München-Riem: Neuer Gedenkort erinnert an Terror von 1970 | ABC-Z

München – Bilha Katzenstein las ihren Kindern Tami, Miki und Ofer am 10. Februar 1970 in Haifa, Israel, gerade eine Gute-Nacht-Geschichte vor, als ihr Ehemann, von dem alle sagen, dass er das Leben so liebte, in München als Held starb: Arie Katzenstein warf sich auf eine Handgranate, die ein palästinensischer Terrorist in einen Bus am Flughafen in Riem geworfen hatte. Er rette damit seinem Vater und anderen Passagieren das Leben.
Sie haben von diesem Ereignis noch nie etwas gehört? Sie sind damit nicht alleine. So ging es auch Stefan Vilsmeier, dem Gründer von Brainlab, einer Medizintechnologie-Firma, die ihren Firmensitz im ehemaligen Flughafen-Tower in Riem hat, dem Tatort dieses Terroranschlags. Am Montag wurde dort, 55 Jahre nach dem Anschlag, ein Erinnerungsort eingeweiht.
Was war damals dort genau geschehen? An einem Faschingsdienstag landete eine Maschine der israelischen Airline El Al gegen Mittag in Riem. Es war nur ein Zwischenstopp, Endstation sollte eigentlich London sein. Im Transitraum, wo die Passagiere auf ihren Anschluss warteten, waren auch drei Terroristen, die im Auftrag der „Aktionsorganisation zur Befreiung Palästinas“ das Flugzeug entführen wollten.
Sie zogen ihre Waffen, der Pilot Uriel Cohen stellte sich den Terroristen entgegen. „Ich habe eine Bombe, ich habe eine Waffe“, hatte er zuvor von ihnen gehört. Schüsse fielen. Handgranaten wurden geworfen – eine in den Shuttle-Bus, in dem Arie Katzenstein und sein Vater Heinz warteten.
Arie warf sich auf die Granate. Er starb noch am Tatort. Damals war Arie Katzenstein 32 Jahre alt. Seine älteste Tochter Miki war fünfeinhalb, sein jüngstes Kind Ofer war vor gerade mal drei Monaten auf die Welt gekommen.

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Sein Vater Heinz, dem er das Leben rettete, war in den 1930er Jahren aus Deutschland vor den Nazis nach Israel geflohen. Trotzdem studierte Arie Katzenstein später in München und habe die Stadt geliebt.
Unter der Oberfläche brodelte der Schmerz
Ihre Mutter sei eine starke, funktionierende Frau gewesen, die sich entschieden hatte, dass das Ereignis und der Schmerz verschwinden sollten, sagt Tami Katzenstein. Eine Erklärung für das Verschwinden ihres Vaters habe völlig gefehlt. Er war weg. Doch seine Habseligkeiten blieben. Die Manschettenknöpfe, die Pfeife neben seinem Bett.
„Ich hatte das Gefühl, es ist nicht erlaubt, Fragen zu stellen“, sagt Tami Katzenstein. Sie sei in einem glücklichen Zuhause aufgewachsen, aber unter der Oberfläche habe der Schmerz gebrodelt.
Erst später, als Erwachsene, setzten sich die Kinder dafür ein, dass ihr Vater und die Tat nicht vergessen werden. Ihre Hoffnung sei eine kleine Gedenktafel gewesen, sagt Miki Katzenstein. Daraus wurde ein großes Projekt.
Kunstwerk zum Gedenken an Arie Katzenstein
2019 begannen das Stadtarchiv, die Firma Brainlab und die Familie Katzenstein damit, in Riem einen Ort der Erinnerung zu schaffen. Entstanden ist eine Webseite, auf der man viele Informationen zum Anschlag und zu Arie Katzenstein nachlesen kann.
Und auch der Haupteingang der Firma Brainlab hat sich verändert. Bis vor Kurzem stand davor in großen Buchstaben das Firmen-Logo. Jetzt sieht man schon von weitem ein Kunstwerk: Drei goldene Uhren, befestigt an über acht Meter hohen Metallrahmen. Die Uhren sind zum Zeitpunkt der drei Detonationen stehengeblieben.

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Allerdings spiegeln sich die Uhren im Wasserbecken vor dem Kunstwerk, dann ist die Uhrzeit eine andere, erklärt Alicja Kwade, die Künstlerin, die zuvor auch schon im Moma in New York und auf der Biennale ausgestellt hatte. Ihr gehe es darum, darzustellen, dass „Bruchteile von Sekunden“ ein Leben für immer verändern können.
Vielleicht erinnert es aber auch daran, dass nicht nur die Zeit voranschreitet, sondern dass auch der Terror weiterging. Es folgte nicht nur das Olympia-Attentat von 1972. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) erinnerte auch an den jüngsten Anschlag in München: Als am 5. September 2024 ein Mann das NS-Dokuzentrum und das israelische Generalkonsulat angriff.