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München: Jubiläum des Bellevue di Monaco mit Dreiviertelblut – München | ABC-Z

Zum Schluss hin wird es dann doch beinahe kitschig. Silent Disco über den Dächern der Stadt, fröhliches Wippen zu ein paar Barfuß-Fußballtricks mit völlig unbekannten Mit-Kickern, und als das letzte Licht sich mit dramatischem Farbenspiel tief im Westen allmählich in den Feierabend verzieht, geht es 120 Treppenstufen weiter unten erst so richtig los: „Dreiviertelblut spielt jetzt!“, ruft einer in sein Telefon, und die unausgesprochene Botschaft ist dabei nicht zu überhören: ‚Was überlegst du? Komm halt!‘

Viele sind gekommen, manche schon zu Beginn mittags um drei, manche erst zum finalen Kurz-Konzert der in jeder Hinsicht famosen Dreiviertelblut-Vollblutler. Sänger Sebastian Horn trifft den Ton, wenn er singt „Und mit einem Schlag samma dann alle gleich, wenn die Sonn auf d‘Wiesn scheint.“ Wo passt das besser hin als hier? Kompagnon Gerd Baumann ruft: „Unfassbar, dass es das Bellevue di Monaco schon seit zehn Jahren gibt. Unfassbar, dass es das Bellevue überhaupt gibt! Respekt, Hut ab, weiter so!“

Es war in der Tat alles andere als normal oder wahrscheinlich, dass dieses „Wohn- und Kulturzentrum für Geflüchtete und interessierte Münchnerinnen und Münchner im Herzen der Stadt“ jemals das Licht der Stadt-Welt erblicken würde, in Form einer eingetragenen Sozialgenossenschaft. Insofern darf sich Oberbürgermeister Dieter Reiter in seinem Grußwort durchaus den Jokus erlauben und die Festgemeinde mit den Worten „Liebe Genossinnen und Genossen“ begrüßen. Einer seiner liebsten Termine sei das hier, sagt der nach seiner Schulter-OP frisch von der Bandage Befreite („Selbst verordnet! Mein Arzt ist nicht so begeistert…“), und die Begeisterung für dieses so einzigartige wie vorbildliche Projekt nimmt man ihm sofort ab, war er an der Genese doch von Stunde eins an dabei: „Schließlich hat der Till sehr nachhaltig bei mir dafür geworben.“

45 Menschen leben in dem renovierten Haus

Der Till, das ist natürlich Till Hofmann, der seit Jahrzehnten scheinbar nimmermüde Rackerer im Weingarten nicht nur der Kulturen, sondern auch im dornigen Gestrüpp der sozialen Ungerechtigkeiten. Im März 2013 – so viel Rückblende muss jetzt sein – entert Hofmann mit einem in Gorilla-Masken gewandeten Rudel Renovierungs-Unterstützern (darunter Dieter Hildebrandt, Luise Kinseher, Dieter Hanitzsch, Mehmet Scholl, Marcus H. Rosenmüller, die Sportfreunde Stiller, Nina „Fiva“ Sonnenberg) zur Musik von Moop Mama das von der Stadt zum Abbruch ausgeschriebene, da angeblich „unrenovierbare“ fünfstöckige Gebäude in der Müllerstraße 6 – und öffnete damit vielen die Augen.

Reiter, damals noch OB-Kandidat unter Christian Ude, erinnert sich: „Mein Vorgänger war alles andere als begeistert von der Idee. Aber ich wusste: Wir müssen das irgendwie wuppen. Aber ohne euch hätten wir das so nie geschafft!“ Mittlerweile sei das Bellevue längst etabliert, 45 Menschen leben im Haus, im Café im Erdgeschoß haben 20 Angestellte Arbeit gefunden, „ich finde es grandios, was hier entstanden ist“, so der OB weiter.

Er weiß auch, dass Hofmann und seine Mitstreiter noch lange nicht fertig sind: „Immer wenn der Till einen Termin bei mir im Büro hat, weiß ich, dass irgendwas nicht ganz Normales kommt.“ Wie zum Beispiel die Idee mit dem Bolzplatz auf dem Dach der Müllerstraße 6, dem einzigen der Stadt. „Der Nachbar hat gegen uns geklagt – und verloren“, erzählt Reiter, mittlerweile sei die Denke eher so: ‚Das könnte man doch auch auf Schulen machen.“ Oder Hofmanns Vorschlag, mal den kompletten Altstadtring zu sperren, um einen Lauf namens „Giro di Monaco“ zu veranstalten – „auch das ein Erfolgsprojekt“, findet nicht nur der Oberbürgermeister, wie die stetig steigenden Teilnehmerzahlen zeigen.

Auch die nächste Idee gehört in die Schublade ‚Leuchtturmprojekte‘: ein Haus der Stadt zu einer Bäckerei zu machen, zu einem Ausbildungsplatz für Geflüchtete – eine Idee, für die Till Hofmann schon vor Jahren ein ähnliches Projekt in Liverpool in Augenschein nahm, natürlich als genau gegenüber sein geliebter FC Bayern ein Match zu bestreiten hatte. Und so fasst der OB zusammen: „Das Projekt Bellevue di Monaco hat die Stadt verändert, nicht durch zivilen Ungehorsam, aber dank einer gewissen Renitenz.“

32 Genossinnen und Genossen hatten am 23. März 2015 im Weinladen Muschelkalk in der Dreimühlenstraße das Bellevue gegründet, mittlerweile steht der Zähler bei 820, „aber wenn wir heute die 1000 knacken, gibt‘s Freibier“, verspricht Vorstandsmitglied Barbara Bergau. 36 Angestellte beschäftige man mittlerweile, dazu kämen 500 Ehrenamtler, die nicht nur helfen, mehr als 150 Kulturveranstaltungen pro Jahr zu stemmen, sondern tagtäglich Anlaufpunkt sind für ratsuchende Geflüchtete, die Deutsch lernen wollen, eine Berufsausbildung anstreben oder einfach Hilfe bei Asylanträgen und im Formular-Wahnsinn brauchen.

Kein Wunder, dass eine solche Initiative auch prominente Unterstützer hat. Viele „Gorillas“ von einst sind gekommen: Sportfreund Flo Weber, „Rosi“ Rosenmüller, aber auch Richard Oehmann, Hannes Ringlstetter, für den späten Abend haben sich noch Luise Kinseher und Sigi Zimmerschied angesagt. Den Gig von Dreiviertelblut haben sie verpasst, wobei sie Sebastian Horn sicher zustimmen, der der Jubiläumsfeier noch ein schönes Bonmot seines Großvaters schenkt: „Ned jammern, der Not koan Schwung und dem Elend koa Stimm!“

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