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Zeugen wollen den Mörder erkannt haben | ABC-Z

Erinnerungen sind trügerisch. Sie ver­ändern, verschieben und überlagern sich jedes Mal, wenn wir sie abrufen. Und je weiter ein Ereignis zurückliegt, desto unzuverlässiger erinnern wir uns. So auch zu beobachten vor dem Landgericht Bielefeld, wo am Dienstag der Prozess um den Mord an dem ehemaligen Profiboxer Besar Nimani mit ersten Zeugenaussagen fortgesetzt wurde.

Angeklagt ist Hüseyin A. Er soll Besar Nimani am 9. März 2024 gegen 18 Uhr mit einem weiteren Tatverdächtigen mit 16 Schüssen in der Bielefelder Fußgängerzone niedergestreckt haben. Vier Monate nach der Tat wurde der Angeklagte von Zielfahndern des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen in Brüssel festgenommen. Nach dem zweiten Tatverdächtigen Ayman Dawoud K. wird mit internationalem Haftbefehl gefahndet.

Vor dem Schwurgericht erscheinen am Dienstagmorgen mehrere Zeugen, die das Grauen der Tat in der belebten Innenstadt miterlebt hatten. Matthias K. schildert, wie er und seine damals schwangere Freundin nur wenige Meter vom Tatort entfernt gerade ihre Fahr­räder abschließen wollten, als direkt hinter ihnen Schüsse fielen. Der Lehrer vermutete zunächst einen Terroranschlag: „Ich dachte, dass auf uns geschossen wird – dass wir sterben.“ Im Kugel­hagel seien sie um ihr Leben gerannt.

Zeuge: „Ja, ich meine, dass er die Waffe gehalten hat“

Immer wieder dreht sich K. bei seiner Aussage zum Angeklagten, als würde er versuchen, die Bilder in seiner Erinnerung mit dem Mann auf der Anklagebank abzugleichen. Ob der Angeklagte der Schütze ist, den er an diesem Abend ge­sehen hat? Auf den Fahndungsfotos hatte er ihn bei den Vernehmungen durch die Polizei zunächst nicht erkannt. Heute sagt er: „Ja, ich meine, dass er die Waffe gehalten hat.“

Auch eine andere Zeugin erkennt den Angeklagten auf den Fahndungsbildern, die der Vorsitzende Richter Sven-Helge Kleine immer wieder vorlegen lässt. Maja N. hat die Tat vom Fenster eines Restaurants beobachtet. „Es war sehr laut“, sagt sie. „Ich dachte erst, jemand hat ein Feuerwerk gezündet.“ Als sie sich reflexartig zum Fenster drehte, sah sie, wie ein Mann mehrere Schüsse aus einer Waffe abfeuerte. Erst später habe sie das Opfer auf dem Boden liegen sehen.

Immer wieder kommt das Gericht auf dieselben Fragen zurück: Wo genau standen die beiden Männer, die die Zeugen gesehen hatten? Wo das Opfer? Wann ist es zu Boden gefallen? Haben die Zeugen eine oder zwei Waffen gesehen? Wie viele Schüsse wurden abgefeuert?

In vielen Punkten stimmen die Zeugen überein. In manchen widersprechen sie sich aber. So erinnern sie sich unterschiedlich an die Abfolge der Schüsse. Oder sie widersprechen gar ihren eigenen Aussagen bei der Polizei. Das liegt sicherlich auch an dem langen Zeitraum zwischen Tat und Prozessbeginn. Bei der zentralen Frage aber, ob es einen Schützen gab oder zwei, scheinen sich alle einig zu sein: Drei der vier Zeugen und Zeuginnen sagen, dass nur ein Mann geschossen hat. Spannend dürfte die kommende Sitzung werden, in der eine Gutachterin des Bundeskriminalamts zu der Frage gehört werden soll, wer schoss.

Opfer und Angeklagter sollen sich gekannt haben

Der Angeklagte verfolgt die Sitzung am Dienstag aufmerksam. Der 34 Jahre alte Deutsche hatte schon am ersten Prozesstag durch seinen Rechtsbeistand mitteilen lassen, dass er sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht äußern wolle. Vertreten wird Hüseyin A. durch zwei Anwälte: seinen Pflichtverteidiger Tobias Diedrich und den Hamburger sogenannten Star­anwalt Gerhard Strate.

Das Tatmotiv ist bislang unklar. Allerdings glaubt die Familie des Opfers es zu kennen, wie das „Westfalen-Blatt“ berichtet: „verletzte Ehre“, so der Bruder Berat Nimani, der neben der Ehefrau und den Schwestern des Opfers als Neben­kläger am Prozess teilnimmt.

Das Opfer und der Angeklagte sollen sich gekannt haben. Nach seiner Box­karriere soll Besar Nimani mit dem Bruder des Tatverdächtigen einen Kiosk in Bielefeld betrieben haben. Als Hüseyin A. den Kiosk für Drogengeschäfte nutzen wollte, sei es zum Streit gekommen. Dabei soll Besar Nimani den zweiten Tatverdächtigen mit einem Schlag zu Boden gestreckt haben. Seitdem soll Besar Nimani um sein Leben gefürchtet haben. Laut „Westfalen-Blatt“ wandte sich Nimani hilfesuchend an die Polizei, wurde dort aber nicht ernstgenommen.

Der Prozess findet unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. Vor dem Gericht stehen Einsatzfahrzeuge der Polizei, im Gebäude und im Saal sind viele Polizisten. Vor Beginn müssen Besucher, Nebenkläger und Medienvertreter durch eine zeitaufwendige Sicherheitskontrolle. Ein Urteil will das Landgericht frühestens Ende März verkünden.

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