lesen! Sollen sie doch schreiben, was sie wollen. Ist das nicht möglich: Hilfe holen, besonders bei Schülern. Wenn ein Kind allein damit umgehen muss, ist es eine völlige Überforderung.

Männer gehen eher darüber hinweg

Wer kann uns stärker kränken – Fremde oder Menschen, die uns nahestehen?
Menschen, die uns nahestehen! Denn wir gehen davon aus, dass sie gut mit uns umgehen.

Und wer ist schneller gekränkt – Männer oder Frauen?
Diese Frage wird mir oft gestellt. Ich glaube, das ist ziemlich gleich. Ich könnte mir nur vorstellen, dass Männer eher darüber hinweggehen und sich gar nicht dazu äußern, sondern es runterschlucken. Frauen reagieren möglicherweise stärker emotional.

Also haben Männer mehr Kränkungsleichen im Keller?
Das könnte sein. (lacht)

Bärbel Wardetzki: Nimm’s bitte nicht persönlich. Der gelassene Umgang mit Kränkungen; Kösel Verlag; 15 Euro

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