Mit Datenspenden von Wearables können normale Bürger die Forschung voranbringen. – Gesundheit |ABC-Z
Mithilfe von Apps und Wearables sammeln Menschen so viele Daten über sich wie noch nie. Das kann ihnen nicht nur persönlich helfen, es kann auch sehr hilfreich für die Forschung sein. Ein Gespräch mit dem Komplexitätsforscher Dirk Brockmann, der viel aus Projekten lernt, für die ihm Gesunde wie Kranke die Daten aus ihren Fitnesstrackern spenden.
SZ: Wenn ich im Alltag oder beim Sport Daten über meine Gesundheit sammele, warum sollte ich die dann mit Ihnen teilen?
Dirk Brockmann: Weil die Daten dadurch einen noch viel größeren Nutzen entfalten können als nur für Sie allein. Normale Bürgerinnen und Bürger werden so zu Citizen Scientists, sie können die Forschung voranbringen.
Welche Forschung ist das zum Beispiel?
Unser bisher größtes Projekt dieser Art war die Corona-Datenspende-App. In der Pandemie haben da innerhalb kürzester Zeit eine halbe Million Menschen mitgemacht und ihre Daten zur Verfügung gestellt, die sie über Fitnesstracker gewonnen haben. Das hat uns wirklich geholfen, viele Details der Pandemie besser zu verstehen.
Aber Daten- und Verbraucherschützer warnen Menschen häufig davor, ihre Daten zu teilen oder sie überhaupt außerhalb ihrer persönlichen Geräte zu speichern.
Die Vorbehalte verstehe ich, und sie sind berechtigt. Denn nahezu alle in Deutschland gewonnenen Fitnesstrackerdaten liegen auf den Servern der Hersteller in den USA. Durch unsere Projekte können sich Spender und Spenderinnen ihre Daten aus den USA aber zurückholen. Die Daten sind hier auch extrem gut geschützt, denn für unsere Forschung gelten ja hohe Standards.
Was haben Sie für Erkenntnisse gewonnen?
In der Pandemie haben wir gesehen, dass sich bei vielen Menschen nach einer Corona-Infektion der Herzrhythmus verändert – und zwar für längere Zeit, das galt noch vier Monate danach. Auch waren die Menschen noch Wochen später weniger aktiv als vor ihrer Infektion. Ihre tägliche Schrittzahl war um mehr als tausend Schritte reduziert, der durchschnittliche Ruhepuls mehr als 120 Tage lang erhöht. Auffällig war, dass sich die Vitaldaten der Menschen, die geimpft waren, weniger veränderten, sie kehrten schneller zum normalen Level zurück. So erholte sich der Ruhepuls bei den Geimpften schon nach drei bis sechs und nicht erst nach elf Wochen wie bei Ungeimpften. Geimpfte waren im Durchschnitt nach vier Wochen so aktiv wie vor ihrer Infektion, bei Ungeimpften dauerte das sechs bis elf Wochen.
Wie aussagekräftig sind solche Daten überhaupt? Repräsentativ sind die Spender ja nicht gerade …
Das stimmt, sie wurden nicht repräsentativ ausgewählt. Jeder, der spenden will, ist willkommen. Und dennoch handelt es sich um unfassbare Datenschätze, weil die Zahl der Teilnehmenden so groß ist. So große Zahlen von Probanden, die über einen langen Zeitraum solche Datenmengen spenden, kann man mit einer randomisierten Studie gar nicht erreichen. Man muss diese Art von Experimenten als Ergänzung und Erweiterung traditioneller Studien verstehen. Außerdem sind solche Daten von Fitnesstrackern oder Smartwatches extrem hochaufgelöst, wir haben minuten- oder sekundengenaue Daten oft über mehrere Jahre. Daraus kann man in kurzer Geschwindigkeit spannende Erkenntnisse gewinnen, wofür man früher viele Jahre gebraucht hätte. Deshalb sind die Projekte unendlich wertvoll.
Inzwischen haben Sie sich auch den Schlaf der Menschen angeschaut. Was haben Sie dabei entdeckt?
Wir haben die Schlafqualität der Menschen in Deutschland ausgewertet. Auch dabei ist Erstaunliches herausgekommen. Früher hatte ja die Sonne einen enormen Einfluss darauf, wann die Menschen aufgestanden und ins Bett gegangen sind. Die Lichtverschmutzung in den Städten verhindert das inzwischen. Aber wir haben herausgefunden, dass es auf dem Land immer noch eine unerwartet hohe Ost-West-Abhängigkeit beim Schlafen gibt. Im Osten, wo die Sonne früher auf- und untergeht, gehen die Menschen tatsächlich früher ins Bett. Wir sehen auch manches, was wir nicht erklären können. So ist die Schlafqualität der Süddeutschen offenbar besser als die der Norddeutschen. Wir wissen bisher nicht, warum.
Kommt es öfter vor, dass Sie selbst überrascht sind, welche Wendung Ihre Arbeit nimmt?
Ja, und das ist auch das Spannende an diesen exploratorischen Studien: Es ergeben sich immer neue Fragen daraus. Wir gewinnen Erkenntnisse, an die wir vorher gar nicht gedacht haben. Bei der Corona-Datenspende-App zum Beispiel wollten wir die Pandemie verstehen. Erst später haben wir erkannt, dass die Daten auch extrem hilfreich für das Verständnis von Long Covid sind, weil wir die Bewegungsdaten der Leute schon hatten, bevor sie erkrankt sind. Es sind letztlich natürliche Experimente. Nicht wir gestalten sie, die Menschen, die uns ihre Daten spenden, gestalten sie mit.