Mistelzweige: Bitte küssen – SZ.de | ABC-Z
13. Dezember 2024 – 4 Min. Lesezeit
Liebesgewächs
Wenn die Bäume ihr Laub verlieren, sieht man die grünen Kugeln in ihren Kronen schon von Weitem. Dieser Wuchs ohne Kontakt zum Boden, zwischen Himmel und Erde sozusagen, trug sehr dazu bei, dass sich viele Mythen um die Mistel ranken. Für die Germanen, Griechen und Kelten war die schwebende Pflanze ein göttliches Zeichen. Der römische Schreiber Plinius der Ältere notierte, dass sie den nordischen Völkern als „vom Himmel gesandt“ erschien. Die Mistel gilt als Symbol des Lebens, des Friedens, der Fruchtbarkeit – und der Liebe. Es gibt viele Theorien, woher der Brauch kommt, dass sich zwei Menschen unter einem Mistelzweig küssen. Die bekannteste verweist auf die nordische Liebesgöttin Frigga. Misteln spielen eine tragische Rolle beim Tod ihres geliebten Sohnes Baldur, dem Gott des Lichts und der Gerechtigkeit. Sie ist in tiefer Trauer, doch zur Zeit der Wintersonnenwende, dem 21. Dezember, gelingt es ihr, ihn aus dem Totenreich zu holen. Außer sich vor Freude küsste sie jeden, den sie unter einer Mistel im Baum antrifft. Aus Dankbarkeit, als Zeichen der Liebe an das Leben, gar nicht aus romantischer Absicht.
Dass sich Freunde und Verwandte unter einem Mistelzweig küssen, ist in Frankreich verbreitet, dass sich Verliebte küssen, stammt aus Großbritannien. Dort wird der Brauch im 18. Jahrhundert populär, weil die strenge Etikette jungen Paaren verbat, sich anlasslos näherzukommen. Pro Kuss musste eine Beere vom Zweig gepflückt werden, also wurde tunlichst Sorge getragen, dass es sehr beerenreiche Zweige waren, die im Türstock hingen. Wer sich unter einem Mistelzweig küsst, dessen Liebe soll ein Leben lang halten. Nur dürfen den Zweig die Liebenden nicht selbst aufhängen, das ersehnte Glück bringt er nur, wenn ein anderer es tut.