Migranten verschifft: Unterbringung in Albanien – Italiens Abkommen rüttelt am Asylrecht | ABC-Z
Italien verschifft die ersten Migranten nach Albanien. Selbst bei progressiven Parteien hat die Maßnahme viele Fürsprecher. Kritiker hoffen, dass es gekippt wird.
Rund 20 Seemeilen von der sizilianischen Insel Lampedusa wartet das Schiff “Libra” der italienischen Marine. An Bord gehen Migranten, die von Booten und Schiffen der italienischen Küstenwache in den internationalen Gewässern gerettet oder aufgefangen wurden. Die Menschen werden überprüft und je nach Ergebnis entweder nach Italien oder nach Albanien gebracht.
Die Basis dieses zweistufigen Systems ist ein Abkommen, das Italiens Premierministerin Giorgia Meloni, Vorsitzende der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia, und der sozialdemokratische albanische Premier Edi Rama unterschrieben hatten. Albanien stellt Italien zwei Grundstücke zur Verfügung, wo Migranten schriftlich um Asyl bitten und danach übergangsweise untergebracht werden. Das eine Grundstück befindet sich im Hafengelände der albanischen Stadt Shëngjin. Dort stellen die Migranten ihren Asylantrag. Das zweite Gelände befindet sich 20 Kilometer landeinwärts in der Nähe der Ortschaft Gjadër. Dort wurde ein Aufnahme- und ein Abschiebelager, sowie ein kleines Gefängnis gebaut. Es gilt italienische Rechtsprechung.
Eigentlich wollten die italienischen Behörden bereits im Juli mit der Auslagerung beginnen. Im Sommer erreichen mehr Migranten die Mittelmeerküsten als im Herbst und vor allem im Winter. Doch die Bauarbeiten verzögerten sich. Nun sind die ersten Migranten auf der “Libra” angekommen. Gerade erst eröffnet, könnten die Einrichtungen gleich wieder geschlossen werden. Darauf hoffen zumindest jene, die in der Auslagerung des Asylverfahrens mehr als nur ein rechtliches Vergehen sehen. Unternommen wurde bislang nichts. Das könnte sich nun ändern, da die ersten Menschen nach Albanien gebracht werden.
Interesse aus dem Ausland
Während im Hafen von Shëngjin bis zu 300 Migranten Platz haben, werden es im Lager von Gjadër bis zu 1120 Plätze sein. Maximal vier Wochen soll es dauern, bis ein Migrant über sein Schicksal benachrichtigt wird. Bei negativem Urteil werden Betroffene in den Abschiebeteil des Lagers verlegt, wo sie nicht länger als 18 Monate festgehalten werden dürfen. Es ist unklar, was mit ihnen geschieht, sollen sie bis dahin nicht abgeschoben worden sein.
“Hinter der Auslagerung wittere ich die Absicht der aktuellen Rechts-Mitte-Regierung, das Asylrecht auszuhöhlen”, sagt der italienische Asylrechtler Gianfranco Schiavone im Gespräch mit n-tv.de. Premierministerin Giorgia Meloni sei sehr stolz auf diese Lösung und vermutlich noch mehr darauf, dass etliche europäische Regierungen mit Interesse auf das italienisch-albanische Modell blicken. “Es sind auch sogenannte progressive Regierungen, die das Modell nicht ablehnen”, fügt Schiavone hinzu. Meloni hat des Öfteren darauf hingewiesen, auf das neue System angesprochen worden zu sein. Auch Österreich und Deutschland bekundeten ihr Interesse. Der albanische Premier Edi Rama ließ Berlin aber wissen, dass sein Land für deutsche Strukturen dieser Art nicht zur Verfügung stehe.
Schiavone zufolge bringt die “Operation Albanien” große Probleme mit sich: “Fangen wir bei dem Screening auf dem Marineschiff an, das fast schon schicksalshaft ist. Dabei entscheidet sich, wer nach Italien darf und wer nach Albanien muss.” Nach Italien dürfen neben Frauen und Minderjährigen auch besonders hilfsbedürftige Menschen. “Doch um die Hilfsbedürftigkeit richtig einzuschätzen, bräuchte es Fachpersonal, Ärzte, Psychologen und natürlich auch jemanden, der die Sprache spricht.” Es müsste ein Vorgehensprotokoll geben, was aber fehle. Was Italien auf dem Schiff mache, sei “eine Schlamperei” meint Schiavone.
Ein zweites Problem stelle die Abgeschiedenheit des Aufnahme- und Rückführungslagers in Gjadër dar. “Das EU-Recht verbietet die pauschale Beschränkung der Bewegungsfreiheit der Asylbewerber, es sei denn, es gibt einen nachvollziehbaren Grund”, erklärt der Experte. Solange jemand in der Warteschleife ist und nicht weiß, ob sein Antrag angenommen wurde oder nicht, muss er sich frei bewegen dürfen. In Italien ist das der Fall. In Albanien nicht. Italiens Innenminister Matteo Piantedosi beschwichtigte zwar, das Lager sei kein Hochsicherheitstrakt und habe keinen Stacheldraht. Doch ein meterhoher Zaun umfasst das ganze Gelände.
Der springende, gefährliche Punkt
Das dritte Problem hat sich erst Anfang des Monats durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) verschärft und könnte Roms neuem System zum Verhängnis werden. Melonis Regierung hat Albanien als sicheres Herkunftsland definiert. Dies könnte die italienische Justiz anders sehen und kann sich dabei auf den EuGH berufen. Der legte Anfang Oktober fest, dass in einem sicheren Herkunftsland die grundlegenden Menschenrechte auf dem ganzen Staatsgebiet immer und ausnahmslos geachtet werden müssen.
“Viele der Länder, die Italien als sicher bewertet, sind es aber laut Europäischem Gerichtshof nicht: zum Beispiel Ägypten, Bangladesch und Tunesien, aus denen die meisten der in Italien gelandeten Migranten kommen”, erklärt Schiavone. Auch Deutschland interpretiert den Begriff “sicheres Herkunftsland” anders als der Gerichtshof in Luxemburg und schob unlängst Asylsuchende nach Afghanistan ab.
Viertens müssten Menschen, die in Italien landen, sich juristische Unterstützung holen können; etwa bei Hilfsorganisationen, um Einspruch gegen die Ablehnung eines Asylantrags einzulegen. “Das wäre für die in Albanien Angelandeten enorm schwer. Sie kennen dort niemanden und sind vom Rest der Bevölkerung vollkommen abgeschottet”, sagt Schiavone. Nicht nur von dieser: “Der Asylantrag, das Gespräch mit den zuständigen Beamten, dem Pflichtverteidiger und dem Richter, alles erfolgt per Videoschaltung.”
Den italienischen Staat kosten die Instandhaltung der Strukturen in Albanien und die Gehälter des aus Italien eingeflogenen Personals monatlich 1 Million Euro, schreibt die Tageszeitung “La Stampa”. Der Bau der Anlagen kostete 800 Millionen Euro. Außendienstposten für Richter, Pflichtverteidiger und Dolmetscher sind nicht vorgesehen.