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„Migration mit allen vertretbaren Maßnahmen reduzieren“ | ABC-Z

Frau Ministerpräsidentin, Ihre SPD war immer gegen Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen. Jetzt soll das doch passieren. Verstößt das nun nicht mehr gegen Europarecht?

Wir haben festgehalten, dass das nur in Abstimmung mit den jeweiligen europäischen Nachbarländern geht. Das war der SPD wichtig. Zurückweisungen an der Grenze gab es bislang auch schon. Nun orientieren wir uns an dem Modell, wie es bereits an der Schweizer Grenze praktiziert wird.

Sie haben das Schweizer Modell als Vorbild genannt. Da darf die deutsche Bundespolizei auf Grundlage eines bilateralen Vertrags Migranten bereits auf Schweizer Territorium stoppen und so an der Einreise hindern. Soll es jetzt mehr solcher Verträge geben?

In diesem Geiste soll das aufgesetzt sein. Die SPD akzeptiert keine faktischen Grenzschließungen, die für andere Modelle notwendig wären, weil das zum Beispiel in meinem Bundesland fatale Auswirkungen hätte.

Ist das eine Migrationswende?

Es ist die nachgeschärfte Umsetzung eines Prinzips, das schon vorher galt: Humanität und Ordnung. Uns ist wichtig, dass Deutschland ein modernes Einwanderungsland bleibt. Wir brauchen Migration in den Arbeitsmarkt. Aber die irreguläre Migration werden wir mit allen rechtlich und humanitär vertretbaren Maßnahmen reduzieren und diejenigen zurückführen, die schon hier sind – erst recht, wenn sie Straftaten begehen.

Union und SPD wollen das Bürgergeld abwickeln, Teile von Hartz IV wieder einführen, etwa den Vorrang von Vermittlung in Arbeit und Sanktionen. Wird es da nicht enormen Widerstand in Ihrer Partei geben?

Es geht immer noch um Fördern und Fordern. Wer arbeitslos wird, muss Hilfe bekommen. Wer sich aber Arbeit komplett verweigert, der muss auch mit Sanktionen rechnen. Es ist der gemeinsame Geist, dass wir in Zeiten von Fachkräftemangel zielgenauer in den Arbeitsmarkt vermitteln wollen. Und wir werden klarer dagegen vorgehen, wenn jemand Unterstützung bezieht und nebenher schwarzarbeitet. Auch hier gilt aber: Recht und Rechtsprechung setzen enge Grenzen, etwa beim Umfang der Sanktionen.

Die SPD betrachtete Hartz IV als ihren Untergang. Deswegen noch einmal die Frage: Wird es da keinen Widerstand geben?

Es wird bestimmt Diskussionen geben, auch zu anderen Punkten. Ich finde es aber richtig. Mich haben in den letzten Monaten viele SPD-Wähler darauf angesprochen, die empfinden das System nicht als gerecht, vor allem, wenn es ausgenutzt wird. Und es ist auch so, dass es eine große Kompromissfähigkeit braucht, wenn so unterschiedliche Parteien wie Union und SPD miteinander reden. Wir sind uns der Verantwortung bewusst und wissen: Die nächste Bundesregierung muss erfolgreich sein.

Direkt nach der Einigung gab es am Samstag eine Fraktionssitzung. Wir bewerteten die SPD-Abgeordneten die Einigung?

Wir haben ein historisches Investitionspaket erreicht und eine Modernisierung der Schuldenbremse. Wir haben eine solide Basis für Wirtschaftswachstum und Gerechtigkeit, von wettbewerbsfähigen Strompreisen über Wachstumsimpulse bis hin zu höherem Mindestlohn, mehr Tarifbindung und weniger Steuern für die arbeitende Mitte. Natürlich wird in Fraktion und Partei breit diskutiert. Es wird aber anerkannt, dass wir aus einem schlechten Wahlergebnis sehr viel Sozialdemokratie fürs Land machen können. Intensiv diskutiert worden sind die in der ganzen Gesellschaft umstrittenen Migrationspunkte.

Sowohl die Zurückweisung von Asylsuchenden an der Grenze als auch die vollständige Streichung des Regelsatzes des Bürgergeldes waren der Union wichtig – beides stellen Sie aber unter rechtlichen Vorbehalt. Ein symbolisches Entgegenkommen der SPD?

Es ist ja klar, dass nur gemacht werden kann, was auch rechtlich möglich ist. Im Rahmen dessen aber müssen Union und SPD aufeinander zugehen. Die Union kommt uns entgegen, was die Erhöhung des Mindestlohns betrifft – wir tun es, was Migration betrifft. Allen Beteiligten ist klar, welche Verantwortung sie dafür tragen, dass eine zügige, aber auch stabile Regierungsbildung möglich wird. Dafür braucht es ein gerütteltes Maß an Kompromissbereitschaft.

Ein Investitionspaket über 500 Milliarden Euro, der Mindestlohn auf 15 Euro, das Rentenniveau soll erhalten bleiben. Ist es das Schicksal der SPD, als Juniorpartner am meisten umsetzen zu können?

Wir haben große Herausforderungen, deshalb braucht es große Antworten. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass es wirtschaftliche Impulse gibt, damit Unternehmen investieren. Es muss aber auch klar sein, dass die hart arbeitenden Menschen, die unser Land am Laufen halten, von diesen Impulsen profitieren. Neben den Fragen der äußeren und inneren Sicherheit ist die Frage der sozialen Sicherheit eine ganz wichtige. Die Balance stimmt im Sondierungspapier. Wenn es die Koalition gibt, ist sie dazu angetan, den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken und dass es wieder mehr Zutrauen in die Politik gibt.

Die Koalition zwischen Union und SPD wird durch hohe Ausgaben zusammengehalten: Wiedereinführung der E-Autoprämie, Ausweitung der Mütterrente, Wiedereinführung der Rückerstattung des Agrar-Diesels und die Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie. Dient das Sondervermögen für Infrastruktur nur dazu, Spielraum im Haushalt für Wahlgeschenke zu schaffen?

Das sind keine Geschenke. Es ist sinnvoller, jetzt Milliarden in Arbeitsplätze zu investieren – auch, wenn das Schulden sind – als andernfalls später Milliarden für Arbeitslosigkeit finanzieren zu müssen. Wir brauchen neues wirtschaftliches Wachstum. Und Investitionen, die seit zwei Jahrzehnten unterlassen wurden. Zusammen mit den Unterstützungen für die Ukraine lässt sich das nicht aus dem laufenden Haushalt stemmen.

Es werden Subventionen, die in heftigen Auseinandersetzungen abgeschafft wurden, wieder eingeführt – für Gastronomie, Autoindustrie oder Landwirtschaft. Wieso gibt es so wenig Bemühen zu sparen?

Wir sind ja noch nicht fertig. Auch Haushaltskonsolidierung muss sein. Ich komme aus einem Bundesland, wo diese Disziplin schon länger an der Tagesordnung ist. Wir werden die Ausgaben reduzieren – aber wir sollten damit keine neuen gesellschaftlichen Konflikte aufreißen.

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