Post-Covid-Station in München-Schwabing: Jugendliche, die sich nach Ruhe sehnen – München | ABC-Z

Nicht mehr aufstehen können, weil der Körper müde ist. Nicht mehr sprechen können, nur noch im Bett liegen. Keine Schule, kein Sport – zu nichts mehr Lust haben, nur die Sehnsucht nach Ruhe. Die Erschöpfung, die so unermesslich ist, dass nichts mehr geht, hat einen Namen: chronisches Fatigue Syndrom. Kurz ME/CFS.
Seit fünf Jahren gibt es an der Kinderklinik Schwabing das deutsche Zentrum zur Versorgung und Erforschung von Post-Infektionssyndromen und des chronischen Erschöpfungssyndroms bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen – eine Kooperation der München Klinik und des Klinikums der Technischen Universität. Nun wird das Angebot erweitert: um eine neue Post-Covid-Station im Haus zehn der München Klinik Schwabing. Ermöglicht durch Fördermittel des Bayerischen Ministeriums für Gesundheit und Pflege und das Projekt „Post-Covid-Kids Bavaria“. Die neue Station arbeitet eng mit dem Schwabinger Centrum für Chronische Fatigue bei jungen Menschen der Kinderpoliklinik des Klinikums rechts der Isar der TU zusammen. Sie ist Basis für verschiedene bayerische und bundesweite Versorgungs- und Forschungsprojekte.

Bunte Ballons hängen an Türen und Geländern. Auch die Tagesdecken auf den Betten der neun Zimmer haben kräftige Farben. Auf den Nachttischchen stehen dimmbare Lampen, Kopfhörer und Schlafmasken liegen bereit.
An den Fenstern sind Rollläden angebracht. Nicht ohne Grund. Die jungen Menschen, die an dem chronischen Fatigue Syndrom erkrankt sind, sind sehr reizempfindlich. „Licht und Lärm halten sie schlecht aus, strengen sie sehr an“, erklärt Kinder– und Stationsärztin Cordula Warlitz, die mit den jungen Patientinnen und Patienten zusammen überlegt hat, wie die Zimmergestaltung gut zu ihren Bedürfnissen passt.
„ME/CFS ist eine neurologische Krankheit, keine psychosomatische Erkrankung“, sagt Warlitz. Meist wird sie ausgelöst durch eine Virusinfektion, am häufigsten von Sars-CoV-2. Warlitz betont das Wort neurologisch ausdrücklich. Denn noch immer werde Fatigue in der Gesellschaft nicht als „ernst zu nehmende und schwere Krankheit“ wahrgenommen.
„Viele, die zu uns kommen, haben eine lange Odyssee hinter sich“, sagt sie. Seien bei vielen Ärzten gewesen, die keine ME/CFS diagnostizieren konnten, fühlen sich nicht verstanden, haben sich zu oft Vorwürfe angehört. Was ist los mit dir? Schon wieder müde? Reiß dich zusammen! Sätze wie diese helfen nicht, sie machten nur „mutlos“, sagt die Ärztin.

An die 400 Millionen Menschen sind Studien zufolge an Long Covid erkrankt. 11,6 Prozent der Long-Covid-Patienten seien, wie Uta Behrends bei der Einweihung der Station erklärt, an ME/CFS erkrankt. Eine halbe Million Betroffene gibt es allein in Deutschland. Die Leiterin des Schwabinger Fatigue-Zentrums und ärztliche Leiterin der neuen Station kämpft seit Jahren für eine bessere Wahrnehmung der „sehr komplexen Erkrankung“. „Die jungen Menschen mit dieser Diagnose müssen ernst genommen und dürfen nicht stigmatisiert werden“, sagt sie.
Fatigue wirft einen aus dem Leben. Die kleinsten Dinge im Alltag führen zu starken Überlastungen. Es kommt zu Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Kreislaufproblemen, Gelenk-, Muskel- und Kopfschmerzen. Gleichzeitig zuhören und schreiben – für junge Menschen mit ME/CFS ist das oft nicht mehr möglich. Wie also zur Schule gehen? Wie zum Sport? Hausaufgaben erledigen? Fehlanzeige.
Ein Kreislauf beginnt, der die Anteilnahme am Leben schwierig macht, isoliert und psychisch oft kaum auszuhalten ist. Die Diagnosestellung ist aufwendig, kostet Zeit. Auch das Informationsdefizit ist noch hoch. Ärzte stellen häufig falsche Diagnosen. „Es handelt sich eben um Symptome, die man nicht fassen kann“, erklärt Martin Siess, ärztlicher Direktor des TUM Klinikums. Diese aufzuspüren, sei eine „Herkules-Herausforderung“.
Denn noch lange ist nicht erforscht, warum es zu so massiven Erschöpfungssyndromen kommt. Aber einige Ursachen könne man inzwischen „durchaus festmachen“, sagt Carmen Scheibenbogen vom „Charité Fatigue Centrum Berlin“. Es handle sich wohl um eine Immunreaktion, die nicht zur „Ruhe kommt“, der Energiestoffwechsel gerate „aus dem Takt“ und die Durchblutung des Gewebes sei gestört. Fatigue gehe außerdem mit unterschiedlich ausgeprägten körperlichen und neurokognitiven Symptomen einher.

:Der Mann, der Long Covid ein Gesicht gibt
Mit 29 ist Jochen Vogel Bürgermeister geworden, sein „Traumjob“. Zwei Jahrzehnte lang lebte er diesen Traum, dann infizierte er sich mit Covid. Seither ist alles anders. Ein Gespräch.
Auf der neuen Station werden die jungen Menschen tagesstationär betreut. Für jeden wird in enger Zusammenarbeit nach umfassender Diagnostik eine eigene Therapie gesucht. Entspannungstechniken, Schmerzbewältigung oder psychosoziale Unterstützung gehören dazu. Die Prognose, gesund zu werden, sei bei jungen Menschen höher als bei Erwachsenen, sagt Behrends. Anmelden kann man sich via Mail. Danach bekommen die Patienten einen Fragebogen zugesendet. Der wird ausgewertet und es erfolgt bei klarer Problematik eine Einladung.
Mediziner, Experten und Politiker sehen in der neuen Station der München Klinik einen weiteren wichtigen Schritt für einen notwendigen Versorgungsaufbau, der nur möglich wurde, weil Expertinnen und Experten wie Uta Behrends beharrlich auf die medizinische Notwendigkeit gedrängt haben. Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) sieht die Chance, dass nun für die Erkrankten verstärkt „individuell angepasste“ Wege gefunden werden. Die Bayerische Staatsministerin für Gesundheit und Pflege, Judith Gerlach (CSU), spricht von einem Zeichen nach außen: „Wir stehen den Betroffenen zur Seite.“
Man habe früh erkannt, dass der Bedarf bei Post-Covid-Erkrankungen groß sei, freut sich Tim Guderjahn. „Die München Klinik und die TU haben sich getraut, neue Wege für die Patienten zu suchen und finanzielle Risiken einzugehen“, sagt der kaufmännische Geschäftsführer der München Klinik. Man habe Dinge „möglich gemacht, die nicht möglich“ schienen. Wie nach Abrechnungsmöglichkeiten gesucht, die es für ME/CFS so bisher nicht gab, die Krankenkassen ins Boot geholt und vor allem die Politik. „Diese Lösung kann Schule machen.“

Die neue Station will nun eine weitere Anlaufstelle sein für junge Erkrankte. Für ihre Familien. Sie will Lichtblick sein für Betroffene. „Hope“ steht in großen Buchstaben an der Wand: Hoffnung, die ein Zauberwort sind für die jungen Menschen mit Fatigue. Hoffnung, die so vielen fehlt. Cordula Warlitz erzählt die Geschichte einer 20-jährigen Frau. Sie habe bei einer Kollegin eine Nachricht auf das Handy gesprochen, mit dem ungefährem Wortlaut: „Ich liege hier im Dunklen, kann kein Hörbuch hören, mit niemandem sprechen. Ich kann nicht mehr. Wenn das so weitergeht, will ich sterben.“
„Was sie sagt, ist so furchtbar, aber so wahr“, sagt Warlitz.