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Ottobrunn: Regisseur Bernd Seidel verabschiedet sich mit einem großen Thema – Landkreis München | ABC-Z

Die Aufregung war Bernd Seidel anzumerken, bei aller Souveränität, die er als Theaterregisseur in mehr als vier Jahrzehnten gesammelt hat. Doch am Samstagabend ging auf der Bühne des Wolf-Ferrari-Hauses in Ottobrunn für den 72-Jährigen ein Lebenskapitel zu Ende. 24 Jahre nach seiner ersten Inszenierung im Wolf-Ferrari-Haus präsentierte Seidel dem Ottobrunner Publikum zum letzten Mal ein eigenes Bühnenwerk.

Das knappe Vierteljahrhundert, in dem er als künstlerischer Berater und Leiter des Programms in Ottobrunn wirkte, hat beide Seiten geprägt, den stets umtriebigen, unangepassten Theatermenschen Seidel ebenso wie Ottobrunn als Kulturort. 1990 kam der gebürtige Hildesheimer an das Bürgerhaus des Münchner Vororts und sollte das Theaterprogramm des Kulturzentrums kräftig umkrempeln. Bereits während seines Studiums der Soziologie und Geschichte in Hannover hatte Seidel Theaterworkshops geleitet. Er hatte und hat sich bis heute dem experimentellen Theater verschrieben, kombiniert Stile aus Tanz, Musik und Schauspiel und Einflüsse aus verschiedenen Theatertraditionen, die er auf Reisen von Afrika bis Indien sammelte.

Gleich ob er eigene Werke auf die Bühne brachte oder Klassiker von William Shakespeare bis Molière inszenierte, stets atmeten die Stücke Seidels eigene, oft von heftiger Emotionalität geprägte Bildsprache, weit entfernt von biederem Vorort-Sprechtheater. Mit seiner Extravaganz hat er das Ottobrunner Publikum über all die Jahre herausgefordert, manches Mal kitzelte er an der Toleranzgrenze. In den allermeisten Fällen gelang das Experiment. Die Dankbarkeit nun am Ende ist tief empfunden – schließlich muss sich auch ein Theaterhaus trauen, einem Regisseur wie Seidel solchen Raum zur künstlerischen Entfaltung zu lassen. Wie sehr das Publikum den heute 72-Jährigen schätzt, zeigte sich im lang anhaltenden Applaus und vielen Blumengaben nach seinem nunmehr letzten Vorhang nach einer eigenen Inszenierung – zumindest in Deutschland, wie Seidel sagt.

Als Abschiedsarbeit wählte Seidel ein Thema, das überwölbend anspricht und ihn persönlich immer besonders beschäftigt hat: die Liebe. In Seidels Inszenierungen ging es eigentlich immer hinter- oder vordergründig um Liebe, die besondere Beziehung zwischen Menschen. Dabei interessierte einfache romantische Liebe den 72-Jährigen wenig; er ließ seine Figuren leiden, zweifeln, bangen, stets mit großer Intensität und ohne Furcht vor Pathos. Auf diese Weise eröffnete er dem Publikum neue Perspektiven, nahm die Gäste in Ottobrunn mit auch auf abseitige Pfade jenseits von Konventionen, blickte in die Untiefen des Verhältnisses zwischen den Eheleuten Macbeth oder in die düstere Psyche eines Strichers. „Im Leben geht es um die Liebe. Denn ohne Zusammenhalt kriegen wir nichts hin, das merkt man gerade besonders“, stimmt Seidel das Publikum ein.

„Im Leben geht es um die Liebe“, sagt Regisseur Bernd Seidel zum Abschied, hier im Bild bei einer Aufführung im vergangenen Jahr. (Foto: Claus Schunk)
In seiner letzten Produktion für das Wolf-Ferrari-Haus kommen alle Elemente zum Vorschein, die Seidels Arbeit so besonders machen.
In seiner letzten Produktion für das Wolf-Ferrari-Haus kommen alle Elemente zum Vorschein, die Seidels Arbeit so besonders machen. (Foto: Claus Schunk)

In „Die Liebe tanzt mit dir“ versammelt Seidel noch einmal alle Elemente, die seine Arbeit so charakteristisch machen und verwebt sie gekonnt zu einer poetischen Bühnenreise. In sechs Themenbildern erschafft er ein Liebes-Epos, lässt die verschiedenen Stadien der Liebe erwachsen, sich entfalten. Tanz und Musik tragen den Abend – wie der Titel andeutet, enthält der Liebesreigen auch Revue-artige Parts und Gesangsnummern. Dass Seidel nun mit einem Ansatz von Altersmilde auf die Bühne blicken könnte, darf man freilich nicht vermuten. Er verbindet Zartes mit Explizitem, die Liebe stirbt schließlich einen leisen Erstickungstod. Doch ganz am Ende steht die Hoffnung, der Neubeginn.

Für die Umsetzung hat der Maestro ein beeindruckendes Ensemble versammelt. Auf der Bühne überzeugen Gloria Gray und Marc-Andree Bartelt als Paar in verschiedenen Beziehungsstadien mit Darstellung und Gesang. Anouschka und Anina Doinet formen gleich einer Art griechischem Chor in Wispern und Worten bemerkenswerte poetische Miniaturen. Hervor ragen die tänzerischen Parts. Mit Boris Kammin bringt Seidel einen Künstler auf die Bühne, der die im europäischen Theater selten zu sehende Kunst des Derwisch-Tanzes beherrscht. Die fliegenden Gewänder und die berauschende Bewegung bis hin zur Ekstase verleihen dem Liebesbild ein ganz neues Momentum, ebenso wie Butoh-Tänzer Stefan Maria Marb mit seiner eindrücklichen Darstellung dieser japanischen Kunstform.

Besonderen Szenenapplaus erhalten Julia Bottenhorn und Oliver Exner für ihren wundervollen Ballett-Tanz, choreografiert von Eckhard Paesler. Mit großer tänzerischer Kunstfertigkeit und beeindruckender darstellerischer Ausdrucksstärke rühren sie mit ihrem Tanz der Liebenden – von den zarten Beginnen bis zu Wut, Abstoßen und Trauer – das Publikum an. All das wird exzellent eingefasst mit der Musik von Masako Ohta.

Als Ehrengast bittet das Ensemble am Ende noch Marianne Sägebrecht auf die Bühne. Die bayerische Schauspieler-Ikone hat Seidel einst in die Münchner Theaterszene eingeführt, die „gar nicht so spießig“ war wie befürchtet, wie er sagt. Auf der Bühne darf am Ende freilich auch Patrick Gabriel nicht fehlen. Der Schauspieler und seit vielen Jahren auch Lebenspartner Seidels ist dem Wolf-Ferrari-Haus ebenfalls tief verbunden und hat sich inzwischen aufgemacht, die internationale Leinwand zu erobern.

Ganz wird Ottobrunn übrigens nicht auf Bernd Seidel verzichten müssen. Er bleibt dem Wolf-Ferrari-Haus als Programmgestalter erhalten und wird auch mit dem von ihm initiierten Kultursommer sowie dem Comedy-Wettbewerb Amici Artium, der wieder am 22. November stattfindet, präsent bleiben.

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