Mit göttlicher Superkraft im WM-Finale von Tokio | ABC-Z

Ein Stoß und zack: WM-Finale! Olympiasiegerin Yemisi Ogunleye hat am Samstagmorgen souverän ihre Pflicht erfüllt und ist mit ihrem ersten Versuch auf 19,65 Meter direkt ins Finale der Kugelstoßerinnen bei der Leichtathletik-WM in Tokio eingezogen. „Jeder Stoß, den man sparen kann, bedeutet mehr Kraft für den Abend“, sagte Ogunleye, die um 12.52 Uhr deutscher Zeit (ZDF) wieder gefordert ist. Die Olympiasiegerin wird es dort jedoch nicht leicht haben: Auch ihre starken Konkurrentinnen um die US-Amerikanerin Chase Jackson kamen ohne Probleme weiter.
Ein Versuch reichte zum Weiterkommen: Yemisi Ogunleye in der WM-Qualifikation in Tokio.
© Michael Kappeler/dpa | Michael Kappeler
Wenige Tage vorher saß Yemisi Ogunleye entspannt beim Interview im Athletenhotel. Die Beine hatte sie übereinandergeschlagen, sie wipptee mit den Birkenstockschlappen an ihren Füßen. Zugewandt beantwortete sie Fragen zu ihrem Wettkampf bei der Leichtathletik-WM in Tokio. Hin und wieder funkelte es. Dann, wenn das Scheinwerferlicht auf ihre Kette traf. „Jesus“ steht auf dem goldenen Anhänger. Ihr Glaube, sagte die tiefgläubige Christin, ist ihre Superkraft. „Aber die hängt nicht an dieser Kette, sondern ist in meinem Herzen.“
Vergangenes Jahr ließ dieser Glaube die 26-Jährige über sich selbst hinauswachsen. Mit ihrem letzten Versuch auf genau 20 Meter holte sie in Paris überraschend den Olympiasieg im Kugelstoßen. Die Mannheimerin verrät: „Als ich ins Stadion gekommen bin, habe ich das Gefühl gehabt: Ich bin genau für diesen Moment gemacht. Ich hatte das noch nie so gespürt in meinem Leben.“ Es gelang ihr, die 80.000 Zuschauer auszublenden, ganz fokussiert zu bleiben. Später gab sie in der Pressekonferenz beseelt ihre Gospelkünste zum Besten.
Starke WM-Konkurrenz „unter Zugzwang“
Nach dem Triumph war die Sympathieträgerin gefragte Gesprächspartnerin, belegte Platz zwei bei der Wahl zu Deutschlands Sportlerin des Jahres. Sie erhielt – ganz irdisch – einen Sponsorenvertrag mit einem Autohersteller. Doch im Finale von Tokio soll das Vertrauen in ihre Superkraft die Sportsoldatin und ihre Kugel wieder weit tragen.
Überraschung bei der Sportler-des-Jahres-Gala in Baden-Baden: Yemisi Ogunleye durfte mit ihrem Gospelchor auftreten.
© dpa | Bernd Weißbrod
20 Meter hat sie sich vorgenommen. Die wird sie benötigen, um es mit den starken Konkurrentinnen um Titelverteidigerin Chase Jackson, die in diesem Jahr starke 20,95 Meter gestoßen hat, aufzunehmen. „Man hat schon gesehen, wie die Leistungen bei denen, die in Paris nicht so performt haben, jetzt in die Höhe sprießen“, sagt Ogunleye und bleibt gelassen. „Sie sind unter Zugzwang.“
Sie selbst hat keine leichte Saison hinter sich. Nach einer Hallenbestleistung von 20,27 Metern im Februar bei der Deutschen Meisterschaft in Dortmund quälte sie eine Achillessehnenverletzung. Ihre Wettkämpfe gerieten durchwachsen. Erst seit rund fünf Wochen trainiert sie richtig, fühlt sich nun aber bereit. „Es ist perfekt für mich, dass die WM ganz am Ende liegt.“ Die Zeit, in der ihr Körper nicht so konnte, wie sie wollte, sei für sie „der größte Kampf“ gewesen. Aber ihr Glaube half ihr, trotzdem positiv zu bleiben. „Denn alle Dinge kommen zusammen für dein Bestes für die, die den Herrn lieben“, steht in der Bibel. „Den Vers habe ich mir immer wieder gesagt“, erzählt sie. „Auch wenn ich es noch nicht sehen kann, wird alles gut werden.“
Druck und Erwartungen sind gestiegen
In Japans Hauptstadt ist Yemisi Ogunleye nun keine Topfavoritin. Aber das war sie in Paris auch nicht. „Was sich verändert hat, sind der Druck und die Erwartungen von außen.“ Dazu habe sie sich auch mit Malaika Mihambo ausgetauscht. Die Weitsprung-Vizeweltmeisterin ist seit Jahren Deutschlands Medaillenhoffnung Nummer eins und zuverlässige Lieferantin. „Am Ende des Tages ist man ein Mensch und keine Maschine. Ich kann nicht auf Knopfdruck funktionieren, auch wenn ich das manchmal so gerne möchte.“ Sie versuche sich von dem Druck freizumachen, „die Yemi zu sein, die ich auch vor den Olympischen Spielen war, mit Freude und Gelassenheit in den Wettkampf zu gehen“.
Bei der Diamond League in Brüssel lief es für Yemisi Ogunleye noch nicht richtig rund.
© AFP | NICOLAS TUCAT
Das gab ihr auch ihre Mutter mit auf den Weg, die gemeinsam mit ihrem Bruder in Tokio dabei ist. „Sie hat gesagt: ,Yemi, hab Freude, das ist deine Stärke.‘“ Sie fanden sogar den passenden Bibelvers: Die Freude am Herrn ist meine Stärke.
Vor dem Stoß: Atmen, beten, singen
An ihm werde sie sich festhalten, sagt Ogunleye. Und an ihn werde sie auch denken, wenn sie in Tokio den Ring betritt. Dann schließt sie die Augen, atmet durch, versucht, „alle Zweifel, die ich in diesem Moment habe, Angst, Nervosität auszuatmen“. In Paris habe sie in dem Moment eine unglaubliche Ruhe, Gott gespürt. Sie wisse, dass sie geliebt werde, egal wie weit die Kugel fliegt.
Wenn sie dann betet, ganz bei sich ist, hat sie kurz vorm Wurf oft einen Song im Kopf. Diesmal wird es wohl ein Stück der Lobpreis-Gruppe Elevation Worship sein. Pathos pur. Es heißt „Do it again“. Tu es noch einmal. Passt.

















