„Milton wird noch mal ein anderes Monster“ | ABC-Z
Das Chaos von Hurrikan Helene haben sie noch nicht beseitigt, da nähert sich schon Milton. Dieser Hurrikan soll noch weit heftiger werden als der Sturm, der bereits vor zwei Wochen über Florida hinwegfegte und Hunderte Menschen ihr Leben kostete.
Das Haus von Jeff Schleede in Cedar Key, einer kleinen Inselsiedlung im Golf von Mexiko im Westen von Florida, ist schon verwüstet. „Wir sind immer noch dabei, den Schaden von vor zwei Wochen zu beseitigen“, sagt er. Der 65 Jahre alte Muschelfischer kennt die Stürme, wohnt den Großteil seines Lebens am Meer und arbeitet auf ihm. Schon Helene sei der schlimmste Hurrikan in den vergangenen dreißig Jahren gewesen, sagt er.
„Wir müssen es nehmen, wie es kommt“
Sein Gästehaus im Garten sei vollkommen zerstört, aus dem Fundament gerissen und weggeschwemmt, seine Garage und das Erdgeschoss geflutet worden, er habe dort keinen Strom mehr. Den Schaden beziffert Schleede auf mindestens 700.000 Dollar, allein das Aufräumen und das Sichten der Schäden werde Wochen dauern, sagt er. Dass direkt ein neuer Sturm aufzieht, macht im Sorge. „Wir müssen es nehmen, wie es kommt, aber ein bisschen Angst habe ich schon“, sagt er am Telefon.
Generell sei man Stürme auf Cedar Key fast schon gewöhnt, aber sie kämen mittlerweile in immer kürzeren Abständen und würden heftiger. Schleede nennt sie „rapidfire storms“, auf die man sich immer schlechter vorbereiten könne. In den vergangenen dreizehn Monaten habe er drei Hurrikans miterlebt. Milton wird der vierte sein.
Weil ihr Haus unbewohnbar ist, sind er und seine Familie bereits in ihr zweites Haus geflohen, das sich gut fünf Meilen entfernt im Landesinneren befindet. Dieses sei extra auf einem Hügel gebaut worden und auch stabiler. Aber auch dort müssten sie alles, was ihnen wichtig ist, ins zweite Stockwerk tragen, damit es sicher ist und nicht vom durch den Sturm erzeugten Hochwasser zerstört wird. „Alles, was nicht zwölf Fuß über dem Boden ist, ist weg“, sagt Schleede.
„Milton wird noch mal ein anderes Monster“
Das hat auch der 48 Jahre alte Michael Presley Bobbitt hautnah miterlebt. Auch er wohnt in Cedar Key, sieht nach wie vor eine verwüstete Landschaft um sich herum. Alle arbeiteten hart daran, die überfluteten und zerstörten Häuser aufzuräumen. „Aber das schafft man in einer Woche einfach nicht.“ Jetzt werde Cedar Key abermals getroffen. Er sei mittlerweile einfach mitgenommen von den immer wieder kommenden Stürmen, sagt Bobbitt. Lebe seit Monaten im Ausnahmezustand. „Hurrikan Milton wird noch mal ein anderes Monster. Wir hatten nach meinem Gefühl noch nie so einen riesigen Hurrikan so spät in der Saison.
Bobbitt glaubt, dass in Tampa und der Umgebung, die rund 50 Kilometer südlich von Cedar Key liege, Tausende Menschen ihr Haus verlieren und viele sterben werden. Dort soll Milton wohl in der Nacht zum Donnerstag sein. Cedar Key wird seiner Ansicht nach die Ausläufe abbekommen.
Er selbst will sein Haus nicht verlassen. Es sei sturmsicher auf einer Anhöhe gebaut, Hochwasser mache ihm daher nichts aus, sagt er. Das Massivholz halte bereits seit mehr als hundert Jahren allen Stürmen stand. Außerdem komme er von der Marine, habe ein Rettungsboot und sei in Notsituationen geschult. Er will, wie auch bei Hurrikan Helene, den Nachbarn helfen, die ihre Häuser nicht verlassen haben und die Stellung halten. Sein Haus sei während Helene zu einer „Flüchtlingsunterkunft” geworden, weil viele, deren Häuser unbewohnbar geworden waren, bei ihm Unterschlupf suchten. „Die Menschen der Insel wissen, dass auch jetzt die Türen für jeden offen sind.“
Wegzuziehen ist für ihn keine Option. „Es ist der schönste Ort der Welt“. Seine Familie habe eine lange Geschichte auf der Inselsiedlung. Vor den vier Hurrikans im vergangenen Jahr habe es eine lange Zeit keine Stürme gegeben. „Ich würde auch hier bleiben, wenn ich in einem Zelt wohnen müsste.“ Seit Jahren züchte auch er Muscheln, kenne den Golf von Mexiko, der ihm und anderen den Lebensunterhalt sichere. Der Golf habe ihm jahrelang so viel gegeben, sagt er, jetzt müsse er eben etwas zurückzahlen. Dennoch hofft er, auch vom kommenden Hurrikan Milton halbwegs verschont zu bleiben.
Farmerin aus Clermont: „Ich bleibe“
Eine Hoffnung, die nicht nur Bobbitt und Schleede auf Cedar Key eint. Rund 180 Kilometer entfernt ist es das Warten auf den Sturm, das Sara Weldon in tiefe Unruhe versetzt. Obwohl sich Clermont nicht in einer Evakuierungszone befindet, verlassen wohl dennoch einige die Region, um sich vor starken Regenfällen oder fliegenden Gegenständen zu retten. Das berichtet die Besitzerin einer Farm mitten in Florida. Am Telefon erzählt sie mit entschlossener Stimme: „Ich bleibe.“
Gemeinsam mit ihrem Ehemann Rick lebt die 47-Jährige seit rund sieben Jahren auf einer Farm, die sie auch auf ihrem Instagram-Account zeigt. Ihre zehn Esel, neun Kühe, vier Ziegen, sechs Hunde und ihre ungefähr 150 Hühner würde sie in ein Dutzend Transporter packen, wenn sie könnte, sagt Weldon. Doch die habe sie nicht. Sie fehlen ihr genauso wie die nötigen medizinischen Unterlagen für einige Tiere, die es aber bräuchte, um sie in einen anderen Bundesstaat bringen zu können.
Ihre Tiere seien für sie wie ihre Kinder, erzählt Weldon. Ein von der Mutter verstoßenes Eselbaby lebe sogar bei ihr im Haus. Doch bis auf wenige Küken müssen die anderen Tiere draußen bleiben. Kommt der Sturm in der Dunkelheit, werden sie nicht einmal richtig sehen können, welcher Gegenstand sie gleich erschlägt, sagt Weldon, ihre Stimme zittert nun. In einem Stall könne sie ihre Tiere auch nicht unterbringen: Das könne im Zweifel noch gefährlicher sein, als zu hoffen, dass sie draußen überleben und ihre Instinkte ihnen helfen.
Die Angst ist deshalb groß. Das schlimmste Gefühl sei Hilflosigkeit, berichtet Weldon: „Es gibt nichts, was ich tun kann. Ich kann es nicht ändern, ich kann den Sturm nicht aufhalten. Zu wissen, dass meine Tiere es vielleicht nicht schaffen, ist sehr beängstigend.“ Es bleibe ihr nichts andres übrig, als eine Selbstversorgung für die kommenden Wochen sicherzustellen, Gegenstände festzubinden, ihren Tieren an diesem Abend Gute Nacht zu sagen und zu hoffen, dass sie am nächsten Morgen noch Teil ihres Lebens sein werden.