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Mit dem Dreirad ins Rathaus: So hält sich Münchens älteste Stadträtin Gunda Krauss (86) fit | ABC-Z

Das Gehen ist beschwerlich geworden und auch andere Erscheinungen des Alters machen es ihr nicht immer leicht. Trotzdem strahlt Gunda Krauss eine ansteckende Fröhlichkeit und Energie aus. Die gebürtige Berlinerin, Jahrgang 1939, kam mit 22 nach München. Im Alter von 84 zog sie ins Rathaus ein: als Nachrückerin für die Grünen. Im AZ-Interview spricht Gunda Krauss über ihr bewegtes Leben, wie sie dazu kam, sich politisch zu engagieren und wie sie sich fit hält. Die AZ traf sie in ihrer Wohnung im Münchner Osten.

Gunda Krauss in ihrer Genossenschaftswohnung. Mit ihrem ersten E-Dreirad radelte sie 2009 mit ihrem Dackel “Sauser” nach Rügen. Über die Reise schrieb sie das Buch „Gunda unterwegs“ (20 Euro).
© Sigi Müller
Gunda Krauss in ihrer Genossenschaftswohnung. Mit ihrem ersten E-Dreirad radelte sie 2009 mit ihrem Dackel “Sauser” nach Rügen. Über die Reise schrieb sie das Buch „Gunda unterwegs“ (20 Euro).

von Sigi Müller

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AZ: Frau Krauss, Ihr Terminkalender ist ganz schön voll. Nach unserem Interview haben Sie um 19 Uhr noch eine Ausschusssitzung – haben Sie keine Lust auf Ruhestand?
GUNDA KRAUSS: Ich bin in Rente gegangen und wusste erst nicht, was ich jetzt machen soll. Dann habe ich mir gesagt: Deine Lebensaufgabe ist, Freude zu verbreiten, lebenslang zu lernen – und dich zu engagieren. Das politische Engagement hat dann irgendwann überhandgenommen.

“Dagegen muss ich kämpfen, solange ich schnaufe”

Aktiv in die Politik eingestiegen sind Sie erst in Ihren 70ern. Gab es so etwas wie einen Schlüsselmoment, warum so spät?
Vielleicht schon. Auf dem Marienplatz stand so eine Nazi-Gruppe, da war ein junger Mann mit dunklen Haaren und blauen Augen – sein Gesicht vergesse ich nicht. Er rief: “Wir sind das Volk, wir sind das Volk.” Ich stand ihm gegenüber an der Absperrung und habe einen Weinkrampf gekriegt. Ich habe am ganzen Körper gezittert. Ich musste weg, dieses Nazi-Heil-Hitler… Da kam alles hoch, was ich als Kind miterlebt habe. Das war ein Schlüsselmoment. Dagegen muss ich kämpfen, solange ich schnaufe. Aber politisiert hat mich eigentlich Hildegard Hamm-Brücher.

Die ehrenamtliche Stadträtin im Treppenhaus des Münchner Rathauses.
Die ehrenamtliche Stadträtin im Treppenhaus des Münchner Rathauses.
© Hauke Seyfahrt
Die ehrenamtliche Stadträtin im Treppenhaus des Münchner Rathauses.

von Hauke Seyfahrt

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. . . die Grande Dame der FDP. Sie waren eng verbunden mit ihr. Wie haben Sie sie kennengelernt?
Das war Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre. Ich habe in einem Zeitungsartikel gelesen, dass sie Mitstreiter sucht. Daraufhin habe ich bei der FDP in München angerufen, dass ich ihre Adresse brauche. Die habe ich auch ohne Weiteres bekommen.

Da war’s noch nicht weit her mit dem Datenschutz…
Ja, damals war das noch möglich. Ich habe mein schönstes Briefpapier und meinen Füllfederhalter herausgeholt und habe ihr geschrieben, wer ich bin.

Wie ging es weiter?
Ich wurde mit anderen eingeladen und wir haben dann eine Petition zum Grundgesetz eingebracht an den Bundestag. Wir haben Veranstaltungen durchgeführt, Politiker befragt und einen Verein gegründet.

“Frau Hamm-Brücher hat aus mir gemacht, was ich heute bin”

Wie hieß der Verein?
“Verfassung 93: Wir mischen uns ein”. Das Logo hat der Karikaturist Dieter Hanitzsch gezeichnet. Frau Hamm-Brücher hat es ihm bei einem Besuch mit einer Flasche Rotwein entlockt.

Was hat Ihnen Frau Hamm-Brücher bedeutet?
Sie war mein Vorbild, politisch und auch menschlich. Sie war durch und durch integer. Sie hat aus mir gemacht, was ich heute bin.

Nämlich?
Eine freie, selbstständige Frau. Sie hat mir dieses Licht geschenkt (deutet auf eine Glaskugel mit Teelicht auf dem Tisch) und gesagt: Gunda Krauss, stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel!
Frau Hamm-Brücher hat mich auch als Frau gestärkt. Sie hat mich darin unterstützt, dass du als Frau genau so viel kannst wie als Mann.

Sie haben ja noch ganz andere Zeiten erlebt …
Ja, zum Glück hat sich vieles geändert. Ich wollte Architektur studieren. Aber das ging nicht. In den 50er Jahren hat es geheißen, du kannst das Abitur machen, aber zum Studieren bist du zu dumm. Das kam nicht in Frage. Es hieß, der Sohn muss studieren und die Familie ernähren. Du heiratest und bist versorgt.

“Ich musste auf eine Frauenfachschule gehen”

Was haben Sie dann gemacht?
Meine Mutter ist mit mir zur Berufsberatung gegangen und hat gesagt, ich hätte pädagogische und hauswirtschaftliche Fähigkeiten. Ich habe gesagt, das will ich nicht, ich wäre lieber Goldschmiedin geworden. Ich musste dann auf diese Frauenfachschule gehen.

Was haben Sie auf dieser Schule gelernt?
Alles für den Haushalt. Ich hätte Gewerbelehrerin werden können. Aber das wollte ich nicht. Die Ausbildung habe ich zwar gemacht, aber direkt danach habe ich mir Nebenjobs gesucht. Ich bin Beraterin für Hausgeräte geworden.

Hat Ihnen das Spaß gemacht?
Ich wurde als Frau links liegengelassen. Über Umwege kam ich dann – als erste Frau – zur Küchenplanung bei der Firma Gienger im Euro-Industriepark.

“Von Männern musste ich mir viele Sprüche anhören”

War es da besser?
Nein. Ich musste mich im Hintergrund halten und sollte nur den Männern zuarbeiten. Bis mich irgendwann mal eine Kundin entdeckte und sich von mir beraten ließ. Ich verkaufte ihr meine erste Küche: Es war eine sonnengelbe Siematic.

 Wie ging es weiter?
Nach sieben Jahren habe ich gekündigt. Ich war dann zwischendurch auch mal arbeitslos. Dann fing ich in einem Architekturbüro an, machte eine Ausbildung zur Bauzeichnerin und blieb 20 Jahre – bis zur Rente. Dort musste ich mir auch viele Sprüche anhören. Als ich in Rente gegangen bin, habe ich überlegt, was ich studieren könnte.

“Nach der Hüft-OP konnte ich nicht mehr auf der Baustelle herumturnen”

Aber daraus wurde nichts.
Zuerst habe ich noch als Baustellensekretärin gearbeitet – bis zur Hüft-OP, dann konnte ich nicht mehr auf der Baustelle herumturnen. Da habe ich für die Seniorenvertretung kandidiert und wurde gewählt.

Bis 2014 waren Sie in keiner Partei, warum sind Sie dann doch in eine eingetreten?
Ich wollte eigentlich mein Leben lang parteilos bleiben. Aber als ich dann parteilos bei den Grünen im Bezirksausschuss und auch in Unterausschüssen war, durfte ich nicht mit abstimmen, weil ich kein Parteimitglied war. Dann bin ich eingetreten und stehe aus vollem Herzen dazu.

Wie war das 2023? Haben Sie lange überlegt, ob Sie in den Stadtrat nachrücken wollen?
Ich bekam eine Woche Bedenkzeit. Aber ich habe gleich Ja gesagt. Auf die Frage, traust du dir das zu?, habe ich geantwortet: Ich weiß gar nicht, was auf mich zukommt. Das kann man erst, wenn man es ausprobiert.

“Ich habe die braune Suppe kennengelernt, Krieg und Flucht”

Und wie fand es Frau Hamm-Brücher, dass Sie bei den Grünen gelandet sind?
Das hat sie akzeptiert. Ich habe ihr versprochen, dass ich mich weiter für die Demokratie einsetze, das war ihr Hauptthema. Ich kann da ja auch mitreden: Ich habe die braune Suppe kennengelernt, habe Krieg und die Flucht vor Bomben aus meiner Heimat Berlin miterlebt.

Bei Seniorenthemen können Sie ebenfalls mitreden. Was steht da ganz oben für Sie?
Hitzeschutz geht uns alle an. Für Ältere ist er aber besonders wichtig, sie leiden noch mehr unter Hitze als Jüngere. Sehr wichtig ist mir auch die Mobilität: Dass alle, ob Groß oder Klein, sicher von A nach B kommen. Wir brauchen sichere Radwege und Querungen und dass man überall leicht in den Bus und die Tram einsteigen kann. Die Aufzüge müssen auch funktionieren.

“Ich habe auch schon vom Balkon gerufen, bitte hilf mir, das Bett zu machen!”

Sie leben allein und haben keine Kinder, wie machen Sie das, wenn Sie mal krank sind oder aus anderen Gründen Hilfe brauchen?
Ich wohne im Prinz-Eugen-Park. Die Nachbarschaft in einer Baugenossenschaft ist anders als in einem normalen Wohnhaus. Hier gibt es nette Leute, zu denen ich gehen kann, wenn ich eine Flasche oder ein Glas nicht aufbekomme. Eine Familie hat auch schon für mich gekocht. Ich bin in einer Chatgruppe, in der ich um Unterstützung bitten kann, wenn ich es zum Beispiel nicht schaffe, den Müll rauszubringen, weil ich krank bin. Das sind meine Heinzelmännchen. Ich habe auch schon mal vom Balkon gerufen, Victoria, bitte hilf mir, das Bett zu beziehen! Das klappt alles sehr gut in unserer Gemeinschaft.

“Ich kann nur sagen: Mach was!” 

Sie wirken auf mich nicht einsam. Es gibt aber viele Ältere, die es sind. Haben Sie einen Rat für sie?
Ich habe kein Rezept. Aber es gibt sehr gute Angebote in den Alten- und Servicezentren. Ich habe da selbst schon Kurse besucht und einen Vortrag über meine Radreise gehalten. In meinem ASZ gibt es zum Beispiel ein sehr gutes Programm mit einem PC-Berater. Der Mann hat auch einen Senioren-Computerverein gegründet. Zu solchen Angeboten müssen die Leute aber hingehen. Man kann niemanden zwingen. Ich kann nur sagen: Mach was!

Sie sind leidenschaftliche Radfahrerin, seit ein paar Jahren haben Sie ein E-Dreirad. Fahren Sie damit auch ins Rathaus?
Ich radele überallhin: zum Arzt, zur Physio, zum Einkaufen, ins Rathaus.

“Wenn ich mich auf mein Dreirad schwinge, ist das Loch weg”

Wie viele Kilometer schaffen Sie so im Jahr?
Früher waren es 5000 bis 6000. Heute sind es wesentlich weniger, weil ich eben auch immer mal gehandicapt bin. Im Winter oder wenn es so saut wie heute, fahre ich nicht.

Bewegung ist also elementar?
Nur zu Hause rumsitzen nicht gut. Ich weiß, wenn ich rausgehe und mich auf mein Dreirad schwinge, ist das Loch weg. Bevor ich zum Stadtrat kam, bin ich auch zur Seniorengymnastik gegangen.

Was macht man da so?
Da hampeln lauter ältere Leute am, neben und auf dem Stuhl sitzend herum. Ich hab mitgehampelt. Das war recht lustig, man hat gelacht, man hat über die Zipperlein geredet. Wir haben Sturzprophylaxe gemacht.

“Mein Körper verfällt, mein Geist wird immer lebendiger”

Hadern Sie gar nicht mit dem Alter?
Ich werde bewusst alt. Ich sehe es nicht als Krankheit an, sondern ich sehe es als ein Abenteuer. Ganz spannend, was so mit mir passiert. Mein Körper verfällt, mein Geist wird immer lebendiger. Ich weiß nicht, wie das noch enden wird.

Und wie lange wollen Sie noch in der Politik mitmischen?
So lange es geht. Die nächste Legislatur auf jeden Fall noch.

Diesen Easy Rider stiftet die ehrenamtliche Poliitkerin für einen guten Zweck.
Diesen Easy Rider stiftet die ehrenamtliche Poliitkerin für einen guten Zweck.
© privat
Diesen Easy Rider stiftet die ehrenamtliche Poliitkerin für einen guten Zweck.

von privat

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Nun stiftet sie ihr E-Dreirad für einen guten Zweck – es wird versteigert 

Die grüne Stadträtin Gunda Krauss fuhr früher leidenschaftlich gern Rennrad. Nach zwei Hüft-OPs war damit Schluss. Sie konnte sich kaum noch bewegen, geriet in eine Lebenskrise –  bis sie das Dreiradfahren für sich entdeckte. Mit 70 radelte Krauss dann auf ihrem “Easy Rider” bis nach Rügen.

Nun hat sich die 86-Jährige wieder ein neues E-Dreirad angeschafft und lässt den Vorgänger (Marke: von Raam, Bj. 2021) versteigern. Der Gebrauchtwert liegt bei etwa 1950 Euro, das Startgebot bei 250 Euro. Der Erlös kommt vollständig dem Bellevue di Monaco (Müllerstr. 2) zugute. Am 12. Oktober um 15 Uhr findet dort die Live-Versteigerung statt. Mehr Infos unter: www.gundakrauss.de

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