Kultur

München: Frustrierte Fans auf dem Fanfest auf Theresienwiese – riesiges Kuddelmuddel | ABC-Z

München – Manchmal rügen strenge Eltern ihre Kinder, wenn sie sich zu viel Essen auf den Teller geladen haben und nicht schaffen, alles aufzuessen, mit dem Satz: “Da waren aber die Augen größer als der Hunger.” So ähnlich wird es dem Hamburger Veranstalter FKP Scorpio ergangen sein, als er rausfand, dass es für eine vernünftige Veranstaltung in erster Linie auch ein vernünftiges Konzept braucht. Eigentlich müssten sie es ja draufhaben, immerhin veranstaltet die gleiche Produktionsfirma riesige Festivals wie Southside und Hurricane. Aber beim “Fanfest” scheint einiges aus den Fugen zu geraten. 

Ein Einlasszelt für Tausende: Das führt zu Unmut

Die Schlangen vor dem abgesperrten Gelände auf der Theresienwiese sind brutal, hier wird anstehen noch großgeschrieben, die Braven werden von den Egomanen weggedrängelt, Unmut macht sich breit. Die Securitymitarbeiter, die erst hinter den Absperrungen für Ordnung sorgen, bleiben gelassen und äußerst freundlich, auch bei berechtigten Beschwerden. Beispielsweise das Chaos mit den Eintrittspreisen, die erst zwischen 95  und 120 Euro  liegen (je nachdem, wie weit vor der Bühne man stehen möchte), kurz vor der Veranstaltung nochmals kräftig auf sämtlichen Kanälen über Radio bis Internet beworben werden und online für unter 50 Euro zu haben sind. 

Die Ticketpreise wechseln wie auf dem Basar

Wer sich allerdings vor Ort ein Ticket kaufen möchte, wird um den ellenlangen Zaun rings um das gesamte Gelände zum “Eingang Ost” gescheucht, wo dann Karten zum Normalpreis erstanden werden können. Und drin geht das Durcheinander weiter, der Bereich vor der Bühne ist rasch überfüllt, keiner kennt die genaue Definition der “Zone A”. Ist das der Platz direkt vor der Bühne? Oder sind es die ersten drei Reihen? Ein riesiges Kuddelmuddel, das die gutgelaunten BR-Morgenmoderatoren Jerry Gstöttner und Steffi Fischer glücklicherweise zu meistern wissen. Hinter der Bühne leuchtet die Bavaria samt Ruhmeshalle neben massiven Boxentürmen im Sonnenlicht, die anfangs dunklen Wolken am Himmel sind verflogen. 

Tim Bendzko erleichtert die Stimmung

Kein Regen, so dass auch die Bavaria in guter Laune zuhören konnte.
© Moses Wolff
Kein Regen, so dass auch die Bavaria in guter Laune zuhören konnte.

von Moses Wolff

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Sowohl Bühnenshow als auch Technik funktionieren einwandfrei, die Besucher kommen auf ihre Kosten. Los geht’s um kurz vor 16 Uhr mit zwei flotten jungen Burschen, die den Bier- und Ball(ermann)-Song “Füllkrug” darbieten, gleich im Anschluss heizt Tim Bendzko denen, die schon da sind, mit seinen üblichen Hits eine gute halbe Stunde ein. Nach ihm folgt etwa gleichlang die britische Songwriterin Dylan, die wohl hierzulande weniger populär ist, da zahlreiche Menschen ihren Auftritt als Toiletten- oder Getränkepause nutzen. Unzählige Buden und Zelte bieten sündhaft teure Kulinarik aus aller Welt feil, doch auch die kostenlosen Trinkwasserhähne werden fleißig aufgesucht.  

Fast wie auf der Wiesn: Ein Riesenrad, von dem man das Konzert auch hat sehen können – aus erhöhter Position.
© Moses Wolff
Fast wie auf der Wiesn: Ein Riesenrad, von dem man das Konzert auch hat sehen können – aus erhöhter Position.

von Moses Wolff

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Die Festwiese mit Riesenrad: Fast wie auf der Wiesn

Zwischendrin steht auch ein Riesenrad, das abends in verschiedenen Farben leuchtet, um gleich auch den Flair des größten Volksfestes der Welt wohlfeil “mitzunehmen”. Auch die Taschenkontrollen und die damit einhergehenden langen Schlangen an den Eingängen ähneln den Sicherheitsvorkehrungen auf der Festwiese. Freilich gibt es einige Attraktionen: Sportbegeisterte können sich als Torhüter in einem aufblasbaren pinken Tor oder als lebende Spielfiguren in einer überdimensionalen Kicker-Hüpfburg beweisen und hinterher einen kostenlosen Tarifcheck beim Hauptsponsor Telekom durchführen lassen. 

30.000 Fans weniger wegen schlechtem Marketing?

Das Vorab-Meeting bei der Planung des Events im Besprechungszimmer der FKP Scorpio Konzertproduktion war bestimmt vielversprechend: Auf dem Flipchart standen unter Umständen bereits die Namen berühmter Musikgrößen, infrage kommende Sponsoren, sowie Superlative wie “Fans abholen”, “das Bonbon rundlutschen”, “Sportsgeist wecken”,  “out of the box denken” und “das Runde muss ins Eckige”. Kurzerhand wurde die Freigabe bei der Bank für die Finanzierung geholt, und nix wie “Butter bei die Fische!” Aber leider: Pustekuchen. 

EM und Pop sind halt doch zweierlei

Auftritt Ed Sheeran mit vielen Schmetterlingen
© Alisa Filatova
Auftritt Ed Sheeran mit vielen Schmetterlingen

von Alisa Filatova

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Es ist grundsätzlich riskant, auf den fahrenden Zug EM aufzuspringen, wenn der direkte Zusammenhang fehlt. Ähnlich irritierend wäre es, zwei Tage vor dem Anstich auf dem Oktoberfest die Allianz Arena zu mieten, dort einen großen Poetry Slam mit internationalen Größen aus der Szene einzuladen und das Ganze “Wiesn-Auftakt” zu nennen. So haben sich statt erhofften 90.000 Fanfest-Tickets gerade mal 60.000 verkauft. Viele Fußballfans schlafen sich möglicherweise für den eigentlichen EM-Start am Freitag aus, oder sind sowieso eingeschnappt aufgrund der jüngsten Ereignisse, angefangen von den sportlichen Misserfolgen, der nicht enden wollenden Kommerzialisierung der Nationalmannschaft, gefolgt vom fragwürdigen Auftreten der Verbandsfunktionäre bei FIFA und Co. 

Nelly Furtado ist glanzvoll, Ed Sheeran im Englandtrikot

Um 18 Uhr erscheint Mark Forster in weißer Deutschland-Trainingsjacke und ist sich nicht zu schade, ein kleines BVB-Bashing hinzulegen. Er wird daraufhin von einem Techniker – ob absichtlich oder nicht – bestraft, indem auf dem Monitor ein Stoffbär und der Schriftzug “FOSTER” auftaucht, in ähnlicher Farbe und Erscheinung wie das gleichnamige australische Bier. Überhaupt ist die Flut an Werbeschriften sehr auffällig. Nach einem etwas bemüht wirkenden Aufruf für Frieden und Menschlichkeit haut Foster/Forster nochmal so richtig auf die Pauke und sorgt für Festzeltstimmung. In der Zwischenzeit sind die teuren Plätze wegen Überfüllung gesperrt, die Stimmung kippt teilweise in Groll über, den die wunderbare Nelly Furtado mit ihrer glanzvollen Performance gottlob in Freude umwandelt, besonders, als sie den ehemaligen Reamonn-Frontmann Rea Garvey als Überraschungsgast für einen gemeinsamen Song aufs Podium holt. 

Lahm tippt auf EM-Sieger Frankreich

Nachts mit Feuerwerk: Ed Sheeran spielte bis in die Sommernacht um 22.30 Uhr
© Alisa Filatova
Nachts mit Feuerwerk: Ed Sheeran spielte bis in die Sommernacht um 22.30 Uhr

von Alisa Filatova

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Alles in allem hat sich das Fanfest fürs Münchner Publikum gelohnt, nur die Veranstalter werden vermutlich maximal draufgezahlt haben. Vielleicht  gut eine Million Euro.  Dabei war die Ursprungsidee nicht schlecht, als Philipp Lahm und Célia Šašić sich ausdachten, einen Spagat zwischen Sport und Musik zu schaffen, um, wie Lahm es ausdrückte, sowohl Zivilgesellschaft als auch Demokratie zu stärken. Kurz vor dem gelungenen, spielfilmlangen Finale mit dem bekennenden Fußballfan Ed Sheeran (freilich im England-Trikot) tritt Lahm ans Mikro, schwärmt von der Weltmeisterschaft 2006, wünscht eine feierintensive EM und äußert seine Vermutung, dass Frankreich als Sieger hervorgeht. Immerhin ein Hauch von Fußball beim Fanfest. 

Sheeran selbst lobte natürlich Deutschland und sprach dazu auch ein paar Worte auf Deutsch. Akustisch war es zwar für die Zuschauer bis in die hinteren Reihen gut ausgesteuert, Sheeran selbst aber bekam umgekehrt vom Publikum nicht genug mit: “Lauter”, rief er: “Ihr seid doch 60.000!”  Vielleicht sind eben 60.000 doch nicht wie 90.000.  Charmant war, dass Sheeran auch den Sonnenuntergang hinter der Bavaria gleich am Anfang mit einbezog und darauf deutete mit den Zeilen aus “Castle on the Hill”: “We watch the sunset over the castle on the hill”. “Bad Habits” beendete das Konzert wie aus Lärmschutz-Gründen vorbestimmt um 22.45 Uhr. 

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