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Mit einem Israel-Satz trifft Merz gleich drei problematische Aussagen | ABC-Z

Was hat Deutschland für Nahost überhaupt zu bieten? Irgendwie klingt der Kanzler plötzlich nach Annalena Baerbock.

Mit einem zentralen Satz beschreibt Bundeskanzler Friedrich Merz seine Position zu Israel. Er trifft dabei gleich drei problematische Aussagen, die entweder von Hybris zeugen oder Zweifel wecken an seiner außenpolitischen Kompetenz.

Hier die Aussagen von Merz, die er im Sommerinterview der ARD äußerte – und die er für so grundlegend hält, dass er sie auf der social Media Plattform X wiederholte:

Ihm gefalle seit vielen Wochen nicht mehr, was die israelische Armee im Gazastreifen tut. Die Palästinenser hätten Anspruch auf einen Platz, wo sie leben können. Es folgt der entscheidende Satz. 

Friedrich Merz: „Ich hoffe, dass wir Europäer mit den Amerikanern eine Lösung herbeiführen, die in eine Zwei-Staaten-Lösung übergeht.“ Fast alles daran ist kritisch.

Erstens:

„Wir Europäer“ – gibt es eine Position „der“ Europäer zu Israel und den Palästinensern überhaupt? Und falls Ja – welche Folgen hätte dies für die deutsche Israel-Politik? Könnte Deutschland überhaupt seine selbst definierte und in Jahrzehnten gelebte Sonderrolle im Verhältnis zu Israel weiterspielen? 

Und falls es diese europäische Position gibt: Hat Deutschland diese geprägt oder prägen die Europäer vielmehr Deutschlands Position? 

Die Fakten: Vier europäische Länder haben „Palästina“ als Staat anerkannt, darunter zwei traditionell israel-kritische bis -feindliche Länder: Spanien und Irland. Das dritte Land, das vor einem Jahr diesen Schritt vollzog, war Slowenien. Schweden machte das schon vor zehn Jahren – mit der Begründung, wer eine Zwei-Staaten-Lösung wolle, müsse eben beide Staaten auch erst einmal anerkennen. Das ist nachvollziehbar.

Die drei europäischen Gründungsländer Deutschland, Frankreich und Italien haben Palästina nicht als Staat anerkannt, eben so wenig Polen. In Bezug auf die palästinensische Staatlichkeit gibt es also keine einheitliche europäische Position.

Fazit: Wenn Merz sagt, „wir Europäer“ sollten „eine Lösung herbeiführen“, spricht er von einer Voraussetzung, die nicht erfüllt ist. Seine Position hängt in der Luft, sie ignoriert die Tatsache der grundsätzlichen europäischen Uneinigkeit in Bezug auf Palästina.

Zweitens:

Dort, wo es dann doch eine gemeinsame Position gibt, ist diese klar israelfeindlich. Das Einigungspapier des jüngsten Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs könnte israelkritischer kaum sein.

Die Erklärung vom 26. Juni ist in der digitalen Version 36 Zeilen lang – 34 Zeilen davon richten sich gegen Israel. Der Überfall der Hamas auf Israel vom 7. Oktober wird gar nicht erwähnt. Von der Hamas als „Terrororganisation“ ist gar nicht erst die Rede, schon gar nicht findet sich die Absicht der Palästinenser, Israel von der Landkarte tilgen zu wollen.

Dafür wird von Israel eine „sofortige Waffenruhe“ gefordert, Israel wird an seine „Verpflichtungen aus dem Völkerrecht“ erinnert. Israel wird wegen der Gewalt der Siedler im Westjordanland angeprangert. Gelobt wird dagegen die „Reformagenda“ der Palästinensischen Behörde.

Dass diese Palästinensische Behörde de facto eine Diktatur ist, ein Ein-Partei-Regime, wird von den Staatenlenkern Europas nicht einmal erwähnt. Zum letzten Mal „gewählt“ wurde die PA, die von dem Antisemiten Mahmud Abbas geführt wird, 2007 – vor knapp 20 Jahren

Wenn das die Position Europas ist – wieso kann Deutschland das eigentlich gegenzeichnen? Erklären sich so die außerordentlich einseitigen, israel-kritischen Stellungnahmen des deutschen Außenministers Johann Wadephul? Ist Deutschland etwa bereit, zugunsten einer Anti-Israel-Front in Europa seine historisch begründete Sonderlinie zur Regierung in Jerusalem aufzugeben, also: eine seiner außenpolitischen Achsen nach links zu verschieben?

Drittens:

Deutschlands Bundeskanzler geht davon aus, dass „wir Europäer mit den Amerikanern eine Lösung herbeiführen.“ Das allerdings dürfte kaum passieren. Erstens gibt es „Wir Europäer“ gar nicht, zweitens, falls doch, dann ist Europa gegen Israel. Und drittens spielt Europa in Nahost de facto keine Rolle.

Schließlich: Der engste Verbündete Israels sind die Vereinigten Staaten. Die Amerikaner sind die wichtigste Lebensversicherung Israels – militärisch und, als Mitglied des UN-Sicherheitsrats, diplomatisch.

Eine „Friedenslösung“ hängt von den Europäern überhaupt nicht ab. Die USA brauchen folglich keine Einigkeit mit den Europäern zu suchen, zumal es die seinerzeit von Henry Kissinger verlangte „Telefonnummer Europas“ in Bezug auf Israel immer noch nicht gibt.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat Donald Trump zu bieten, was kein Europäer ihm bieten kann: sich öffentlich und offiziell dafür einzusetzen, dass der Amerikaner den Friedensnobelpreis bekommt.

Donald Trump, nicht die Europäer, ist die Stimme des Westens in Nahost BRENDAN SMIALOWSKI/AFP via Getty Images

Begründet hat Netanjahu dies mit dem Einsatz der Amerikaner für eine diplomatische „Versöhnung“ zwischen arabischen Staaten in Israel, wie sie in den „Abraham Accords“ zum Ausdruck kommen.

Die Abraham Accords sind eine direkte Folge der arabischen Friedensinitiative für Israel/Palästina. Die stammt aus dem Jahr 2002. Seitdem haben jedenfalls die Europäer in Nahost wenig bis nichts zustande gebracht. Eine belastbare europäische Nahostpolitik gibt es schlicht nicht.

Viertens:

 Es gibt auch kein gemeinsames Ziel, das die Europäer und die USA verfolgen würden. Die Europäer – auch Merz – wiederholen eine Formel gebetsmühlenhaft, von der sich die Amerikaner längst verabschiedet haben, ebenso wie die Mehrheit der Israelis: die sogenannte Zweistaaten-Lösung. 

Zuletzt, erst vor wenigen Wochen, hat der US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, der frühere Präsidentschaftsbewerber Mike Huckabee, auf die Interview-Frage, ob ein palästinensischer Staat das Ziel der US-Politik für Nahost bleibe, so geantwortet: „Ich denke, nicht.“

Und falls es denn überhaupt einmal einen Staat der Palästinenser geben sollte, dann müsste der geschnitten werden „aus einem muslimischen Staat“. 

Fünftens:

Damit ist die Zweistaatenlösung, die Merz verficht, de facto eine Totgeburt. Jedenfalls wohl sicher, solange Trump und Netanjahu regieren. Wie sich der Anspruch einer deutschen „Führungsrolle“ in Europa damit vereinbaren lässt, ein „totes Pferd“ weiter zu reiten, bleibt das Geheimnis von Merz. 

Sechstens:

Zumal eine Spekulation ist, ob die arabischen Staaten am Ende wirklich für einen eigenen Staat der Palästinenser sind. Dass der Zaun, der Ägypten von Gaza trennt, höher und undurchlässiger ist als die Grenzbefestigungen, die die Israelis errichtet haben, ist schließlich kein Zufall. Und die Araber wissen, dass die meisten Friedensinitiativen am Unwillen der Palästinenser gescheitert sind, Frieden mit Israel zu schließen. 

Siebtens:

Weshalb Friedrich Merz das „Pferd“ von hinten aufzäumt. Bevor die Palästinenser einen eigenen Staat zugesprochen bekommen, müsste klar sein, dass dieser Staat keine Bedrohung ist für die israelische Staatlichkeit. Mit der Hamas geht das nicht – diese Terror-Organisation auszuschalten, ist deshalb ein folgerichtiges israelisches Kriegsziel.

Die von Merz beklagte brutale Kriegsführung Israels hängt damit zusammen, dass oft genug ein klarer „Kombattantenstatus“ bei den Palästinensern gar nicht auszumachen ist. Was so ist, wenn etwa Krankenhäuser zu Schutzstationen der Terror-Organisation werden. Seltsam einseitig ist die Position von Merz auch, weil:

Achtens:

Der Kanzler in Bezug auf Israel eine Formel nicht über die Lippen kommt, die für ihn im Fall der Ukraine eine Selbstverständlichkeit ist: Keine Lösung, keinen Frieden, ohne die Ukraine. Eine Nahost-Lösung wird es ebenso wenig geben ohne Israel. Nicht ohne Israel, nicht ohne die arabischen Staaten, schon gar nicht ohne die Amerikaner.

Europa ist kaum mehr als ein Zaungast. Und Deutschlands Nahost-Außenpolitik mäandert auch unter Merz zwischen Israel-Loyalität, USA-Abhängigkeit, Europas Eierei, linkspopulistischer Palästinenser-Solidarität und selbsternanntem Führungsrollen-Anspruch irgendwo im Niemandsland.

Bis auf diesen breitbeinigen Führungsanspruch ist es bislang kaum mehr als die Fortsetzung der Ampel-Nahostpolitik von Olaf Scholz und Annalena Baerbock.

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