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München: Premiere des Midnightbazars in der alten Paketposthalle – München | ABC-Z

Auf den ersten Blick ist das Innere der alten Paketposthalle enttäuschend. Anhand historischer Bilder, als in dem Gebäude noch Züge abgefertigt wurden, ahnte man die Dimensionen des  Gebäudes. Wie eine riesige Zeltkonstruktion spannte sich das Dach über die Gleise. Und auch in Simulationen, wie die Halle in Zukunft aussehen könnte, ist die luftige Höhe des 27 Meter hohen Gewölbes der wichtigste Hingucker. Das sind kathedralenartige Ausmaße.

Jetzt verbirgt eine schnöde Zwischendecke die Konstruktion. Nur in der Horizontale ist das Ausmaß der Halle zu sehen, die auch ein Sinnbild für eine verfehlte Verkehrspolitik ist. Statt mit der Bahn werden Güter nun hauptsächlich mit Lastwagen transportiert, was angesichts des Klimawandels und des von vielen Seiten oft artikulierten Wunsches, wieder mehr Güter auf die Schiene zu bringen, einigermaßen absurd erscheint.

Jetzt, immerhin, wird das Gebäude öffentlich genutzt. Am Freitag beging der Midnightbazar seine Premiere in der Halle. Der Midnightbazar ist ein Nachtflohmarkt mit Livemusik und Foodtrucks, der seit 2010 in wechselnden Locations stattfindet. Zuletzt auch im benachbarten Backstage. Jetzt hat der Flohmarkt erstmals einen Ort gefunden, in dem er bis auf Weiteres fest beheimatet ist. „Wir müssen nicht mehr abbauen, das ist ein großer Vorteil“,  erklärt Julia Zehmisch vom Veranstaltungsteam. „So können wir den Markt nach und nach schöner gestalten.“

Die neue Location hat offensichtlich die Neugier der Flohmarktgänger geweckt. Zur Eröffnung um 17 Uhr hat sich eine lange Schlange gebildet, wer sich nicht vorab ein Ticket online auf das Handy geladen hatte, muss schon eine halbe Stunde warten. Doch das ficht die Freunde und Sammler gebrauchter Dinge aller Art nicht an. Vintage ist nicht nur wegen der Patina angesagt, sondern auch immer mehr vom Nachhaltigkeitgedanken geprägt. Dafür macht zum Beispiel der Stand des Gebrauchtwarenkaufhauses Halle 2 des Abfallwirtschaftsbetriebs München Werbung, dessen Motto „wiederverwenden statt verschwenden“ lautet.

Das Angebot ist typisch für einen Flohmarkt. Es gibt nichts, was es nicht gibt, dabei findet sich so manche Kuriosität wieder, wie etwa die Blechtonnen mit Coca-Cola-Lackierung bei der Halle 2. An vielen Ständen bieten die Verkäufer alte Röhren-Radios an, Kinkerlitzchen jedweder Art und natürlich alte Schallplatten. Solche verkaufen zum Beispiel Barthe Strobl und Johanna Rampf an ihrem Stand. Strobl kommt vor lauter Kundschaft kaum zum Erzählen, Vinyl ist wieder sehr gefragt. „Gerade die alten Platten, die noch nach was klingen“, sagt Strobl, der Kinderhörspiele genauso im Angebot hat wie Rockklassiker aus den 1960-er-Jahren. 20,  30 oder noch mehr Euro legen die Kunden für die alten Scheiben hin. Ein besonderer Schatz in Strobls Angebot sind alte transportable Philipps-Plattenspieler mit Batterieantrieb, die Urahnen der iPods, die selbst schon wieder vintage sind, seit jeder Musik am Smartphone streamt. Strobl wird seinen Stand so lange nicht abbauen, bis er im Frühjahr wieder an wechselnden Märkten seine Platten feilbietet.

Andere Händlerinnen und Händler sind nur für dieses Wochenende hier. Viele haben Kleidung im Angebot, im hinteren Teil des Gebäudes kommt man vor lauter Andrang kaum durch. Es sind vorwiegend junge Frauen, die sich für Secondhand-Mode interessieren. Ist nicht nur billiger, bekommt man an den verschiedenen Ständen von den Kundinnen zu hören, sondern auch klima- beziehungsweise umweltfreundlicher.

Das Angebot beim Midnightbazar unterscheidet sich nicht von anderen Flohmärkten. Aber der neue feste Standort hat einen besonderen Charme. Wie lange der Flohmarkt in der alten Paketposthalle bleiben darf, hängt davon ab, wie schnell die Entwicklung von einer Zwischennutzung zum Umbau vorankommt. Zwei bis drei Jahre könnten es schon sein, hofft Julia Zehmisch.

Kommt wirklich ein Konzertsaal oder ein Kongresszentrum? Werden hier „Wohnen, Arbeiten und Leben in einer einzigartigen Balance vereint“, wie es Investor Ralf Büschl verspricht? Werden die 155 Meter hohen Hochhäuser neben der Halle wirklich gebaut?

Viele in der Stadt erhoffen sich diese Entwicklung, für die Gegner wären die geplanten Zwillingstürme eine Verschandelung des Stadtbilds.

Die Stände für den Flohmarkt sind aufgebaut – und sie bleiben stehen. (Foto: Stephan Rumpf/Stephan Rumpf)

Fest steht auf jeden Fall: Die Zwischennutzung kommt am ersten Wochenende bei den Münchnerinnen und Münchnern gut an, auch an den Foodtrucks vor der Halle ist der Andrang groß.

Das neue Angebot begeistert allerdings nicht jeden. Hans-Georg Stocker, der Betreiber des benachbarten Backstage, ist Gründer des unmittelbar an das Paketposthallen-Gelände angrenzenden Kulturzentrums. Er veranstaltet seit 33 Jahren in seinen Hallen Konzerte, Partys und seit Langem auch einen Nachtflohmarkt. Im Backstage fand auch der Workshop „Halle für Alle“ statt, bei dem es um das Nutzungskonzept für die Paketposthalle ging. Aber für die Zwischennutzung habe Investor Ralf Büschl „nie mit uns geredet“, kritisiert Stocker. Als der Backstage-Chef schließlich erfuhr, was dort geplant ist – dass etwa der Nachtflohmarkt künftig in der ehemaligen Paketposthalle und nicht mehr im Backstage stattfinden soll – habe er Michi Kern direkt kontaktiert, sagt Stocker. „Aber Michi Kern hat sich nie zurückgemeldet. Und das ist nicht cool.“

Die Abwanderung des „Midnightbazars“ schmerzt das Backstage insofern, als der Nachtflohmarkt mit mindestens 20 000 Euro Gewinn pro Monat für die privat finanzierte kulturelle Einrichtung eine wichtige Einnahmequelle war. Stocker hat aber auch von geplanten Partys in der Paketposthalle gehört – „und das ärgert uns, weil wir uns wegen des Feierlärms bereits stark einschränken müssen“. Seine Befürchtung: Die direkte Konkurrenz könnte dazu führen, dass sich das Backstage beispielsweise das alljährlich stattfindende, kostenlose Free & Easy-Festival im Sommer mit mehr als 200 Künstlern und Künstlerinnen nicht mehr leisten kann. Der Bezirksausschuss Neuhausen-Nymphenburgs, dessen Politiker Stocker jetzt um Vermittlung gebeten hat, wolle sich jetzt einschalten.

Michi Kern will jedenfalls keine Konkurrenz mit dem Backstage. „Wir wollen konzeptionell etwas ganz anderes machen als der Nachbar.“ In der Paketposthalle könne man ohnehin keine Konzerte veranstalten. „Wir haben Soundtests gemacht, die einzelnen Bereiche lassen sich akustisch nicht voneinander trennen.“

Gleichwohl gibt es zwei zusätzliche Eventräume im Tiefhof mit 1000 und 1600 Quadratmetern neben der Paketposthalle, also in direkter Nachbarschaft zum Backstage, die Kern Lärmschutz-technisch herrichten will. Dann stünden sie für Veranstaltungen bereit. Einige Techno-Kollektive hätten sich die Räume schon angeschaut und seien begeistert von dem industriellen Charme. Techno, meint Kern, stünde aber nicht in Konkurrenz mit dem Backstage, wo es keine Raves gebe. Er habe Hans Georg Stocker vor einigen Tagen geschrieben und zur Zusammenarbeit ermutigt, sagt Michi Kern.

Urs Jahn  war mit seinem Midnightbazar „seit längerer Zeit auf der Suche nach einer eigenen, langfristigen Heimat“.  Der Veranstalter des bisher im Backstage ansässigen Nachtflohmarkts, sagt, er schätze die jahrelange Zusammenarbeit mit dem Backstage. Zugleich haben er erkannt, „dass sich unser Konzept nur dann weiterentwickeln und in die nächste Phase übergehen kann, wenn wir in einer festen Location angesiedelt sind“.

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