Millionen Überstunden und kein Ende in Sicht | ABC-Z

Berlin. Seit knapp einem Jahr kontrolliert die Polizei alle Landesgrenzen. Der Aufwand und die Kosten sind enorm. Und nun beginnt die Fußball-Saison.
Auf einmal laufen sie an den hellen Treppenstufen vor dem Neubau auf, der noch nicht ganz fertig gebaut ist. Ein Chor, ein paar Instrumente, ein Dirigent. Sie singen etwas davon, dass alle Menschen „frei“ sind. Die Streicher und Bläser hallen über die Baustelle. Doch die Musikerinnen und Musiker sind vor allem Demonstranten, besetzen die künftige Zentrale der Bundespolizei in Potsdam. Ihr Motto: „Mit Pauken und Trompeten gegen Grenzzäune und Raketen“.
Angemeldet ist der Protest nicht. Mit dabei, wie oft: die Aktivisten vom „Zentrum für Politische Schönheit“ mit dem umgebauten Gefängnisbus „Adenauer SRP+“. Über die Lautsprecher wiesen die Demonstrierenden die Beamten auf ihre „Pflicht zur Remonstration“ hin, also: nicht mitzumachen bei Abschiebungen. Die Polizisten reagieren anders: Die Veranstaltung wird aufgelöst, die Aktivisten von den Beamten vom Gelände geführt, so legen es Medienberichte und Videos von der Aktion nahe. Die Polizei erstattet Anzeige etwa wegen Hausfriedensbruchs.
Grenzkontrollen: 493 Zurückweisungen zwischen Mai und August
Der Vorfall ist ein paar Tage her. Nur wenige Stunden zuvor hatte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) angekündigt, dass er die Grenzkontrollen und auch die Zurückweisungen von Asylsuchenden verlängern will. Zurückgewiesen wurden laut Regierung von Anfang Mai bis Anfang August insgesamt 493 Menschen, obwohl sie ein Asylgesuch bei den Bundespolizisten stellten. Diese Maßnahme wurde bereits in einem Fall durch das Berliner Verwaltungsgericht für rechtswidrig erklärt.
Lesen Sie auch: Ist die Asylwende schon gescheitert, Herr Dobrindt? Der Minister im exklusiven Interview
Die Mehrheit der Menschen in Deutschland befürwortet laut Umfragen eine rigidere Asylpolitik. Zugleich sind es nicht nur linke Aktivisten, die sowohl an den Grenzkontrollen als auch an den Zurückweisungen scharfe Kritik üben. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) betont zwar, dass sie das Ziel teile, „irreguläre Migration nach Deutschland“ zu begrenzen. Jedoch üben die Gewerkschafter immer wieder Kritik. Der Aufwand an Personal sei enorm, der Überstunden-Berg bei der Bundespolizei kratzt an der Drei-Millionen-Marke, Fortbildungen würden ausfallen.

Verschärfte Kontrollen in Görlitz: Bundespolizisten stehen an der Stadtbrücke und Kontrollen einreisende Fahrzeuge aus Polen.
© FUNKE Foto Services | Jörg Carstensen
Fußball startet in die neue Saison – weitere Belastung für Bundespolizei
Und nun: Beginnen die Fußball-Ligen in Deutschland ihren Betrieb. Verantwortlich für die Begleitung der Fangruppen an den Bahnhöfen: die Bundespolizisten. „Das Klima zwischen Fans und Polizei ist angespannt, oftmals erleben die Beamten Vandalismus, aber auch Übergriffe. Nun aber fehlen wichtige mobile Einheiten sowie Hundertschaften der Bereitschaftspolizei an den Bahnhöfen, die sonst an Spieltagen aushelfen. Denn diese Beamten sind im Einsatz an der Grenze“, sagt Andreas Roßkopf dieser Redaktion. Er ist GdP-Vorsitzender für die Bundespolizei. Kompensieren müssten das nun die Bundespolizeidienststellen an den Bahnhöfen, das gehe nur mit Überstunden. „Ich hoffe, dass es dauerhaft nicht zu Sicherheitslücken an Bahnhöfen durch die aufwendigen Grenzkontrollen kommt.“

Die Fußball-Saison startet: Am Wochenende mit der ersten Runde im DFB-Pokal, am Wochenende darauf geht dann auch die 1. Bundesliga wieder los. Für die Bundespolizei ist es eine weitere Herausforderung.
© picture alliance / TeleNewsNetwork/TeleNewsNetwork/dpa | TeleNewsNetwork
Das Innenministerium gibt auf Nachfrage der AFP an: „Es ist sichergestellt, dass die Bundespolizei ihre gesetzlich zugewiesenen Aufgaben erfüllt.“ Auch Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann, hat die Kritik der Polizeigewerkschaft an einer Überlastung der Beamten zurückgewiesen.
80,5 Millionen Euro entstanden seit September 2024 an Mehrkosten
Doch nicht nur der Personalaufwand ist hoch. Auch die Kosten. Seit der Wiedereinführung von Grenzkontrollen an allen Landesgrenzen Mitte September 2024 bis einschließlich Juni 2025 entstanden der Bundespolizei 80,5 Millionen Euro Mehrkosten. Von April bis Ende Juni zahlte der Bund allein für die Verpflegung der Beamten und die Unterkunft in Hotels acht Millionen Euro, knapp drei Millionen kosteten in der Zeit Zulagen für „Dienst zu ungünstigen Zeiten“. Und die Beamten verbrauchten 2,6 Millionen Euro für „Führungs- und Einsatzmittel“.
Der größte Posten entsteht der Bundespolizei allerdings durch die „Mehrarbeitsvergütung“, also durch die Überstunden. Von September 2024 bis Juni 2025 waren es 37,9 Millionen Euro. Der Betrieb der Kontrollstationen an den Grenzen kostete in der Zeit insgesamt 5,9 Millionen Euro. Inzwischen sind laut Behördenangaben bis zu 14.000 Bundespolizisten an den deutschen Grenzen im Einsatz.
Auch interessant

Die Zahlen gehen aus der Antwort der Bundesregierung auf Anfrage der Linksfraktion hervor, die unserer Redaktion vorab vorliegt. Die innenpolitische Sprecherin, Clara Bünger, spricht von einer „rechtswidrigen Grenzen-dicht-Politik“ der Bundesregierung und fordert „umgehend“ ein Ende der Kontrollen. „Sie erschwert Asylsuchenden die Flucht, führt zu Verkehrschaos in den Grenzregionen, belastet Grenzpendlerinnen und Grenzpendler und verursacht noch dazu enorme Kosten.“
Eingeführt hatte die Kontrollen an allen Landesgrenzen noch die alte Bundesregierung von SPD, Grünen und FDP. Eigentlich darf es in der EU keine Grenzkontrollen zwischen Mitgliedsstaaten geben. Die Bundesregierung beruft sich auf eine Ausnahme im Schengen-Grenzkodex als „ultima ratio“ zum Schutz der inneren Sicherheit.
Bis Ende Juli wiesen Bundespolizisten demnach 9254 Asylsuchende zurück
Eine Notlage ist es, mit der die Regierung argumentiert. Einerseits. Andererseits hebt Innenminister Dobrindt hervor, dass sich die Zahl der Asylerstanträge im ersten Halbjahr 2025 im Vergleich zu Vorjahreszeitraum halbiert hat. Zwischen dem Beginn der verschärften Kontrollen Anfang Mai bis Ende Juli wiesen Bundespolizisten demnach 9254 Menschen zurück – das sind pro Woche rund 770. Die meisten Zurückgewiesenen kommen aus Afghanistan, Algerien, Eritrea und Somalia.
Auch interessant

Die Zahlen bleiben konstant, sind vergleichbar mit den Zurückweisungen etwa aus den letzten Monaten des vergangenen Jahres, als noch die Ampel-Koalition in Berlin regierte. Ohnehin gilt: Die Asylzahlen sinken seit vielen Monaten deutlich. Noch im Januar 2024 zählte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge knapp 27.000 Erstanträge. Im Juni dieses Jahres waren es knapp 7000.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
Hinter den Kulissen der Politik – meinungsstark, exklusiv, relevant.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der
Werbevereinbarung
zu.
Im Juli stieg die Zahl der Asylerstanträge auf 8300. Im ersten Halbjahr waren es insgesamt 70.000 dieser Verfahren beim Bamf. 2024 waren es im gesamten Jahr 230.000, 2023 sogar 330.000. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Innenminister Dobrindt heben die gesunkenen Asylzahlen als Erfolg hervor. Das Dilemma: Die Grenzkontrollen und die Zurückweisungen rechtfertigt die Bundesregierung mit einer Notlage in Deutschland bei der Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten – etwa auch an Schulen und Kitas.
Lesen Sie auch: Fluchtrekord: Wo weltweit die meisten Vertriebenen leben
Nur: Je mehr Erfolge die Regierung verkündet, desto weniger glaubhaft ist die Rhetorik von der Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch Asylsuchende.