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„Mord oder Watt?“ mit Oliver Mommsen in der ARD | ABC-Z

Reihenweise ließen sich Senioren in den Achtzigerjahren zur Kurklinik im Glottertal karren, dem Drehort der „Schwarzwaldklinik“, um dort von Professor Brinkmann persönlich behandelt zu werden. Nicht bekannt ist, ob sich Klausjürgen Wussow nach 70 Folgen als adrett bekittelter Fernsehchirurg eine Routine-OP, sagen wir Blinddarm, zugetraut hätte. Und wie ist das eigentlich bei altgedienten Fernsehkommissaren? Vermutlich juckt es die, gleich loszuermitteln, wenn neben ihnen in der U-Bahn eine Handtasche gemopst wird. „Wo waren Sie vor drei Minuten?“

Diese mittellustige Idee liegt der noch jungen Reihe „Mord oder Watt?“ zugrunde, verbunden mit dem ähnlich amüsanten Einfall, dass der als Kommissar Lux erfolgreiche Schauspieler Tim Seebach – obwohl im Herzen einsam und wie alle Stars voller Angst vor dem Altern, zumal die Produktionsfirma ihm einen flotten Jungspund an die Seite stellen will – ein leicht aufgedunsenes Ego mit sich herumträgt, das in seiner für die Handlung jeweils aufgesuchten Heimat an der Nordsee aber schnell wieder auf Normalmaß schrumpft. Dafür sorgt die Lässigkeit der Flachländler. So mutt dat eben sein in jeder Küstenkomödie. Genau wie Fischbrötchenwitze.

Er hat eben Wichtigeres zu tun als so’n Tüdelkram

Was diesem „Freitagsfilm“ (so etwas wie der Lustspiel-Blinddarm der ARD) seine Wohlfühlatmosphäre verleiht, ist der Umstand, dass Oliver Mommsen viel zu charmant ist für wirklich arrogante Schnösel. Es gelingt ihm, eine Klischeefigur individuell zu spielen. So machen die auf Situationskomik und Dialogwitz setzenden Bücher von Michael Gantenberg und die sonnig strahlende Regie von André Erkau auch gar kein großes Aufhebens von der Rahmenhandlung. Der Einstieg zum aktuellen Film „Für immer Matjes“ unterscheidet sich nur um Sandkorns Breite von dem zur Debütfolge „Ebbe im Herzen“ vor einem Jahr: Damals stürzte „der Lux“ während der Berliner Dreharbeiten vom Skateboard, jetzt holt er sich irgendwie anders eine Schulterzerrung. So oder so, zur Erholung geht es nach Westerfleth, einem wahnsinnig aufgehübschten und mit etwas Cuxhaven abgeschmeckten Bremerhaven (das hier fast Inselflair besitzt). Dass in der ersten Folge Tims Mutter während dieses Aufenthalts starb – der Lux war sicher: vergiftet wurde; er hatte mal so einen ähnlichen Fall . . . –, das war einfach Pech.

Auch jetzt stolpert er bei der Ankunft über eine Leiche im Watt, den guten Handwerker Jorg, der früher die Meerjungfrauen tanzen ließ, aber nun auf dem Weg in den Ehehafen war. Seine Verlobte, die neuerdings in Austernzucht machende Fischhändlertochter Katharina (Kristin Suckow), nimmt diesen Tod nur äußerlich gelassen auf. Nach wie vor ist der Lux von seiner kriminalistischen Kompetenz (über 150 gelöste Fälle!) so überzeugt, dass er der örtlichen Polizei – in der üblichen Schmunzelkrimivariante: sympathische Kratzbürste (Antonia Bill) und Deppenassistent (Joshua Seelenbinder) – ungefragt ins Handwerk pfuscht. Erneut also soll es Mord gewesen sein, weil der Lux da mal so einen Fall hatte . . . Lustigerweise ist wieder etwas dran. Mit Polizistin Wiebke wird das alles auch nach Dienstschluss erörtert, denn sie ist immer noch Untermieterin im Haus von Tims Mutter und nutzt immer noch dasselbe Bad wie der Heimaturlauber, weil er ihre Dusche immer noch nicht hat reparieren lassen. Er hat eben Wichtigeres zu tun als so’n Tüdelkram. Gesichtspflege etwa.

Dass in den Kabbeleien der beiden viel romantische Energie steckt, wissen Mommsen und Bill schön auszuspielen, und auch Ulrike C. Tscharre gelingt es, die leichte Eifersucht in der Haltung von Tims eigentlich umworbener Küstendame Hannah, der Betreiberin des Restaurantschiffs Esperanza, perfekt zu dosieren. Es braucht keine Luchsaugen, um zu bemerken, dass diese Dreierkonstellation wie überhaupt der gesamte Duktus ziemlich nah an „Nord bei Nordwest“ (NDR) entlangschrammt. Das ist frech, aber es gäbe schlechtere Folien. Und es geht hier noch harm- und vor allem tierloser zu als an der Ostsee. Einige Figuren wie die notorisch neugierige Frau Jessen (Hedi Kriegeskotte) sind leider pure Staffage aus der Komödientruhe. Das ließe sich auch von Tims altem Freund, dem Wattführer Erik (Niels Bormann), sagen. Der ist so kauzig wie traditionsbewusst: „Wir sind hier Matjes, Austern sind die andern.“ Dafür hat er einiges von dem hübsch mäandernden Schnack abbekommen, der die ruhige Lakonie des Buchs ausmacht: „Ich glaub, der Jorg mochte die Frauen und die den.“ „Wo ist denn dann das Problem?“ „Manche waren verheiratet. Aber seit der mit der Lossum verlobt war: treu wie’n Erpel. Erpel sind ihr Leben lang treu.“ „Biber auch.“ „Wie, die auch?“

So ganz richtig liegt Erik übrigens nicht, Erpel sind monogam bis zum Ende der Brutzeit, was wohl auch Tims Charakter mehr entgegenkäme. Hier aber ist der Lux ohnehin eher eine Arte Boje, um die die beiden Frauen herumsegeln. Als flapsiger Tiefpunkt darf er sich mit den von der Produktionsfirma zugeschickten Jugendklamotten zum Affen machen. Gemeinsam, aber ohne viel Gedöns löst man das vertrackte Austern-Rätsel und keschert die für Jorgs Tod verantwortliche Person aus dem Pool der Verdächtigen, bevor es im traumhaft nostalgischen Mercedes SL 380 Cabrio (der Wagen lebt übrigens tatsächlich bei Cuxhaven: das nennt man biberhafte Ausstattungstreue) entspannt zurück nach Berlin geht. Die Einstiegsfolge, an deren Buch noch Lars Albaum beteiligt war, hatte zwar noch ein wenig mehr dramaturgischen Biss und selbstreflexiven Humor als der fröhlich unprätentiöse, aber eher schlürfende Nachfolger. Als kleine Erholungskur vor der nächsten blutigen Krimiorgie taugt er trotzdem. Besser ginge das im Schwarzwald auch nicht.

Mord oder Watt? Für immer Matjes, heute um 20.15 Uhr im Ersten und in der Mediathek.

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