Kultur

Münchner Residenztheater: Auf dem Liebeskarussell | ABC-Z

Eine Drehbühne, so oft und wenig originell sie in Inszenierungen eingesetzt wird, passt gerade für Shakespeares “Ein Sommernachtstraum” wie die Faust aufs Auge. Denn wer hier wen begehrt, wer welche Rolle spielt, wer die Macht hat, wer sich unterwirft – das alles dreht sich in dieser Komödie, in der gleichsam eine Tragödie steckt, ohne Unterlass, bis man auch beim Zuschauen leicht verwirrt ist.

Das Liebeskarussell, das bei Shakespeare noch in Anspielung auf die triebhafte Natur des Menschen im Wald rotiert, haben Regisseur Stephan Kimmig und seine Bühnenbildnerin Katja Haß in eine trostlose Industriebrache verlegt. Ein verwinkelter, offen einsichtiger Betonrohbau mitsamt “Love”-Graffitis, einem höllischen Pferde-Wandgemälde und einem hygienisch zweifelhaften Waschbecken steht da massiv auf der Drehbühne und bietet sowohl eine graue Spielwiese für das Ensemble als auch eine ausgiebige Fläche für großstädtische, ins Vage verschwimmende Foto- und Videoprojektionen.

Puck ähnelt hier einem Drogendealer

Von einer “Bauruine”, einem “leeren Kaufhaus” als zeitgemäße Übersetzungen des Shakespearschen Wald-Labyrinths spricht Kimmig. Es wird ja gerne mal versucht, sich in leere Kaufhäuser für kulturelle Zwischennutzungen einzumieten. Da zwischendurch leise Techno-Musik zu hören ist und die Figuren mit ihren verlotterten Fummeln inklusive Netzhemden und Netzstrümpfen aussehen, als ob sie zu einer Underground-Party ausgehen, wähnt man sich eher in Berlin als in München. Viel “Subkultur”, von der im Programmheft die Rede ist, findet sich in der teuren Oktoberfest-Metropole nun mal nicht (mehr).

Wer wen liebt, ändert sich ständig: Vincent zur Linden (links), Linda Blümchen, Vassilissa Reznikoff und Niklas Mitteregger.
© Sandra Then
Wer wen liebt, ändert sich ständig: Vincent zur Linden (links), Linda Blümchen, Vassilissa Reznikoff und Niklas Mitteregger.

von Sandra Then

“}”>

Aber wieso sollte man zur Saisoneröffnung im Resi nicht von einer vitalen “Arm, aber sexy”-Szene träumen (selbst wenn es die in Berlin auch nicht mehr so gibt)?  Puck, der bei Shakespeare ein Waldgeist ist, der mit seinem Zaubersaft das Begehrenschaos entfesselt, sieht bei Kimmig wie ein Drogendealer aus, der über sein schwarzes T-Shirt gerne mal einen hellen Pelzmantel wirft und an zwei Paaren die Wirkung seines heißesten Stoffes ausprobiert.

Max Rothbart wurde von Kimmig bereits in “Die Träume der Abwesenden” als eine Art Conférencier eingesetzt und ist auch hier ein rhythmus- und gesangssicherer Angelpunkt der Inszenierung. Dabei unterwirft der blondierte, Melodica spielende Schelm sich dem Willen seines Meisters kaum, sondern dreht sein eigenes Ding und erweist seinem eifersüchtigen Buddy Oberon mittels Edel-Droge einen Bärendienst.

Mit dem aphrodisierenden Zauberstoff will Oberon seiner Gattin Titania eins auswischen, muss dann aber ihrem geilen Treiben mit einem Esel hilflos beiwohnen. Während sie sich als Paar der hippen Geisterwelt lustvoll zanken, dürfen Lukas Rüppel und Lea Ruckpaul im “realen” Großstadt-Kosmos zwei Menschen spielen, bei denen die Liebe gerade erst aufkeimt.

Statt Adelshochzeit gibt es die Fusion zweier Autohäuser

Wollen sich im Original – verwendet wurde die Übersetzung von Angela Schanelec, Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens – die fürstlichen Herrscher Theseus und Hippolyta am Hofe Athens festlich vermählen, wird in der von Kimmig, Barbara Sommer und dem Ensemble upgedateten Fassung die Fusion zweier Autohäuser vorbereitet.

Zwischen Heidrun Hippolyta Klein (Ruckpaul) und Theseus Wesselmann (Rüppel) bahnt sich immer wieder ein Kuss an, was eine zaghafte Romantik hat, die dem brünftigen Reigen der zwei jüngeren Liebespaare abgeht. Unserer genderfluiden Gegenwart gemäß hat Kimmig Männer- und Frauenrollen vertauscht, was mitunter zu queeren Begehrenskonstellationen führt und die bei Shakespeare noch stereotype Zuweisung von männlicher Dominanz und weiblicher Unterwerfung durcheinanderwirbelt.

So ist es nicht die schöne Helena, sondern der schöne Helmut, der sich nicht Demetrius, sondern Demetria vor die Füße wirft und sich ihr als Hündchen anbietet. Niklas Mitteregger und Vassillissa Reznikoff injizieren dieser Szene zeitgemäßen Sadomaso-Appeal. Auch Linda Blümchen als Hermia und Vincent zur Linden als Lysander lassen durchdringen, dass im Leiden einige Lust steckt. Irgendwann wälzen sich die Vier übereinander, und nein, kitschige Hochzeiten gibt es bei Kimmig am Schluss nicht.

Linda Blümchen (links), Vincent zur Linden, Thomas Reisinger, Lea Ruckpaul und Lukas Rüppel
© Sandra Then
Linda Blümchen (links), Vincent zur Linden, Thomas Reisinger, Lea Ruckpaul und Lukas Rüppel

von Sandra Then

“}”>

Das emotionale Durcheinander löst sich kaum auf, und auch sprachlich vermischt sich einiges. In den guten alten (übersetzten) Shakespeare mischt sich der verdenglischte Alltagssprech von Heute. “Weckt mich von meinem Powernap ein Engel?”, fragt sich Hippolyta und meint damit die monströse, im Leggins-Bereich ordentlich bestückte Kreatur, in die sich Optiker Klaus Zettel durch Pucks Drogenzauber verwandelt hat.

Zettel bleibt natürlich die Rampensau

Die Szenen mit den Handwerkern, die für die Vermählung von Theseus und Hippolyta das Stück von “Pyramus und Thisbe” einproben, liefern auch im Update die komödiantischen Höhepunkte des Abends. Herausstechend dabei, natürlich, der selbst ernannte Star des Teams, Zettel, dem Florian von Manteuffel eine hüftlockere Rampensauigkeit gibt, dass es wahrlich eine Schau ist.

Mehr Schmiere geht nicht, und auch die anderen in der Amateurtruppe rutschen, gekonnt vom Ensemble gespielt, am hehren Anspruch der Theaterkunst aus. Barbara Horvath ist als Petra Squenz eine Regisseurin, die mit aufrechtem Ernst ihre Mannschaft anleitet, dabei ihren Star (vergeblich) zu zähmen versucht und einfach sehr viel machen lässt.

So ähnlich stellt man sich das Proben mit Stephan Kimmig vor, jedenfalls hat er die Spiellust seines Ensembles sichtbar entfacht – für einen lässigen, durchweg unterhaltsamen Sommernachtstraum, der wohl nicht in die Annalen der Theatergeschichte eingehen wird, aber von einer insgesamt spielfreudigen Saison im Residenztheater träumen lässt.

Residenztheater, nächste Aufführungen: 6. Oktober, 18 Uhr; 10., 18., 31.Oktober, 19 Uhr; Karten unter 2185 1940

Back to top button