Model, Kickboxerin, jetzt Salafismus-Influencerin: Wie Hanna Hansen junge Frauen anwirbt – Panorama | ABC-Z

„Ich komm’ aus Nigeria“, sagt diese „Schwester“, und man meint, ein leichtes Zittern herauszuhören aus der Stimme, zu der man kein Gesicht sieht, weil Hansen das Display vom Betrachter, also der Kamera, abwendet. Sagt Hansen: „Aus Nigeria? Boah, wie schön!“ Es klingt locker eine Oktave höher als in den Videos, in denen nur sie allein zu hören ist. „Allahumma barik!“, fügt sie noch an, möge Allah dich segnen. Wo sie wohne, fragt Hansen weiter. „In Mönchengladbach? Ach, wie cool!“ Da sei sie schon ein paarmal gewesen, werde mal wieder Zeit. Wenn irgendwo am anderen Ende der Leitung noch Eis gewesen sein sollte, jetzt dürfte es gebrochen sein.
Zeit für die wirklich wichtigen Fragen: „Wie kommst du auf den Islam?“
Ihre Mutter sei schon konvertiert, erzählt die junge Frau, und dass sie das jetzt auch wolle. Hansen fragt noch, ob sie das auch freiwillig mache. Ja, sagt die Frau am anderen Ende. „Dann würd’ ich sagen, fangen wir an.“ Hansen spricht das islamische Glaubensbekenntnis ins Smartphone, erst auf Deutsch, dann auf Arabisch. Die Frau spricht ihr nach. Dann ist es vollbracht. „Allahu akbar! Willkommen im Islam, Schwesterherz!“, ruft Hansen und lächelt noch breiter. Nur eins noch: „Vergiss nicht, Community zu suchen. Du musst mir das versprechen. Sonst ist man so alleine.“ Sie habe auch eine Whatsapp-Gruppe, da könne sie gern reinkommen.
Drei Minuten dauert das Video, das Hansen von dem Gespräch gefilmt hat, und Zehntausende haben es gesehen. Sie hat es bei Instagram und Tiktok hochgeladen, wo sie auch all die anderen Videos gepostet hat von den Frauen, die sie schon zu Allah geführt hat: eine 22-Jährige aus Frankfurt, eine 37-Jährige aus Hamburg, eine 25-Jährige aus Dresden und so weiter. Um zum Islam zu konvertieren, muss man keine angestaubte Zeremonie durchlaufen wie die Taufe im Christentum. Man kann das mit sich und Allah ausmachen. Oder halt mit Hanna Hansen.
Nicht irgendeine muslimische Influencerin, sondern eine gefährliche Islamistin
Sie hat es in relativ kurzer Zeit zu ziemlicher Bekanntheit gebracht, 220 000 Followerinnen und Follower hat sie jeweils bei Tiktok und Instagram. Nur ist sie in der Wahrnehmung vieler Experten und der deutschen Sicherheitsbehörden nicht irgendeine muslimische Influencerin, sondern: eine gefährliche Islamistin. Hansen wettert gegen den deutschen Staat, die Medien, befürwortet die Scharia und spricht vom Islam als der „einzig wahren“ Religion. „So propagiert sie insbesondere eine Ordnung, die durch religiöse Vorgaben bestimmt ist“, sagt Jürgen Kayser, der Chef des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes – nicht durch das Grundgesetz. Der Inlandsnachrichtendienst beobachtet sie als Extremistin. Sie ist der neue Star der Salafisten-Szene. Und das als Frau.
Hanna Hansen, 41 Jahre, zeigt sich erst seit einigen Monaten öffentlich mit ihrem am Kopf eng anliegenden Schleier. 2004, als 19-Jährige, läuft Viktoria Stadtlander, so ihr bürgerlicher Name, bei der Wahl zur „Miss Deutschland“ in Bikini und Abendkleid über den Laufsteg in Duisburg – und wird Zweite. Sie bricht ihre Ausbildung zur Physiotherapeutin in ihrer Heimat Bad Oeynhausen ab und reist stattdessen als Model um die Welt. Ihre Eltern begleiten sie nach Mailand oder Hongkong. Sie dreht Werbespots, hat TV-Auftritte, tritt bei den großen Laufsteg-Shows in den Modehauptstädten der Welt auf, lebt ein paar Jahre in Paris. Die langen blonden Haare macht sie selbst als ihr Markenzeichen aus.
Tagsüber modeln, abends feiern, ein Leben, von dem viele junge Frauen träumen. Nach ein paar Jahren steht Viktoria Stadtlander selbst hinter dem Mischpult im Club. Sie bringt sich alles selbst bei. Im Keller habe sie „geübt wie eine Verrückte“, erzählt sie 2010 der Neuen Westfälischen. Als DJane Hanna Hansen, so nennt sie sich jetzt, tritt sie in New York, Seoul oder Singapur auf, in Deutschland bei der Loveparade. Jetzt wird sie nicht mehr von ihren Eltern begleitet, sondern von ihrem Freund David Puentez, der DJ und Musikproduzent ist.

Nach der Geburt ihrer ersten Tochter beginnt Hanna Hansen mit Kickboxen. Dieses Mal ist es der Sport, in den sie ihre ganze Energie steckt. Ein Sport, der eher als Männerdomäne bekannt ist. Die Haare bleiben lang, werden aber zu festen Zöpfen geflochten, damit sie im Wettkampf nicht stören. Sie will junge Frauen und Mädchen fürs Kickboxen begeistern. „Ihr wisst gar nicht, was ihr verpasst“, sagt sie, als sie 2019 von einem Sportartikelhersteller als „Multitalent“ ausgezeichnet wird. Kickboxen mache stark und selbstbewusst. Fünfmal holt Hanna Hansen den Weltmeistertitel – bis sie wieder den nächsten Kick, die nächste Herausforderung sucht.
Mein Motto ist: ganz oder gar nicht.
Hanna Hansen
Hanna Hansen wechselt zum Profiboxen. In nur knapp sechs Minuten kämpft sie sich 2021 zu ihrem ersten Sieg durch technischen K.o. 37 Jahre ist sie da alt, alleinerziehende Mutter von mittlerweile zwei Töchtern, und hat wie immer ihr Ziel fest im Blick: die Beste zu sein. „Ich gehöre zu den Challengern, ich will mich direkt messen“, sagt sie 2021 dem Kölner Stadt-Anzeiger. „Mein Motto ist: ganz oder gar nicht.“ Ihr Trainer Maurice Weber, selbst ehemaliger Profiboxer und ein Gefährte des einstigen Weltmeisters Felix Sturm, ist begeistert von ihrer Disziplin. Doch bevor sie auch hier um Weltmeistertitel kämpfen kann, kommt der Absturz. Im Dezember 2022 erleidet Hanna Hansen im Training einen Netzhautabriss, wird mehrfach operiert. Boxen kann sie jetzt nicht mehr. „Nun ist die Trauer riesengroß“, sagt ihr Trainer nach dem Ende ihrer Sportkarriere dem Express. „Sie hat das gelebt, für sie gibt es nur alles oder nichts.“

Nach dem offiziellen Karriereende im Sommer 2023 postet sie auf Instagram und Tiktok nicht mehr übers Boxen. Sondern immer mehr über Allah. In einem Podcast, den sie bei Spotify hochgeladen hat, erzählt sie im Januar 2024, dass sie circa drei Jahre zuvor konvertiert sei. Lange sei sie auf Sinnsuche gewesen, dann habe sie sich spontan bei Amazon einen Koran bestellt. Ihr damaliger Boxtrainer Weber und die anderen „Brüder“ im Boxstudio von Sturm seien eine „sehr schöne Unterstützung“ in allen Fragen gewesen, „die man natürlich als Anfänger im Islam hat“.
Wie genau sie in die salafistische Szene geraten ist, lässt sie auch später im Vagen. Ein persönliches Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung lehnt sie ab. Auch schriftliche Fragen zu ihrem Leben und ihrem Werdegang will sie nicht beantworten, teilt sie mit. Auch ihr früherer Trainer Weber lässt eine SZ-Anfrage unbeantwortet.
Auf Tiktok und Instagram spricht Hansen lieber über Rassismus und Ausgrenzung, die Muslime in Deutschland erfahren. Sie sammelt Spenden für Bedürftige in der muslimischen Welt, sogar mit einem eigenen Verein, „Helfende Hand e. V.“ mit Sitz in Köln. Wohin genau die Spenden gehen, auch das beantwortet Hansen auf SZ-Anfrage nicht.
Sie nutzt ihre hohe Reichweite, um für salafistische Veranstaltungen zu werben
Anfang 2024 fällt Hansen dem nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz mit Kontakten zur salafistischen Szene auf und auch mit entsprechenden Posts. „Hanna Hansen hat bundesweit innerhalb kürzester Zeit eine Sonderstellung eingenommen“, sagt Nachrichtendienst-Chef Kayser. Auch durch ihre hohen Followerzahlen habe sie „mittlerweile das Potenzial, viel Einfluss in der Szene auszuüben“. Salafisten interpretieren Koran und Sunna wortgetreu. Ihre Meinung zu liberalen, modern ausgerichteten Muslimen? „Der Islam ist nicht erneuerbar“, schreibt Hansen auf Instagram. Den Atheismus nennt sie „das größte Problem und Ursprung jeder Krise“. Für Gleichberechtigung gebe es keine Grundlage, und „Genderwahnsinn“ beklagt sie ebenso. Unter einem Post schreibt Hansen: „Wir sind so schlimm vom Westen und vom säkularen Denken beeinflusst.“
Dazu kommen eben noch die Videos von den Konvertierungen. Die Da’wa, die Missionsarbeit, ist ein wichtiger Teil des Salafismus. Immer wieder mal lädt Hansen über Tiktok und Instagram auch zum „Schwesternpicknick“ ein und wirbt für ihre Vorträge, vergangenen Sommer in Duisburg zum Beispiel, Thema: „Die Muslima in der heutigen Gesellschaft“. Zielgruppe: „für Schwestern ab 11 Jahren“.
Samet Er von der Islamismus-Präventionsstelle Violence Prevention Network (VPN) hört mittlerweile häufig von Hanna Hansen. Bei Workshops in Schulen, die er hält, erzählten vor allem Schülerinnen, dass sie Videos von Hansen begegnet sind. „Viele junge Musliminnen sagen dann, hey, guck mal, man kann es also auch mit Kopftuch schaffen“, sagt der promovierte Islam- und Erziehungswissenschaftler.

Eine Frau, die mit einer solchen Reichweite vom Islam spricht, habe es eben bisher nicht gegeben. „Hansen füllt eine Marktlücke“, sagt Samet Er. Gerade im Salafismus. Dessen prominenteste Gesichter sind Männer, was ja auch dem propagierten Weltbild entspricht: Pierre Vogel, Abul Baraa, Sven Lau. Letzterer hat in Hansens Leben eine besondere Rolle – die beiden sollen nach islamischem Recht verheiratet sein. Lau war schon mal wegen Terrorunterstützung in Haft, kam in ein Aussteigerprogramm, tauchte aber mit dem Ende seiner Bewährungszeit wieder in die Szene ab.
Samet Er vom VPN erklärt, das eigentlich Gefährliche am Salafismus seien aber nicht Gewaltaufrufe, die werde man auch von Hanna Hansen wahrscheinlich nicht hören. Sie verbreite auch keine tiefgreifenden theologischen Analysen, sondern „die banalsten Alltagsthemen“. „Sie füttert das typisch islamistische Opfernarrativ vom bösen Westen, der angeblich die Muslime unterdrückt.“ Gerade jetzt, mit einer schwer polarisierten Debatte über den Nahostkonflikt, verfange das bei einigen, sagt Samet Er. Was dazu führen könne, dass sich schon 13-, 14-, 15-Jährige radikalisieren, vielleicht sogar gewalttätig werden. Fachstellen wie das VPN, aber auch Sicherheitsbehörden beobachten seit einiger Zeit, dass die Fälle von islamistisch radikalisierten Jugendlichen mehr werden. „Und das hat eben damit zu tun, dass sie mit negativen, falschen und dichotomen Weltbildern konfrontiert werden“, sagt Samet Er.
Die junge Frau aus Mönchengladbach, die Hanna Hansen per Videocall konvertiert hat, ist über Tiktok auf Hansen gestoßen, schreibt sie der SZ in einer Nachricht. Auf Nachfrage, ob sie mitbekommen habe, dass Hansen als Salafistin gilt, antwortet sie: Ja, so was habe sie gehört. Aber sie glaube das nicht. Dann antwortet sie nicht mehr.





















