USA-Talk bei Illner: Röttgen fordert „europäische Selbstständigkeit“ im Angesicht von Trump | ABC-Z

USA-Talk bei Illner
Röttgen fordert „europäische Selbstständigkeit“ im Angesicht von Trump
17.01.2025, 03:07 Uhr
Am kommenden Montag wird Trump zum zweiten Mal Präsident der USA. Wie wird sich die Welt in den nächsten Jahren unter seiner Präsidentschaft verändern? Von herausposaunten Drohungen sollte sich Deutschland nicht vom Wesentlichen ablenken lassen, sagt der Diplomat Wolfgang Ischinger bei Maybrit Illner.
Grönland, Kanada, Panama. Fragt man den kommenden US-Präsidenten, gehören diese Länder irgendwie zu den USA. Ab Montag wird Donald Trump erneut für vier Jahre die Geschicke der Vereinigten Staaten und der restlichen Welt lenken. Die erneute Präsidentschaft bedeutet im Vorfeld vor allem eins: viel Ungewissheit. Denn Trump ist nicht allein, sein Vertrauter Elon Musk beleidigt westliche Verbündete, mischt sich in Wahlkämpfe ein und gibt eine Wahlempfehlung für die rechtsextreme AfD.
„Trump definiert Interessen. Zum Teil haut er es auch einfach nur raus“, sagt CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Er ist einer der Gäste bei „Maybrit Illner“ im ZDF, wo es einmal mehr um die neue Weltordnung geht, für die Donald Trump offensichtlich steht. „Ich glaube, alles ist ernst zu nehmen“, so Röttgen weiter. „Aber wir sollten auch nicht glauben, dass das jetzt eine Politikankündigung oder ein Konzept ist, dass es auch so kommen muss.“ Auf Verbündete nehme Trump keine Rücksicht. Er wolle, dass seine Forderungen provozieren und schockieren. „Allein dieser Angsteffekt soll schon etwas bewirken.“ Deutschland und Europa sollten nicht permanent die Konfrontation mit Trump suchen, sagt Röttgen. „Die einzige Antwort ist europäische Selbstständigkeit. Wir müssen selber agieren.“
Ex-Grünen-Chefin Ricarda Lang sieht das zumindest etwas anders. Dass sich Bundeskanzler Olaf Scholz öffentlich gegen die Grönland-Ambitionen des kommenden US-Präsidenten stellte und dort auf Konfrontation ging, empfand sie als richtig. „Es wäre ein Fehler, wenn es eine mögliche Ankündigung von der Verschiebung von völkerrechtlichen Grenzen gibt, darauf nicht zu reagieren“, sagt Lang bei Illner. Auch sie fordert, dass sich Europa damit beschäftigt, eine regelbasierte Weltordnung durchzusetzen und in einer Welt mit immer mehr „Regelbrechern“ auch dafür zu kämpfen.
„Ab nächstem Dienstag wird’s ernst“, sagt der ehemalige Diplomat und Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger. Trump habe es dann mit wichtigen Themen zu tun: der Lösung des Nahost-Konflikts, dem richtigen Umgang mit China, der Atompolitik des Iran. Mit Blick auf Trumps Drohungen gegenüber Kanada, Grönland und Panama spricht Ischinger von „Geplänkel“. Das gelte auch für Trumps Forderung nach einer Aufstockung der NATO-Zahlungen der europäischen Länder. „Ein kleines bisschen tiefer hängen. Das sind alles zweit- und drittklassige Themen. Das sind alles keine deutsch-amerikanischen bilateralen Themen. Hüten wir uns davor, jetzt wieder die Rolle des Lehrmeisters aus Europa zu spielen, der den Amerikanern völkerrechtliche Ermahnungen gibt. Wenn wir das machen, machen wir es bitte mit einer Stimme als Europäer, aber nicht einfach aus Berlin.“
Die Neuausrichtung Europas
Ein Thema, das vor allem in Europa heiß diskutiert wird, ist die Beendigung des Krieges in der Ukraine. Das wollte Trump anfangs innerhalb eines Tages bewerkstelligen, nach seinen jüngsten Aussagen plane er jetzt ein halbes Jahr dafür ein. Trump wolle nicht als Schwächling in die Geschichte eingehen, sagt Ischinger. Er ist davon überzeugt, dass Trump ausreichend Druck auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin ausüben wird, um so den Krieg schnell zu einem Ende zu bringen. Unter welchen Bedingungen ein Frieden für die Ukraine geschlossen werden kann, darauf will sich in der Sendung niemand festlegen.
Bei aller Ungewissheit ist eines klar: Europa muss sich in den nächsten Jahren verändern. Denn schon jetzt sieht es so aus, dass es Trump gemeinsam mit Elon Musk und anderen Wirtschaftsvertretern darauf anlegen könnte, das „System USA“ zu sprengen. Schon 1992 hatte der damals unabhängige, konservative Präsidentschaftskandidat Ross Perot die Idee, die Vereinigten Staaten wie ein Wirtschaftsunternehmen zu führen. Was vor gut dreißig Jahren noch undenkbar war, könnte heute ein Ziel Trumps sein. Die Politik des „America first“, die er vertritt, könnte darauf hinauslaufen. Dafür müsse sich Europa neu aufstellen, sind sich die Gäste bei Illner im Großen und Ganzen einig.
Doch das wird nicht einfach sein. Denn wenn Donald Trump am Montag die US-Präsidentschaft übernimmt, trifft er auf ein gespaltenes Europa. In den Niederlanden, der Slowakei und Italien gibt es neue, rechtsgerichtete oder linkspopulistische Regierungen, in Österreich droht mit dem FPÖ-Politiker Herbert Kickl ein Politiker Kanzler zu werden, der stolz darauf ist, sich „rechtsradikal“ zu nennen. Auch die amerikanische Gesellschaft ist gespalten.
Norbert Röttgen spricht von einer „prekären Demokratie“. „Die USA sind ein Beispiel dafür, dass auch der große wirtschaftliche Erfolg, wenn er mit einer gigantischen Ungleichheit in der Gesellschaft einhergeht, der für die Mehrheit das Leben sehr teuer, sehr unerträglich macht, nicht zu einer stabilen Gesellschaft führt“, sagt Röttgen. „Das haben wir in Europa auch – nicht in dem extremen Ausmaß, wie das in den USA der Fall ist.“
Röttgen bezweifelt, dass es eine gemeinsame europäische Reaktion auf Donald Trump geben wird. Den „entscheidenden Schlüssel dafür, ob Europa zur Selbstständigkeit kommt und nicht immer nur wie das Kaninchen auf die Schlange starrt und sich nicht bewegt“, werde die nächste deutsche Regierung haben, so der CDU-Politiker. „Es wird an der nächsten deutschen Regierung liegen, ob sie eine europäische Initiative mit anderen europäischen Regierungen zusammenbringt und sowohl, was die eigene Sicherheit anbelangt, aber auch die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit angeht, zu Fortschritten kommt.“ Das sei der historische Moment für Deutschland, sagt Röttgen.
Ischinger sieht es genauso. „Nach 35 Jahren, in denen von Deutschland keine große Initiative in der Europapolitik ausgegangen ist, ist es jetzt Zeit, wieder eine solche Initiative zu starten.“