Modeschöpferin Donatella Versace wird 70 Jahre alt | ABC-Z

Vor einigen Tagen gratulierte Donatella Versace dem Model Gigi Hadid auf Instagram zum dreißigsten Geburtstag. Dazu gab es eine Bilderstrecke mit gemeinsamen Momenten. Jemand kommentierte darunter: „Mutter und Tochter“. Die Ähnlichkeit ist tatsächlich unübersehbar, auch ohne Verwandtschaft. Beide haben eine markante Kinnlinie, größere Nasen, einen ähnlichen Hautton und natürlich keine Falten.
Das soll kein Plädoyer für Schönheitseingriffe sein, die jede Spur von Charakter aus dem Gesicht radieren und Menschen in den seltensten Fällen schöner machen. Beim Gigi-Hadid-und-Donatella-Versace-Vergleich sind auch die Mühen erkennbar, die beide für Sport aufwenden.
Für Donatella Versace müssen die Fotos eine späte Freude sein. Nach all den Jahren, in denen sie für die Eingriffe verunglimpft wurde, kann sie heute unbekümmert neben einer der schönsten Frauen der Welt stehen. Donatella Versace, die Ewigjunggebliebene. Das ist über das Aussehen hinaus die Rolle ihres Lebens.
Sie ist auch die ewige kleine Schwester
Denn Donatella Versace ist ja auch die ewige kleine Schwester von Gianni Versace. Neun Jahre nach ihm wurde sie geboren, am 2. Mai 1955. Die Geschwister wuchsen in Kalabrien in einfachen Verhältnissen auf, der Vater war Elektrohändler, die Mutter Maßschneiderin. Es gab noch eine Schwester, Tina, die im Alter von zwölf Jahren an einer schlecht behandelten Tetanusinfektion starb, und einen älteren Bruder, Santo, der später ebenfalls ins gemeinsame Unternehmen einstieg.
Aber zunächst einmal waren da Gianni und Donatella. Sie war früh seine Muse: Er riet ihr, Platinblond für die Haare auszuprobieren, und er testete seine ersten Entwürfe an ihr. Sie studierte in Florenz. Als es für ihn in Mailand mit der Mode konkreter wurde, zog sie ihm nach und begann als seine Assistentin. 1978 gründete er sein Label. Weil von nun an auch Santo als Mann für die Zahlen dabei war, brauchte Versace nicht Generationen, um zum Familienunternehmen zu werden, sondern war es sofort. Typisch italienisch. Versace stieß gemeinsam mit Giorgio Armani und Gianfranco Ferré den unglaublichen Aufschwung der Mailänder Mode in den Achtzigerjahren an.
Auch Donatella Versace verstand von Beginn an viel von Mode. Sie verantwortete die jüngere Versus-Linie und arbeitete mit ihrem Bruder an der Hauptmarke. Das Versace-Gesicht aber blieb – neben dem Markenzeichen, dem Medusenhaupt – über zwei Jahrzehnte Gianni. Das änderte sich schlagartig am 15. Juli 1997. Gianni Versace kam in Miami Beach gerade vom Kiosk zurück, als er vor seinem Haus erschossen wurde.
Hätte sich dieser Kriminalfall 20 Jahre später in der Luxusmode ereignet, die da längst von Großkonzernen gelenkt wurde – es wäre wohl umgehend ein neuer Star-Designer als Nachfolger gefunden worden. Im Jahr 1997 aber übernahm die kleine Schwester Donatella Versace die Führung. Was für ein mutiger Schritt!
In den folgenden Jahren blickten viele anders auf diese Entscheidung, und das dürfte auch etwas damit zu tun gehabt haben, dass eben nicht der Bruder – ein Mann –, sondern die Schwester die Nachfolge antrat. „Was wird sie machen? Wird sie es schaffen?“, so fasste Donatella Versace im Jahr 2019 im Interview mit dem F.A.Z.-Magazin die Stimmung damals zusammen. „Selbstverständlich war da auch die Möglichkeit, dass es nicht klappen könnte.“ Dieser Gedanke wird Donatella Versace lange begleitet haben. „Das war eine schwierige Situation“, erzählte sie damals über die ersten Jahre als Chefdesignerin. „Ich musste das machen, weil mein Bruder tot war, also konnte ich mir nie zu 100 Prozent sicher sein, dass das auch mein Platz sein würde. Ich hatte immer das Gefühl, ich müsse in seine Schuhe passen, und Gianni war ein Gigant.“
„Ich bin nie selbstsicher“
Der Druck äußerte sich im Konsum von Drogen und in einer Depression. Und eben in den vielen ästhetischen Eingriffen, die auch mit der Unsicherheit zu tun gehabt haben werden, die sie als kleine Schwester in dieser Führungsrolle verspürte. „Ich bin nie selbstsicher“, sagte sie im Interview 2019. Das mochte auch mit privaten Problemen zu tun gehabt haben. Von dem amerikanischen Model Paul Beck, das sie 1983 geheiratet hatte, trennte sie sich im Jahr 2000. Sie haben zwei gemeinsame Kinder: Allegra, geboren 1986, und Daniel, geboren 1989. Allegra arbeitete zwar auch in Modeunternehmen, aber wollte sich nie dem Druck der eigenen Marke unterwerfen. Auch Daniel Beck Versace bevorzugt die Anonymität.
Die Marke profitierte sogar zuweilen von den Selbstzweifeln der Chefdesignerin. Donatella Versace arbeitete immer wieder mit vielversprechenden Jungdesignern zusammen, die Versace eben doch mehr voranbrachten, als das den vielen selbstsicheren Konkurrenten mit ihren eigenen Modehäusern gelang.
Trittsicher wurde Donatella Versace spätestens, als die Modefirmen in diesem Jahrtausend damit begannen, ihr eigenes Erbe zu feiern. Niemand vermarktete sich besser. Einmal schickte sie Jennifer Lopez in dem grünen Versace-Kleid, das sie 19 Jahre zuvor bei der Grammy-Verleihung getragen hatte, über den Laufsteg. Einmal, anlässlich Gianni Versaces zwanzigstem Todesjahr 2017, bekam sie fünf Supermodels der Neunzigerjahre gemeinsam auf ihren Laufsteg: Claudia Schiffer, Naomi Campbell, Carla Bruni, Cindy Crawford, Helena Christensen. Es war einer der großen Modemomente des vergangenen Jahrzehnts.
Die erste Versace, Giannis Muse, wird allerdings auch die letzte Versace gewesen sein: Im Jahr 2018 verkaufte die Familie das Unternehmen an die amerikanische Capri-Holding. Zunächst blieben die Strukturen erhalten. Doch im März dieses Jahres ging die Marke an Prada. Damit zieht sich Donatella Versace endgültig aus dem Design zurück. Dem Haus verbunden bleibt sie als Markenbotschafterin. Denn selbst wenn sie heute ihren siebzigsten Geburtstag feiert: Wer denkt als Ewigjunggebliebene an Ruhestand?