“Möchten Debatte ermöglichen”: Werden Waffen als nachhaltig deklariert? | ABC-Z
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat das Image von Rüstungsunternehmen verändert. Viele Menschen sehen die Branche hierzulande als etwas Positives. Ein Investment in Waffenschmieden könnte auch in Deutschland bald als nachhaltig eingestuft werden.
Wer in nachhaltige Fonds investiert, könnte bald unabsichtlich sein Geld in Waffenproduzenten stecken. Denn deutsche Banken- und Fondsverbände wollen künftig nachhaltigen Anlageprodukten nicht mehr verbieten, in Rüstungsunternehmen zu investieren.
Hintergrund zur Aufgabe einer geltenden Regel der deutschen Verbände seien aktuelle politische Entwicklungen sowie neue regulatorische Vorgaben, heißt es von der Deutschen Kreditwirtschaft (DK). Völkerrechtlich geächtete Waffen sollen auch weiterhin vollständig für Investitionen ausgeschlossen bleiben. Die Aufsichtsbehörden müssen noch grünes Licht für die Pläne geben. Das Aufgeben des “Nein” zur Verteidigungsindustrie, dem sogenannten Mindestausschluss, sei “ein wichtiger Schritt hin zur EU-weiten Standardisierung der Mindestanforderungen an nachhaltige Fonds”, so der Deutsche Fondsverbands BVI.
Die europäische Wertpapieraufsicht ESMA erlaubt mittlerweile, Rüstungshersteller als nachhaltig zu klassifizieren – Ausnahme sind Produzenten geächteter Waffen wie etwa Anti-Personen-Minen und Streumunition. “Seit dem Überfall auf die Ukraine gibt es eine Debatte über die gesellschaftliche Bedeutung von Verteidigung und Rüstung. Wir möchten diese Debatte auch den Fondsmanagern und Anlegern ermöglichen”, sagte Magdalena Kuper vom BVI im Gespräch mit ntv.
Künftig sollen Fondsanbieter demnach also selbst entscheiden dürfen, ob sie Rüstungshersteller in ihre Nachhaltigkeitsfonds aufnehmen oder nicht. Befürworter argumentieren, die Verteidigungsindustrie trage zu Frieden und Sicherheit bei. Gegner sehen das anders.
“Rüstung kann nicht nachhaltig sein”
Union Investment kündigte bereits an, in ihren entsprechenden Produkten weiterhin auf Waffeninvestitionen zu verzichten. “Rüstung ist notwendig. Aber Rüstung kann nicht nachhaltig sein”, sagte Union-Invest-Fondsmanager Henrik Pontzen ntv. Nachhaltig könne nur sein, was nicht mit wesentlichen negativen Nebenwirkungen einhergehe. Bei Waffen sei das aber der Fall – , “das sind Tod und Leid von Zivilisten und Soldaten”.
Sicherheit solle nicht mit Nachhaltigkeit vermischt werden, sagte Verena Menne, Geschäftsführerin des Forums Nachhaltige Geldanlagen, im Gespräch mit ntv. “Dass wir etwas brauchen, und es deswegen finanziert werden muss, heißt noch lange nicht, dass es auch nachhaltig ist.” Selbstverständlich habe ein Land aber das Recht, sich im Falle eines Angriffs mit Waffen zu verteidigen.
Derweil hat sich das Anlage-Volumen europäischer nachhaltiger Investmentfonds in Rüstungsaktien seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine mehr als verdoppelt. Wie die “Financial Times” unter Berufung auf die Analyse-Firma Morningstar berichtet, hat etwa ein Drittel der sogenannten ESG-Fonds in Europa und Großbritannien nun 7,7 Milliarden Euro in diesem Sektor investiert. Im ersten Quartal 2002 waren es demnach noch 3,2 Milliarden Euro. ESG steht für die Bereiche Umwelt (Environment), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance).
Die Analyse von Morningstar zeigt auch, dass sich die Zahl der europäischen ESG-Fonds, die mehr als fünf Prozent in Luft- und Raumfahrt- sowie Verteidigungsunternehmen halten, in den letzten zwei Jahren von 22 auf 66 verdreifacht hat. Angesichts der kräftigen Kursgewinne an der Börse ist das wenig überraschend , der Index “Stoxx Total Market Aerospace & Defence” hat seit Anfang 2022 mehr als 80 Prozent zugelegt.
Anlegerinnen und Anleger werden künftig womöglich noch genauer darauf achten müssen, in welche Unternehmen nachhaltige Fonds investieren. Jeder Fonds veröffentliche seine Anlagerichtlinien, sagte “Finanztip”-Chefredakteur Hermann-Josef Tenhagen ntv. So könne man überprüfen, ob die Investitionen den eigenen Standards entspreche.