Stil

Mode im Krankenhaus: Es geht auch besser | ABC-Z

Frau Stetter, Sie haben eine Marke für Pflegehilfsmittel mit Design-Anspruch gegründet. Worin besteht zum Beispiel der Unterschied zwischen dem Gratiskrankenhaushemd, das ich in der Klinik bekomme, und dem Nachthemd, das Sie mit Ihrer Marke „Finally.“ anbieten?

Das Material ist anders. Es ist aus angerauter Biobaumwolle. Ein weiteres Teil, unser Turnarounder, ist so geschnitten, dass ich zum Beispiel Kontrolle über den Po habe. Er hat ein längeres Bändchen und eine Tasche. Und ich habe eine größere Auswahl an Farben. In meiner Feldforschung hat mich ein Palliativmediziner zum Nachdenken gebracht. Er traf eine Patientin auf dem Parkplatz, als sie gerade ins Taxi stieg und die Klinik verließ. Und er sagte mir dazu später: Hätte ich die Patientin in ihrer Alltagskleidung gesehen, dann hätte ich sie vielleicht anders beraten.

Wenn man auf einer Palliativstation ist, geht es stark darum, nicht mehr an der Lebensverlängerung zu arbeiten, sondern an der Lebensqualität, und das bedeutet ja für jeden etwas anderes. Ist man besser im Pflegeheim aufgehoben oder im Hospiz? Oder ist die Familie mit ambulanter Palliativ-Care vielleicht die bessere Alternative? Diese Fragen haben viel mit Lebensstilen und Care-Stilen zu tun.

Bitten Stetter ist Modedesignerin und hat eine Professur an der Zürcher Hochschule der Künste.David Jäggi/ZHDK

Und da kann die Kleidung Hinweise auf die Persönlichkeit geben?

Genau. Umgekehrt: Je weniger ich ins Spital mitnehme, umso weniger erfahren andere dort über mich.

Sie erwähnten eingangs die Tasche, die an Ihrem Krankenhemd wichtig ist. Warum?

Es gibt ja diesen Spruch: Das letzte Hemd braucht keine Taschen. Das ist meiner Meinung nach eine sehr historische Perspektive auf Kranksein und Endlichsein. Wir sind nämlich nicht mehr so materiallos, wie wir es vielleicht mal waren. Zum Beispiel: Das Handy ist ein Sicherheitsobjekt, um in Kontakt mit der Außenwelt zu treten. Und es ist auch schön, einen Ort zu haben, an dem ich mein Taschentuch lassen kann, weil ich vielleicht den Tränen nahe bin.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Die Modeindustrie wendet sich normalerweise an die Gesunden. Mode ist Ausdruck von positivem Lebensgefühl – das noch besser werden soll, wenn man dieses Kleid oder jene Jacke trägt. Sie bieten Mode für Menschen, die aufgrund einer Krankheit ans Bett oder häusliche Umfeld gebunden sind. Wie kamen Sie dazu, in diese Welt vorzustoßen?

Ich habe eine schwerkranke Person auf der gesamten Gesundheitsreise begleitet, von der ersten Krebsdiagnose über die Therapien, Chemo, Bestrahlung, Operation bis hin zur Palliativstation. Du hast als Patientin ständig Ortswechsel, aber auch Besuch. Du bist unter Menschen und möchtest dabei nicht deine komplette Identität abgeben. Du lebst. Dabei ist mir bewusst geworden, dass Mode auch in diesem Zustand das Wohlbefinden verbessern und Brücken schlagen kann zwischen fragilen Zeiten und gesunden Zeiten.

In den letzten Jahren sind einige Marken aufgekommen, die sich an Menschen mit Behinderungen oder Bewegungseinschränkungen infolge von Krankheiten wenden – und trotzdem einen Anspruch ans Design erheben. Der Onlinehändler Zalando bietet eine Rubrik, unter der adaptive Mode zu finden ist. Trotzdem: Warum kommt das alles erst jetzt?

Weil es bedeutet, nicht aus einem Elfenbeinturm für jemanden zu entwerfen, sondern es als ein Mitgestalten zu betrachten. Man muss diese Settings kennen und dort ethnographisch forschen oder zumindest Berührungspunkte haben. Und wir haben als Gesellschaft auch lange verdrängt, dass wir nicht immer nur stark und perfekt sein müssen. Wenn jemand dann krank wurde und nicht mehr leistungsfähig war, na, dann tat es auch der Plastikbecher.

Wie muss man den Markennamen „Finally.“ verstehen?

Endlich kümmert sich jemand. Aber es negiert auch nicht die Endlichkeit. Jeder von uns wird irgendwann krank sein, und es ist mir ein Anliegen, das ansprechen zu können. Es macht uns besonders krank, wenn wir nicht darüber sprechen können. Zu einer offenen Kommunikation gehört meiner Meinung nach nicht nur: Ich kämpfe, ich kämpfe, ich kämpfe. Sondern auch: Unabhängig davon, wie wir kämpfen und welchen Therapien wir uns unterziehen, ganz am Ende werden wir sterben.

Die Bettjacke: Dieses Modell ist so gefertigt, dass auch beim längeren Liegen keine Nähte stören sollen.
Die Bettjacke: Dieses Modell ist so gefertigt, dass auch beim längeren Liegen keine Nähte stören sollen.Mina Monsef

Was nervt Betroffene vor allem an dem, was in der Klinik gestellt wird?

Auf jeden Fall, dass sie sich ständig komplett ausziehen müssen. Dass es unachtsame Zugriffe auf den Körper gibt. Oder dass einem gesagt wird „Gehen Sie mal rüber zur nächsten Therapie“, und dann läufst du mit deinem offenen Hemd über den Flur. Der Körper ist mit einer Krankheit eh nicht mehr ganz meiner, aber das kann zusätzliche Schamgefühle auslösen. Aber es gibt natürlich auch Grenzen. Meine Kleidung wird es nicht lösen können, wenn meine Schmerzskala auf allen Ebenen auf zehn ist. Dann ist es mir egal, wie mein Hemd sitzt. Aber wenn ich in meinem Spitalbett liege, ob nach einer Bypass-OP oder mit Krebs, dann ist das für eine Zeit mein Lebensraum. Es ist auch mein Arbeitsort. Ich möchte an mein Handy gelangen können, und ich muss an eine Steckdose kommen, weil ich mein Handy aufladen muss. Und in den Momenten möchte ich nicht klingeln und das Personal damit behelligen. Aber wenn ich nicht kommunizieren kann, dann löst das Krisen aus. So bin ich auf Lösungen wie die Betttasche gekommen. Das ist mein privater space. Für die Pflege ist es aber auch einfach, sie wegzuschieben.

Privatspähre am Klinikbett: Von Finally. gibt es zum Beispiel eine Betttasche oder diesen Baldachin.
Privatspähre am Klinikbett: Von Finally. gibt es zum Beispiel eine Betttasche oder diesen Baldachin.Mina Monsef

Sie sprechen es schon an: Wenn es so ernst ist, dass mich zum Beispiel ein Katheter ständig an meinen Zustand erinnert, welchen Unterschied kann das Hemd dann noch machen?

Man wundert sich: Für uns, die gesund miteinander reden, ist schon ein Katheter ein Horror. Ich höre auch manchmal Leute, die sagen, dass sie nicht mehr leben wollen, wenn sie Windeln tragen. Aber das ist ein Prozess. Ich habe Menschen getroffen, die ambulant palliativ versorgt werden, und dachte mir: Das ist doch keine Lebensqualität mehr. Aber fragt man die Betroffenen, sagen sie: Also zehn Jahre könnten sie sich schon noch vorstellen. Wer Ästhetik – also Kleidung und schöne Dinge – schon vorher gemocht hat, tut das auch weiterhin. Da kann auch ein Lippenstift, selbst auf der Intensivstation, zeigen, wer man ist und sein möchte.

Gibt es Stücke, die Sie für kranke Menschen entworfen haben, aber die Sie auch in Ihrem Alltag als gesunder Mensch nutzen?

Ja, der Turnarounder ist sehr gut geeignet für den Camping-Urlaub. Und den Carebecher nutze ich, wenn ich halbliegend auf dem Sofa etwas trinken möchte. Je mehr solche Stücke in guten Zeiten eine Rolle spielen und mit positiven Erinnerungen verknüpft sind, umso vertrauter sind sie einem später.

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