Millionen Menschen von extremer Wasserknappheit bedroht – Wissen | ABC-Z

Schließlich kündigten die Behörden für den April den „Tag null“ an, von dem an überhaupt kein Wasser mehr aus den Leitungen kommen würde. Stattdessen sollten sich die Leute einmal am Tag zu Ausgabeorten begeben. Panik machte sich in der Stadt breit. Polizei und Militär wurden in Alarmbereitschaft versetzt für etwaige Unruhen.
Die Katastrophe wurde noch einmal abgewendet. Geradeso, dank der rigiden Wasserrationierung und des am Ende doch noch einsetzenden Regens. Dennoch bleibt das Ereignis die größte städtische Dürre in der jüngeren Weltgeschichte, ein Bote des sich entfaltenden Klimawandels. Seither ist die Frage, wann die ersten Großstädte, die ersten Regionen, tatsächlich ihren „Day Zero“ erleben werden?
Diese Frage stellte sich auch Christian Franzke von der Pusan-Nationaluniversität in Südkorea, als er Studien zum drohenden „Day Zero“ in Kapstadt las. In der Wissenschaftsliteratur fand der Klimaphysiker nichts dazu. Zwar gibt es Projektionen, welche Regionen mit zunehmender Dürre zu kämpfen haben werden. Aber nicht, wo extreme Dürren mit austrocknenden Flüssen und Wasserspeichern sowie einem steigenden Wasserbedarf einhergehen, etwa weil sich Städte ausdehnen oder sich eine Industrie mit großem Wasserbedarf angesiedelt hat.
„Wir können uns noch nicht vorstellen, was der Klimawandel für unser privates Leben bedeuten wird.“
Allein eine Abnahme von Regenfällen muss noch keine Krise heraufbeschwören, wenn die Wassernachfrage gering ist. Andersherum muss ein hoher Wasserbedarf nicht notwendigerweise zur Krise führen, wenn genügend gefüllte Wasserreservoire vorhanden sind. Der Klimawandel aber sorgt für eine zunehmende Verschärfung auf beiden Seiten: In vielen Regionen regnet es weniger, es verdunstet mehr Wasser und Flüsse sowie Reservoire verlieren Wasser. Gleichzeitig steigt deshalb auch der Bedarf, etwa um Felder zu bewässern.
Auf Basis eines Klimamodells hat Franzke mit seiner Kollegin Vecchia Ravinandrasana statistisch abgeschätzt, wann und wo es erstmals zum Wassernotstand kommen könnte. Als er die Ergebnisse der Simulationen vor sich sah, war er überrascht. „In einigen Regionen könnte der Day Zero schon bald eintreten“, erzählt er im Videogespräch.
„Noch nie da gewesene“ Dürrebedingungen könnten sich bereits in diesem und im kommenden Jahrzehnt ereignen, heißt es in der entsprechenden Studie, die nun im Fachjournal Nature Communications erschienen ist. Die Wasserpegel von so wichtigen Flüssen wie dem Yangtse oder dem Amazonas könnten „erheblich“ abnehmen. Im Mittelmeerraum, im Westen Nordamerikas und Teilen Asiens sowie Südafrika droht bereits innerhalb der kommenden 15 Jahre das Wasser mancherorts auszugehen. Wo genau kann Franzke angesichts der groben Auflösung des globalen Klimamodells nicht sagen. Aber Kandidaten seien Städte wie Madrid oder Mexiko-Stadt. Insbesondere für Europäer werde es eine neue Erfahrung sein, wenn aus dem Wasserhahn nur noch ein Tropfen komme, meint der Klimaphysiker. „Wir können uns noch nicht vorstellen, was der Klimawandel für unser privates Leben bedeuten wird.“
Und selbst mit einer radikalen Minderung der Treibhausgase lasse sich das Problem nicht mehr aus der Welt schaffen, sondern höchstens mindern. Bei 1,5 Grad Celsius Erderwärmung könnte bereits fast eine halbe Milliarde Menschen den Modellsimulationen zufolge einer „Day-Zero-Dürre“ ausgesetzt sein, zwei Drittel davon in Städten. Dieser Temperaturanstieg lässt sich wahrscheinlich nicht mehr verhindern.
Lange bevor extreme Erwärmungsszenarien erreicht sind, ist also bereits mit massiven Klimafolgen zu rechnen, geht aus der Studie hervor. „Die Risiken von städtischen Tag-null-Dürren sind in einer sich erwärmenden Welt nicht nur ein zukünftiges Problem, sondern eine naheliegende Realität“, heißt es in dem Aufsatz.
Für Sebastian Sippel von der Universität Leipzig ist die Studie eine Erinnerung daran, dass Dürren im Klimawandel zunehmen werden, auch extreme Dürren. „Wir sollten uns besser auf Worst-Case-Ereignisse einstellen“, sagt der Klimaforscher. „Also auf Hitzewellen und Dürren ganz neuer Qualität.“
Entscheidend ist nicht nur die Frage, ob es zu einem Wassernotstand kommt, sondern auch, wie lange es nach einem solchen bis zum nächsten dauert. Ist die Zeit lang genug, kann sich eine Stadt oder Region womöglich wieder erholen und für das nächste Ereignis wappnen. Im Mittelmeerraum werden extreme Dürreperioden den Modellen zufolge aber im Mittel 40 Monate andauern und die Zeit dazwischen gerade mal 25 Monate. „Die Wartezeit wäre dann fast gerade mal halb so lang wie die Dürreperiode selbst“, sagt Christian Franzke. „Das ist dann womöglich zu kurz, damit sich Wasserreservoire wieder füllen und Ökosysteme und Ackerböden wieder erholen.“
Extreme Dürreperioden können bald vielerorts Normalzustand sein
Bis zum Ende des Jahrhunderts könnten einem eher pessimistischen Klimaszenario zufolge dann bis zu 750 Millionen Menschen „Tag-null-Dürren“ ausgesetzt sein, die meisten davon in Städten, insbesondere im Mittelmeerraum.
Franzke empfiehlt den betroffenen Regionen, sich jetzt schon vorzubereiten. Heißt: Wasser sparen, auf Getreide setzen, das mit weniger Wasser auskommt und auf nachhaltige Bewässerung und Wasserspeicher. Derzeit seien die meisten Regionen nur schlecht vorbereitet: Die Wasserinfrastruktur der meisten Länder wurde Ende des 20. Jahrhunderts errichtet und ist auf die damaligen Klimabedingungen hin ausgelegt.
Die Konsequenzen davon bekam etwa die indische Metropole Chennai zu spüren, als der „Day Zero“ im Jahr 2019 tatsächlich für bestimmte Stadtteile ausgerufen wurde, nachdem die Wasservorräte während einer Hitzewelle und Dürre fast erschöpft waren. Um die Not der Menschen zu lindern, fuhr ein Zug aus dem Landesinneren mit 2,5 Millionen Liter Wasser in die mehr als 200 Kilometer entfernte südindische Stadt und weitere folgten. Erst als der Monsunregen endlich einsetzte, war die Krise abgewendet. Um das nächste Mal besser vorbereitet zu sein, beschloss die Stadt, Entsalzungsanlagen zu bauen, Abwasser wiederaufzubereiten und Regenwasser aufzufangen.
Auch andere Orte auf der Welt müssen sich etwas einfallen lassen. Schließlich könnten extreme Dürreperioden bereits innerhalb der kommenden 15 Jahre zum „neuen Normalzustand“ für etliche Regionen der Welt werden, meint Franzke.
Welche Städte innerhalb der identifizierten Risikogebiete sich schnellstmöglich anpassen sollten, müssen allerdings hochauflösende lokale Modellierungsstudien zeigen, sagt Sebastian Sippel. Aber auch wenn er eine Tag-null-Dürre in Ostdeutschland zumindest in naher Zukunft für eher unwahrscheinlich hält, wirbt er dafür, sich auch hierzulande besser auf Dürren einzustellen, befördern diese doch schon heute Waldbrände und sorgen für Ernteausfälle.





















