Geopolitik

Migrationspolitik: Viele Warnungen an Union vor Bundestagsabstimmung zur Migration | ABC-Z

Deutschland steht möglicherweise vor einem historischen Einschnitt: Erstmals könnte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen Antrag zur Verschärfung der Asylpolitik mit Stimmen der vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuften AfD durchsetzen. Der Antrag sieht unter anderem eine direkte Zurückweisung von Flüchtlingen an den deutschen Grenzen, dauerhafte Kontrollen und die Inhaftierung von Ausreisepflichtigen vor. 

Ein zweiter Antrag, den die Union einbringen will, fordert in 25 Punkten schärfere Sicherheitsgesetze. SPD und die Grünen lehnen die Schließung der Grenzen auch für Asylbewerber als Verstoß gegen Europarecht und Grundgesetz ab. Zustimmung hat dagegen – trotz einer AfD-kritischen Passage in dem Antrag – die AfD signalisiert. FDP und BSW haben ihre Zustimmung inzwischen eingeschränkt.

Die für die zur Debatte stehenden Sicherheitsfragen und Grenzkontrollen zuständige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) warnte die Union vor einer Zusammenarbeit mit der AfD. Die Union
müsse ihren „gefährlichen nationalen Irrweg“, der nur mit AfD-Stimmen möglich sei, schnellstmöglich verlassen, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Stattdessen sollten Gesetze zur Stärkung der Sicherheit und Eindämmung irregulärer Migration aus der demokratischen Mitte beschlossen
werden. Faeser verwies dabei auf die europäische Asylreform und das
neue Bundespolizeigesetz. Für diese Gesetze brauche es keine Kooperation
mit der AfD.

„Tun Sie es nicht, Herr Merz“

Vizekanzler und Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck wandte sich in einem Instagram-Video
an Unionsfraktionschef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Er
forderte ihn dazu auf, Unionsvorhaben nicht gemeinsam mit der AfD zu beschließen. „Tun Sie es nicht, Herr Merz“, sagte der Wirtschaftsminister. „Wenn die Union das tut,
macht sie gemeinsame Sache mit der AfD. Dann hat die AfD sie da, wo sie
sie immer haben wollte: in ihren Fängen.“ Habeck mahnte, dass
Migrationsmaßnahmen auf dem „Boden des Grundgesetzes und Rechtsstaats“
stehen müssten. 

Habeck stellte seinerseits einen acht Punkte umfassenden Forderungskatalog vor,
der eine konsequente Durchsetzung der Dublin-Regeln vorsieht. Die
europäischen Partner müssten jene Menschen zurücknehmen, für deren
Asylverfahren sie zuständig sind. Als letzte Konsequenz nannte Habeck
auch Vertragsverletzungsverfahren. Habeck unterstützt zudem einen Vorschlag der Gewerkschaft der Polizei, wonach Ankommende bei der medizinischen Erstuntersuchung auch auf psychische Erkrankungen untersucht werden sollten.

Auch Habecks Parteifreundin Außenministerin Annalena Baerbock warnte die Union eindringlich vor einer Zusammenarbeit mit der AfD in der Migrationspolitik. „Europa geht nur gemeinsam, und geordnete Migration nur europäisch“, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Sie appelliere „an die Vernunft der Union, die Partei Adenauers und Kohls, zu ihrem Wort zu stehen und europäische Lösungen auf dem Weg des demokratischen Kompromisses zu unterstützen, statt mit den Rechtsextremen der AfD zu stimmen“.

Kirchen: Debatte geeignet, alle Migranten zu diffamieren

Auch die katholische und die evangelische Kirche kritisierten die Vorstöße der Unionsparteien, die beide das Wort „christlich“ im Namen tragen. In einer Stellungnahme
wenden sich die Kirchen auch gegen den Gesetzentwurf der Union für eine
„Zustrombegrenzung“, über den der Bundestag am Freitag entscheiden soll.
Die von Unionskanzlerkandidat Merz angestoßene Verschärfung der
Migrationspolitik hätte „nach aktuellem Wissensstand keinen der Anschläge verhindert“,
heißt es in der Stellungnahme, die vorab an die Bundestagsbgeordneten
verschickt wurde. Sie wurde von Prälatin Anne Gidion und
Prälat Karl Jüsten unterzeichnet, die die Verbindungsstellen von evangelischer und katholischer Kirche zur Bundespolitik in Berlin leiten.

Insbesondere
die jüngsten Attentate in Magdeburg und Aschaffenburg, die „von
offensichtlich psychisch kranken Personen begangen“ worden seien,
zeigten vor allem „ein Defizit hinsichtlich des Informationsaustausches unterschiedlicher Behörden und einen eklatanten Mangel an adäquater Versorgung psychisch Kranker“. Die
Kirchen kritisieren auch die gesamte von Merz angestoßene Debatte. Sie  sei „dazu geeignet, alle in Deutschland lebenden
Migrantinnen und Migranten zu diffamieren, Vorurteile zu schüren und
trägt unserer Meinung nach nicht zur Lösung der tatsächlich bestehenden
Fragen bei.“

Weiter
heißt es in dem Schreiben, die Fraktionen hätten sich mit der Auflösung der
Ampelkoalition darauf verständigt, keine Abstimmungen herbeizuführen, in der die Stimmen der AfD ausschlaggebend seien: „Wir befürchten, dass die deutsche Demokratie massiven Schaden nimmt, wenn dieses politische Versprechen aufgegeben wird.“

Städte und Gemeinden fordern Zuständigkeit des Bundes

Derweil wurden auch inhaltliche Forderungen laut. Die Kommunen forderten, dass der Bund für Abschiebungen zuständig sein soll. Die Städte und Gemeinden seien mit der Aufnahme, Unterbringung und Integration von nach Deutschland geflüchteten Menschen unverändert sehr stark gefordert, sagte André Berghegger, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, der Neuen Osnabrücker Zeitung. „Es ist daher dringend notwendig, Kommunen zu
entlasten. Dazu zählt auch, die Zuständigkeiten für die Rückführung
ausreisepflichtiger Menschen beim Bund zu bündeln.“

Das würde „entscheidend dazu beitragen, die Rückführung der Menschen ohne Bleiberecht effizienter, koordinierter und schneller umzusetzen“, sage Berghegger. „Dies ist besonders bei straffällig gewordenen, abgelehnten Asylbewerbern dringend notwendig.“ Eine Bundeszuständigkeit würde es den Städten und Gemeinden überdies ermöglichen, sich stärker auf die Integration der Menschen mit Bleiberecht konzentrieren zu können, ergänzte Berghegger.

Regierungserklärung von Olaf Scholz

Die erschütternden Ereignisse in Solingen und zuletzt Aschaffenburg
hätten gezeigt, dass die notwendigen Abschiebungen auch an mangelnder
Koordination zwischen den zuständigen Behörden, vor allem von Bund
und Ländern, verzögert wurden und schließlich gescheitert sind,
ergänzte er.

Im Bundestag wird an diesem Mittwoch auch Bundeskanzler Olaf Scholz eine Regierungserklärung abgeben. Es wird erwartet, dass er sich auch zu dem Anschlag in Aschaffenburg äußern wird. Einem ausreisepflichtigen Afghanen wird vorgeworfen, eine Kindergruppe angegriffen und dabei ein Kleinkind und einen Mann, der ihn stoppen wollte, getötet zu haben.

 Scholz hatte das Verhalten der Union in der Migrationspolitik „empörend“ genannt und ihr vorgeworfen, „unausgegorene“ Vorschläge zu machen. Dem Unionskanzlerkandidaten Merz warf er vor, eine Koalition mit der AfD zu erwägen.

Scholz entlässt Lindner6.11.24

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