Migration bei Illner: Kretschmer: “Sind in einer Situation, wo man alle Instrumente versuchen muss” | ABC-Z
Migration bei Illner
Kretschmer: “Sind in einer Situation, wo man alle Instrumente versuchen muss”
18.10.2024, 06:25 Uhr
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Die Asylpolitik ist in der EU seit Monaten ein bestimmendes Thema. Bei Maybrit Illner wirbt ein Migrationsforscher für die Drittstaatenlösung. Sachsens Ministerpräsident Kretschmer kann er dafür begeistern.
Wie soll die EU mit dem Thema Migration umgehen? Darüber diskutiert am Donnerstagabend Maybrit Illner im ZDF mit ihren Gästen. “Wir haben derzeit zwei der größten Flüchtlingskrisen weltweit”, sagt der Migrationsexperte Gerald Knaus angesichts des Kriegs in der Ukraine und der Lage im Nahen Osten. Für Noch-Grünen-Chef Omid Nouripour ist klar: “Es gibt nur eine europäische Lösung. Wir haben letztes Jahr geschafft, eine Lösung in Europa miteinander zu erarbeiten. Und die müssen wir jetzt so schnell wie möglich umsetzen.” Doch gerade daran scheitert es. Die neue europäische Asylgesetzgebung wurde im Mai vom EU-Parlament beschlossen. Nun ist fast ein halbes Jahr vergangen, und die einzelnen EU-Länder wissen noch nicht, wie sie ihre Gesetzgebung anpassen sollen. Das ist auch Nouripour klar. Aber er geht davon aus: Die Bundesregierung wird die Regelungen so schnell wie möglich umsetzen, sobald sie bekannt sind.
Viele Länder wollen aber so lange nicht mehr warten. Polen zum Beispiel, an dessen Ostgrenze Belarus und Russland Migranten aus Syrien aussetzen. “Es ist richtig, was Polens Ministerpräsident Tusk gesagt hat: Nicht, dass er das Asylrecht aussetzen will, sondern dass sein Land gerade überfordert ist”, so Nouripour. “Ich habe seine Rede auch als Hilferuf verstanden, und es wäre geboten, dass man ihm hilft, weil wir ja sehen, dass Leute unter Vorgabe falscher Tatsachen, auch staatlich organisiert, nach Belarus und dann an seine Grenze gebracht werden.”
Während Nouripour vor allem auf die beschlossenen Asylgesetze in Europa setzt, hat der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer von der CDU eine andere Lösung, um die Zahl der Migranten zu senken, die nach Europa einreisen wollen. Zunächst müsse versucht werden, die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten auf diplomatischem Weg zu beenden. Und dann gelte: “Natürlich wollen wir diesen Menschen helfen, aber in ihren Herkunftsländern. Wir sind wie Polen auch an der Grenze der Belastbarkeit, was die Aufnahmekapazität angeht.” Kretschmer schlägt eine gemeinsame Deutsch-Polnische Grenzpolizei vor. Sie soll helfen, neben Grenz- und Drogenkriminalität auch die irreguläre Migration einzudämmen. “Ich bin sehr froh, dass wir da ein gutes Verständnis haben, dass wir das sicherlich auch in der neuen Landesregierung durchsetzen können”, sagt Kretschmer.
Die von Bundesinnenministerin Faeser angeordneten Grenzkontrollen haben laut Nouripour geholfen, irreguläre Migration zu beschränken. Trotzdem solle man an ihnen keinen Tag länger als nötig festhalten. Wirksamer Schutz vor irregulärer Migration nach Europa könne nur an den europäischen Außengrenzen gewährt werden. Darauf hatten sich auch die EU-Staaten geeinigt. Experten gehen jedoch davon aus, dass es noch mehrere Jahre dauern kann, bis die Maßnahme beginnen kann.
Die Drittstaatenlösung
Wenn es nach dem Migrationsforscher Gerald Knaus geht, gibt es nur eine Möglichkeit, die Flüchtlingskrise einzudämmen: “Wir müssen Wege finden, irreguläre Migration zu entmutigen, dass sich Leute nicht mehr auf den Weg machen nach Belarus oder sich in die Boote setzen, weil sie merken, dass es sinnlos ist. Wir müssen das aber auf eine Art machen, die mit allem kompatibel ist, mit EU-Recht und der UN-Menschenrechtskonvention.” Am Donnerstag habe die grün-schwarze Landesregierung von Baden-Württemberg einen Appell an die Bundesregierung und die EU-Kommission gerichtet, die rechtlichen Voraussetzungen für sichere Drittstaaten zu schaffen. Der Experte setzt dabei auf Ruanda, einen Staat, der keine Demokratie ist. Dort solle das UNHCR Asylanträge prüfen. Die Drittstaatenlösung sei in der EU rechtlich zurzeit nicht möglich, weil es ein sogenanntes Verbindungskriterium gebe. Deutschland habe bisher das Vorhaben gestoppt, es zu ändern, beklagt Knaus.
Das in der EU geltende Verbindungskriterium besagt, dass man einen Migranten nur in einen Drittstaat schicken kann, zu dem er eine Verbindung hat. Ob er dort gelebt haben oder nur durchgereist sein muss, ist dabei nicht festgelegt. Menschen aus Afghanistan oder Syrien, die über die Balkanroute nach Europa kommen, haben definitiv keinen Bezug zu Ruanda. Der besteht aber möglicherweise zu Albanien. Mit diesem Land, das nicht zur EU gehört, hat Italien ein Abkommen geschlossen: Albanien nimmt Migranten auf, die in Italien um Asyl gebeten haben. Knaus hält jedoch von dieser Regelung nichts. Dort prüften italienische Behörden das Recht auf Asyl, zudem seien dort nur sehr wenige Migranten aus Bangladesch untergebracht. Zudem hat Albanien bereits abgelehnt, Migranten aus anderen EU-Ländern aufzunehmen.
Für Nouripour ist die Drittstaatenlösung nur dann diskutabel, wenn man sich darüber klar sei, in welchem Land die Asylanträge von Migranten geprüft werden sollen. Ganz unrecht hat er mit seinen Bedenken nicht. Immerhin ist inzwischen neben Ruanda auch Kenia im Gespräch, und CDU-Politiker Jens Spahn hatte vor kurzem Mali vorgeschlagen, wo die regierende Militärjunta sich mit russischen Wagner-Rebellen verbündet hat.
Michael Kretschmer sieht die Sache pragmatischer: “Jeder, der dieser Sendung zuschaut, wird sich fragen: Was ist das für eine furchtbare Berliner Blase. Da sitzt jemand, der das wissenschaftlich durchdacht hat. Jetzt probiert es doch gefälligst mal, und dann werden wir sehen, ob das klappt. Wir sind in einer Situation, wo man alle Instrumente versuchen muss.”